Belästigungen 10/2021: Deutsch? oder antideutsch? oder was auch immer oder über alles oder was?

Mit „Deutschland“ hatte ich schon immer Schwierigkeiten. Ich habe noch nie begriffen, was toll sein soll an einem Land, nein: einer Nation, die es eigentlich gar nicht gibt.

Als ich klein war, gab es die wirklich nicht. Es gab BRD und DDR (in der Springerpresse: „DDR“), und deutsch war höchstens diese Sprache, die man uns aufzwingen wollte und die nicht mal in Hannover (wo sie angeblich herkam) irgendwer fehlerfrei prononzieren konnte.

„Deutschland“ waren Bilder, die ich als Kind in Zeitungen sah: Hitler, Auschwitz und Stalingrad, vielleicht noch Bismarck, der Kaiser und Luther. Hitler fand ich noch unattraktiver als den bösen Grafen bei Edelhart und Kukuruz, auf den Bildern von Auschwitz und Stalingrad habe ich zum Glück nicht viel erkannt, Bismarck und Kaiser sahen aus wie lamettabehängte Weißwürste mit Deppenbart, Luther immerhin wie unser netter älterer Nachbar, aber der war mir lieber als irgendwas mit Kirche. „Belästigungen 10/2021: Deutsch? oder antideutsch? oder was auch immer oder über alles oder was?“ weiterlesen

(aus dem tiefen Archiv): Belästigungen 4/2005: Neid oder Glatzwampen oder Charakter oder überhaupt oder und und

Immer dasselbe: jedes Jahr eine Oderflut! Und dieses Mal kann nicht mal der Kanzler die Dämme entlangschrödern und Sandsäcke begutachten, weil kein Wasser beteiligt ist.

Dafür Deutschlands Journalisten. Die SZ z. B.: Der Maler Florian Süßmayr, stand da zu lesen, wolle sich „mit Charles Manson oder der Otto-Mühl-Kommune beschäftigen“. Keine leichte Entscheidung. Der TSV 1860 hinwieder plane für die neue Saison mit „Michael Hofmann oder Paul Agostino“. Auch nicht ganz einfach. Die taz meldet, das nationale Selbstbewußtsein Japans sei „durch die Giftgasanschläge der Aum-Sekte oder das Erdbeben von Kobe erschüttert“ worden, ein Label schwärmt von einer „blutjungen“ Band, die mit „den Beatles oder den Rolling Stones“ aufgewachsen sei; und wiederum die SZ meldet, ein neuer Film über Franz Josef Strauß lasse „die CSU-Zeitzeugen Peter Gauweiler oder Friedrich Zimmermann“ zu Wort kommen. „(aus dem tiefen Archiv): Belästigungen 4/2005: Neid oder Glatzwampen oder Charakter oder überhaupt oder und und“ weiterlesen

WM-Tagebuch 2006 – 10 Zeit der Wespen, Zeit der Hubschrauber

Sonntag, 25. Juni 2006:

Das Gefühl, als wäre alles mögliche am Anschwellen; ein erinnertes Stimmungsbild von dem Sammelsurium auf der karierten Decke im Garten 1976: Frigeo-Puffreistüten, Perry-Rhodan-Taschenbücher, Donald-Duck-Sonderhefte aus einem verstaubten Flechtkorb im Speicher (der drückend schwüle Hitzegeruch von alten, stumm drohenden Wespennestern), das blecherne Gedudel von Yes, Kraan und Harlis aus dem Kassettenrecorder, abends die bebende Freudenspannung, als drei Tore von Dieter Müller aus einem 0:2 gegen Jugoslawien ein 4:2 machen, die entsetzten Schreie über Uli Hoeneß’ verschossenen Elfmeter gegen die CSSR, die die erwachsene Diskussionsrunde über Arbeit und menschliche Würde einen Augenblick innehalten lassen. Gelbe Wiesen, Wasserschläuche, sieben Wochen täglich hitzefrei, der tanzende Jubel auf der Straße über das endlich anrückende Gewitter, „WM-Tagebuch 2006 – 10 Zeit der Wespen, Zeit der Hubschrauber“ weiterlesen

Belästigungen 03/2015: Wo ein Volk herkommt und was es ist und sein kann (und wo es hingehört)

Da, wo ich aufgewachsen bin (nennen wir es mal generalisierend „Obergiesing“) gab es früher ein paar Lokale, an denen wir gelegentlich vorbeischlenderten (oder sagen wir: strawanzten) und einen Blick hineinwarfen und zusammenfassend feststellten, da sitze ja ein sauberes Volk drinnen. Manchmal kam dieses Volk auch heraus, das war dann nicht mehr so idyllisch anzuschauen. Da volkte es gewaltig, sozusagen, und ab und zu kam auch die Polizei. Oder der Sanker. Ein sauberes Volk halt.

War die Bezeichnung abwertend gemeint? Wer weiß; ein Stückerl Ehrfurcht (oder sagen wir’s moderner: „shock and awe“) wird schon dabeigewesen sein. Jedenfalls war es das, was wir unter der Bezeichnung „Volk“ verstanden: ein finsterer Haufen, zusammengeschmiedet durch das gemeinsame Trinken und Stinken, Glotzen und Motzen, Grölen und Nölen, wehrhaft noch im Delirium oder gerade dann, bisweilen von volkstümlicher (!) Freundlichkeit, der man jedoch besser mit einem gewissen Mißtrauen begegnete, wie man ja auch nicht jedem Wolf, der einem im bayerisch-böhmischen Grenzwald über den Weg läuft, umstandslos die Pfote und das Käsbrot reicht und ihm einen guten Tag entbietet. „Belästigungen 03/2015: Wo ein Volk herkommt und was es ist und sein kann (und wo es hingehört)“ weiterlesen