Belästigungen 13/2016: Warnung vor dem Manne! oder: Vom Jäger und der Beute im Dampfkessel des Hormondrucks

Bisweilen gerät einem ein Wort ins Ohr, das aus dem Hirn nicht mehr hinauswill, sich vielmehr immer weiter hineinbohrt und immer neue Kapriolen schlägt. Literarisch Gebildete erinnern sich, wie Dagobert Duck eines Tages mit einem „Gullu-Gullu“ auf den, nun ja, „Lippen“ erwachte und es nicht mehr loswurde. Ähnlich ging es mir kürzlich mit dem von einem Vogelkundler unvorsichtigerweise geäußerten Begriff „Hormondruck“.

Das ist nicht etwa eine arg blumige, vom Verein zur Bewahrung der deutschen Sprache empfohlene Umschreibung für Pornographie, sondern eher das, was unter anderem dazu führt, daß derartige Bild- und Textwerke überhaupt eine nennenswerte Nachfrage genießen. Ins Spiel kam das Wort in Zusammenhang mit dem Kuckuck, einem possierlichen Tierchen, das dafür bekannt und notorisch ist, daß es das System der Kinderfremdbetreuung noch weiter treibt als der Mensch, indem es seinen Nachwuchs nicht mal mehr selbst gebären mag, sondern einfach in fremde Nester hineineiert und den meist überforderten, ungefragten Leiheltern von der Brut bis zum Abitur alles überläßt.

Ansonsten ist der Kuckuck nicht so faul. Nämlich wird es ihm schon Ende Juli in hiesigen Breiten zu klamm und zapfig, weshalb er umgehend nach Süden aufbricht. Und zwar nach Afrika, und weil der Kuckuck überraschenderweise noch nicht auf die Idee gekommen ist, Fremdvögel zu chartern, fliegt er selbst, vier Wochen lang. Da erblaßt der rekordwütigste Marathonläufer!
Im Frühling dann zieht es den Kuckuck wieder heimwärts, und weil nun der besagte Hormondruck einsetzt, braucht er für den Rückflug trotz Übergepäck in Gestalt schwellender Klöten nur noch zweieinhalb Wochen. Dann wird gebalzt, gekuckuckt und geeiert, und schon ist der Druck verpufft und jegliches Interesse am Resultat der herbeigesehnten Paarung verflogen.

Unter Hormondruck steht nicht nur der Kuckuck, sondern jedes Lebewesen auf Erden, sogar die Schnecke, die herzlich gerne schmust und moppelt, obwohl sie das gar nicht nötig hat, sogar der brünftig in Blüten explodierende, mit Pollen um sich stäubende Baum, der sich dem angehimmelten Partner selbst bei tüchtigstem Recken und Strecken kaum je genug nähern kann, um ihn wenigstens zu streicheln. Und selbstverständlich der Mensch.

Dessen männliche Variante indes ist Weltmeister im Sublimieren. Zwar – diese Tatsache darf seit zehntausenden von Jahren als bewiesen gelten – geht ihm Tag und Nacht so gut wie nichts anderes im Kopf herum als sich zu paaren. Dafür hat er aber oft (angeblich) keine Zeit, und selbst wenn, ergibt sich meistens keine günstige Gelegenheit. Andererseits hat das Menschenmännchen im Gegensatz zum Kuckuck ein nicht zu übersehendes Geschlechtsorgan, mit dem es, wenn es schon nicht bestimmungsgemäß zum Einsatz kommen kann, zumindest symbolisch seine gesamte Welt füllen muß.

Deshalb stellt der Mensch seine Städte mit Penissen voll. Ursprünglich, man vergesse das nicht, lebte er in Höhlen, und im Grunde hat selbst das Einzimmerapartment mehr von einer Vagina samt Gebärmutter als von einem protzenden Ständer. Verläßt man sie, sieht man sich jedoch sofort von selbigem umstellt: Vom Maibaum bis zum Fernsehturm, von der Mariensäule bis zum Obelisken am Karolinenplatz, vom „Vierkantbolzen“ (G. Kronawitter sel.) am Stadtrand bis zum spitzkuppeligen Kirchturm findet sich kaum ein Gebäude, das einer Brust, einer gerundeten Hüfte, einer schwellenden Lippe oder sonst etwas von dem ähnelt, was das Menschenmännchen angeblich so ersehnt.
Damit nicht genug. Statt müßig zu flanieren, penetriert der Mensch Erdboden, Berg und Landschaft mit röhrenden Tunnelröhren, und wenn er am Wochenende seinen Arbeitsplatz verlassen muß und nicht mehr die Konkurrenz ficken darf, packt er Bohrmaschine, Preßlufthammer und den dauereregierten Laubbläser aus und unterwirft, züchtigt und mißbraucht alles, was ihm in die Quere kommt. In anderen Erdteilen bewaffnet er sich mit tödlichen Stahlschwengeln und ballert los, wenn irgendwas seine Alphastellung im Revier antastet.

Wohin das vom Hormondruck geplagte Menschenmännchen auch blickt – es findet nichts als Jagdbeute und Opfer. Das hat gefälligst willig zu sein, weshalb der Mensch seinen Paarungsakt nicht einfach Sex nennt, sondern als dringend notwendige nähere Bezeichnung „einvernehmlich“ hinzufügt. Ein deutlicher Hinweis: Es geht auch anders!

Weil dieser ganze Wahnsinn mit der „Vernunft“, die den Homo sapiens im Laufe der Evolution angeblich befallen hat, nicht in Einklang zu bringen ist, hat das Menschenmännchen zur Rechtfertigung Religionen und soziale Ordnungen erfunden, die der Beute ihren Platz zuweisen. Den darf das Weibchen im Rahmen einer sogenannten Emanzipation bisweilen sogar verlassen, aber nur wenn es sämtliche Gehirnbereiche abschaltet, die nicht mit Penetration und Unterwerfung befaßt sind, und sich in eine Art rudimentäres Ersatzmännchen wandelt.

Nun ist die Natur nicht ganz so simpel strukturiert, wie das Menschenmännchen mit seinem retardierten Hormondruckdampfkessel im Schädel meint. Zum Beispiel gibt es das in diversen Varianten weit verbreitete Phänomen der Homosexualität, das ihm erst mal einigermaßen wurst ist, solange es sich auf die Damenwelt beschränkt. Zwar gehen dadurch einige potentielle Beutestücke verloren, die ihm aber in den meisten Fällen sowieso nicht attraktiv erscheinen (und wenn doch, dann wird es sie schon irgendwann kurieren, notfalls „einvernehmlich“).

Hingegen der Schwule bringt allein durch sein Auftreten die gesamte Welt des Menschenmännchens ins Wanken: Plötzlich ist es nicht mehr Jäger, sondern mögliche Beute, und diese Vorstellung ist schlimmer als ein weltweites Verbot von Fußball, Bier und dröhnenden Blechkarren. Da erwacht eine existentielle Angst, die die Wissenschaft Homophobie nennt. Die wächst zur Wut, und wenn man dem von ihr befallenen Männchen per Erziehung die Vernunft amputiert und ihm einen Schießpenis in die Hand gibt, dann ballert es los.

Was ich sagen will, ist: Wenn ein Mensch in einen Schwulenclub hineingeht und dort Menschen umnietet, dann tut er das nicht für Gott, Allah, Christus, Maria oder sonst wen, er tut es auch nicht im Dienste des IS, der katholischen, anglikanischen oder sonst einer Kirche, Miliz oder Vereinigung. Sondern er tut es unter dem Dampfdruck einer bis zum Wahnwitz falsch verstandenen Maskulinität, auf die er nicht von selbst gekommen ist, sondern die ihm anerzogen, eingebleut, Tag für Tag aufs Neue von der gesamten ihn umgebenden Welt eingeimpft wurde. Es handelt sich dabei nicht um ein amerikanisches, arabisches, russisches, asiatisches, sondern um ein menschliches und vor allem männliches Phänomen. Der Kuckuck läuft nicht Amok, der Baum schießt keine Morddrohnen in fremde Wälder, die Schnecke kümmert sich einen Dreck darum, ob ihre Nachbarin sich selbst oder sonst wen befruchtet.

An dem, was einer tut, ist er selbst schuld. Aber den Wahn, die Wut und die Waffen, die haben ihm andere besorgt.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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