Belästigungen 09/2018: Weg mit dem Kreuz, her mit der Eichel! (ein Aufruf zur Ehrlichkeit)

Von dem politischen Erdbeben, das Bayern derzeit erschüttert, werden wir unseren Nachfahren kaum in verständlichen Begriffen berichten können, weil es ihnen (hoffentlich) an Verständnis für ein derartiges Kasperltheater grundsätzlich fehlen wird.

Gestritten wird nicht etwa über den Klimawandel, der uns den dreiviertelten April lang einen brachialen Höchstsommer beschert und die Schleimhäute der armen Allergikern äglich mit fünf Pfund Blüten- und sonstigem Staub zementiert hat. Auch nicht darüber, daß es um die Trillionen Blüten, die allüberall leuchten, prangen, protzen und vor sich hin stauben, vielerorts merkwürdig still ist, weil die Bienen offenbar nicht mitbekommen haben, daß irgendeine Ministerin demnächst eventuell mal „anzudenken“ angedeutet hat, ob man vielleicht unter Umständen eines Tages darüber diskutieren könnte (sicherlich „zielführend“), den chemischen Massenmord an den summenden Zeitgenossen … nun ja, wahrscheinlich zu „überdenken“ oder so.
Angeprangert wird auch nicht die grassierende Armut, die auf den explodierenden Reichtum zurückgeht, Landschaftszerstörung durch wuchernde Neubausiedlungen, Gewerbegebiete und Autopisten, der philosophische Wahnsinn, daß viele bayerische „Mitbürger“ (die eigentlich Bürger sein sollten, die man aber durch die beschönigende Vorsilbe „mit ins Boot“ zu holen vortäuscht, was eine der Hauptaufgaben heutiger „Politik“ ist) – daß viele von denen sich mit ihrem Leben recht zufrieden wähnen, obwohl sie den größten Teil davon mit sinnfreier Arbeit verschwenden. Ganz zu schweigen von Wohnungsnot, Exportüberschuß, außenpolitischen Skandalen, Lügen, Vertuschungen, was weiß ich noch alles, von rassistischen Umtrieben der Nazis in der Ukraine bis hin zu allen möglichen Kriegen, über die man uns nichts oder höchstens Humbug berichtet.

Nein, womit die „sozialen Medien“ derzeit flächendeckend gepflastert werden (zwecks Simulation einer „Debatte“), ist der Befehl des neuen, nicht gewählten Ministerpräsidenten, künftig seien in sämtlichen freistaatlichen Behörden Kreuze an die Wand zu nageln. Und zwar weil das Ding „nicht ein religiöses Symbol“, sondern ein „Bekenntnis zur Identität“ und zur „kulturellen Prägung“ des Bayernlandes sei.

Daß das Kreuz in seiner Urform keineswegs „für elementare Werte wie Nächstenliebe, Menschenwürde und Toleranz“ stand, sondern als Hinrichtungswerkzeug ganz andere, recht grausige „Werte“ durchsetzen sollte und deswegen auch als „Galgen“ bezeichnet wurde, brauchen wir nicht groß betonen. Das weiß der Herr Söder sicherlich selber aus dem Schulunterricht, wenn er selbigen nicht ausdauernd geschwänzt hat, um unter dem Bildnis des totgemarterten Messias für seine politische Karriere zu beten.
Wir sparen uns auch den Hinweis, daß ein Christ, der öffentlich behauptet, das Kreuz sei „nicht ein religiöses Symbol“, angesichts der Tatsache, daß das Kreuz DAS zentrale Symbol der christlichen Religion sowie Ursprung und Zentrum des allerheiligsten Sakraments selbiger Religion und somit IMMER ein Bekenntnis ausschließlich zum Christentum ist, – daß so jemand kein Christ mehr, sondern ein ganz schlimmer Ketzer ist. Da kann er sich in seinem (ehemaligen) Heimatministerium so viele Gebetsräume einrichten lassen, wie er mag. Wenn das Kreuz abgesehen davon noch für einen „Wert“ steht, dann ist das zwar ein elementarer, aber keineswegs einer der von Söder vermuteten, sondern – siehe Friedhof – der Tod.

Reiten wir auch nicht auf den Sauereien herum, die die christliche Religion in den letzten zweitausend Jahren im Namen ihres Kreuzes weltweit angerichtet hat. Da genügt ein Blick in die Hekatomben einschlägiger Literatur, von Deschners „Kriminalgeschichte des Christentums“ bis hin zu Kemmerichs immerhin streckenweise amüsanten „Kultur-Kuriosa“ (wo sich übrigens auch ein erquickliches Sammelsurium an historischen Beispielen für den Umgang mit Ketzern findet). Ist ja ebenfalls alles nicht neu.

Und wir verzichten darauf, die bayerische Verfassung zu zitieren, deren Artikel 142 eindeutig bestimmt: „Es besteht keine Staatskirche“, in der außerdem zwar ein „Bekenntnis“ von jedem Beamten gefordert wird, aber keineswegs zu einer Religion (oder Partei), sondern zum „demokratisch-konstitutionellen“ Staat, und in der weiterhin steht: „Die Zulassung zu den öffentlichen Ämtern ist von dem religiösen Bekenntnis unabhängig.“

Daß schon in der Konstitution von 1808 die Religionsfreiheit garantiert war, daß die erste demokratische Verfassung Bayerns von 1919 bestimmte, es dürfe niemand „zur Teilnahme an Kultushandlungen“ und „religiösen Übungen“ gezwungen werden, müssen wir nicht erwähnen. Schließlich hat an letzterer die Bayerische Volkspartei mitgeschrieben, die Vorgängerorganisation der CSU, man weiß das also (auch wenn das Desinteresse bayerischer Regierender an Verfassungen notorisch ist).

Vielleicht äußern wir statt all dem einen Vorschlag zur Güte: Man hänge, wenn Kreuz schon sein muß, nicht stilisierte Exemplare des Mordwerkzeugs in die bayerischen Dienststellen hinein, sondern die gleichnamige französische Spielkarte (die man vom Skat kennt, immerhin ein „immaterielles Kulturerbe“) bzw., wenn man dem Franzmann diverse Umtriebe in historischen Zeiten noch nicht verziehen hat, dann eben ihre deutsche, vom Schafkopf (der Urform des Skat) und Watten vertraute Entsprechung: die Eichel.

Damit wäre zweierlei erreicht: ein Bekenntnis zu Identität und kultureller Prägung des Bayernlandes, für die das Karteln traditionell entscheidender ist als das meist eh bloß (verbotenerweise) erzwungene Herumsitzen in Kirchen. Und ein sehr deutliches Zeichen für die ebenfalls traditionell überschießende Virilität bayerischer Machtprotze, die damit ihr Revier (durch sinnbildliche Brunzmarken) eindeutiger und ehrlicher markieren könnten als mit dem Mißbrauch religiöser Symbole als Feldzeichen.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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