Belästigungen #416: Zwischen Weisheit und Inkonsequenz ist nur ein kleiner Riß

F hat mir erzählt, wie sie neulich über ihren Schatten gesprungen ist, der in diesem Fall allerdings weniger ihr eigener war als der einer kollektiven Verblödung, der wir alle manchmal verfallen. Sie habe eines ansonsten normalen Abends diesen Typen in der Kneipe gesehen und gespürt, wie ihr ganz seltsam wurde, und sofort seien die üblichen Gedanken durch ihr Hirn paradiert wie eine Schafherde über den Steg: Mal sehen, was er sagt/tut/ob er was sagt/tut. Ach, wie gerne würde ich. Wird sich schon ergeben, wenn/falls. Gerade noch rechtzeitig vor „wäre wahrscheinlich sowieso nicht“ habe sie die Bremse gezogen, sei einfach hingegangen und habe irgendwas absolut Saudummes gesagt, für das man sich im normalen Leben unter den Tisch und durch die Bodendielen hindurch in die Schwabinger Kanalisation hinunterschämen müßte. Was aber in diesem Fall – wie in jedem Fall – genau das Richtige war: Er sagte irgendwas noch Saudümmeres, und nach zwei Minuten war eines dieser Gespräche im Gang, aus denen die größten Popsongs aller Zeiten entstanden sind. „Belästigungen #416: Zwischen Weisheit und Inkonsequenz ist nur ein kleiner Riß“ weiterlesen

Belästigungen #415: Vom „Single“ zum „Double“ und (endlich! wieder!) zurück

Das Wort „Single“ gab es schon, als ich ein Kind war und ansonsten kaum Anglizismen im Alltagssprech herumschwirrten. Damals bezeichnete es kleine, grellbunt verpackte Vinylscheiben, Zauberwerke der Popkultur, die alle paar Wochen einen neuen Wahnsinnshit meiner Glamrock-Helden Slade, T. Rex, Bowie, Sweet, Roxy und Alice Cooper ins Haus dröhnten und den Aspirinkonsum unter Eltern ankurbelten. Ein paar Jahre später, als die Springerpresse den Deutschen endlich ihr Solidaritätsgedusel ausgetrieben und die Lambsdorf-Kamarilla den Wirtschaftsfaschismus als neue Staats- und Gesellschaftsraison durchgepeitscht hatte, war „Single“ keine Platte mehr, sondern ein Mensch, der sich aus freien Stücken entschlossen haben wollte, ohne lästige Anhängsel wie Ehepartner und Bamsenbagage durch ein Leben der sensationellen Berufserfolge und Freizeitbelustigungen zu flanieren – ein Heros der neoliberalen Ära, frei und selbstbestimmt im globalen Supermarkt der Achtziger. „Belästigungen #415: Vom „Single“ zum „Double“ und (endlich! wieder!) zurück“ weiterlesen

Belästigungen #411: Man könnte das eine Borderline-Kolumne nennen

Eine Freundin, der ich neulich einen großen Berg der hier veröffentlichten Kolumnen übergab, damit sie sie vor der Neuauflage als Sammelbuch auf Relevanz und Zumutbarkeit prüfe, meinte hinterher, ich sei ja ein ganz schöner Choleriker, wenn ich mich immer so aufrege, und so kenne sie mich gar nicht.

Das, meinte ich, mich höchstens milde aufregend, könne überhaupt nicht sein, schließlich werde der Choleriker im allgemeinen als willensstark und entschlossen beschrieben – vgl. etwa einen durchschnittlichen BWL-Börsennazi –, was auf mich nur in den seltensten Fällen halbwegs zutreffe. Dann, sagte sie nach einigem Wälzen im inneren Lexikon der Küchenpsychologie, handle es sich wohl um hyperaktive Melancholie mit einem Zug ins Depressive; andererseits kenne sie mich auch als notorisch exzessiven Sanguiniker an der Grenze zum pathologisch-hysterischem Übermut mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, und mein Phlegma sei durch den Zustand meines Schreibtischs und den mangelnden Schnitt meiner Rosenstöcke und Obstbäume ausreichend belegt. „Belästigungen #411: Man könnte das eine Borderline-Kolumne nennen“ weiterlesen

Belästigungen #408: Wer zu spät klopft, den bestraft der Müllstrudel

Der moderne Nomadenmensch wird nicht nur von den sogenannten „Arbeitgebern“ und ihren staatlichen Knechtungsknechten in der Gegend herum mobilisiert, sondern kriegt, wenn er mal einige Zeit in einem Nest sitzt und nichts besonderes zu tun hat, sofort den Rappel und will woanders hin. Weil alte Witze witziger wirken, wenn sie aus neuen Hälsen dringen, und weil heutzutage jeder unablässig auf der Suche nach einem „Selbst“ ist, das darin besteht, von anderen bespaßt zu werden, bis ihnen nichts mehr einfällt und man sie ersetzen muß.

Meistens bleibt dabei irgendwas zurück – ein Haufen Gerümpel, alte Socken und kurzzeitig verschnupfte Ex-Existenzabschnittsbespaßer, die, damit sie sich ebenfalls „neu orientieren“ können (Geschlechtsorgan ist Geschlechtsorgan, sagt der Biologe; neu ist Chance, sagt der Betriebswirt), den Krempel loswerden müssen, damit er endet, wo alles endet: im „Großen Pazifischen Müllstrudel“ oder einem seiner kleineren Gefährten. „Belästigungen #408: Wer zu spät klopft, den bestraft der Müllstrudel“ weiterlesen