Frisch gepreßt #326: Johnny Marr „Playland“

Es ist kein leichtes Los, „nur“ der Gitarrist einer Band zu sein, deren optisches und öffentliches Aushängeschild und Sprachrohr eine singende Galionsfigur ist. Fragen Sie mal Jimmy Page, Phil Manzanera oder Steve Jones. Oder fragen Sie John Squire, Bernard Butler, Mick Ronson – die kennen Sie alle nicht? Na eben. Fragen Sie zur Not Noel Gallagher, der kennt das schon auch.

Andererseits: hat die aus narzißtischer Sicht undankbare Rolle den kaum schätzbaren Vorteil, daß man tun kann, was, und spielen, mit wem man will. Das ist besonders dann angenehm, wenn man Gitarrist einer Band war, die sogenannte Experten für die wichtigste, größte und einflußreichste aller Zeiten halten. Johnny Marr war Gitarrist bei The Smiths; richtig: das war die Band von Morrissey. Dem Sänger, von dem tumbe Nostalgiker und Puristen immer mal wieder behaupten, er habe seinen Beitrag zur Popgeschichte eben mit The Smiths und seither kaum Wesentliches geleistet. Das ist grober Unfug, aber es zeigt, wie gut es der Gitarrist einer solchen Band haben kann.

Johnny Marr hat diese angenehme Rolle weidlich ausgenutzt; die Liste der Leute, die ihn bewundern bis vergöttern und mit denen er gespielt, gearbeitet, Platten produziert hat, könnte diese Seite füllen: Paul McCartney, Bryan Ferry, The Pretenders, Oasis, The Cribs, Talking Heads, Modest Mouse, Pet Shop Boys, The The, Billy Bragg, Kirsty MacColl, Wilco, Lisa Germano, Bert Jansch, Neil Finn, Jane Birkin …

Schwieriger wird es dann, wenn der Gitarrist die Arbeit für und mit eines Tages über hat und selbst die Position einnehmen möchte, die einst sein alles überragender Sänger innehatte. Kennen Sie die Solo- und Bandalben von Bernard Butler, John Squire, Mick Ronson? von Jimmy Page, Phil Manzanera oder sagen wir: Noel Gallagher? Johnny Marr, der in dieser Hinsicht 2003 (mit The Healers) und einem lauwarmen Album debütierte, macht da keine Ausnahme. Auch auf seinem zweiten „echten“ Soloalbum wünscht man sich noch in den stärksten Momenten (den Glamrockknallern „Dynamo“ und „Playland“, dem hypnotisch walzenden Hardrocker „Speak Out Reach Out“, dem mitreißend dahinratternden „Boys Get Straight“ und dem instrumental fast Smiths-mäßig melancholisch flirrenden „This Tension“) einen „richtigen“ Sänger herbei oder zumindest das penetrante Hallgerät weg, das Marrs Stimme in den weniger guten Momenten zu einer unfreiwilligen Parodie seines eigenen Idols Marc Bolan entstellt und die fehlende Bauchmuskelkraft, die zu dünn geratene Protzlust, die es verhüllen soll, eher hervorhebt.

Aber so ist das eben mit Gitarristenalben. Die Vorstellung, was aus dieser Platte geworden wäre, wenn Morrissey sie besungen hätte, ersparen wir uns lieber, schon weil der längst auf einem anderen Planeten lebt und sie wahrscheinlich eben nur besungen hätte (was er grundsätzlich nicht tut). Daß Johnny Marr kein Sänger ist, hat immerhin den Vorteil, daß er sich ansonsten nach Belieben austoben und den sechs bis zwölf Saiten seines Arsenals von Fender-Jaguar-, Rickenbacker, Les-Paul-, ES-355- und Telecaster-Modellen entkitzeln bis entwringen kann, wofür ihn der Teil der Menschheit, der sich für mehr als alles überragende Sänger interessiert, bewundert bis vergöttert. Die Dringlichkeit, jugendliche Knallenergie und uneitle Präzision, der frische Zorn und die Knappheit, in und mit denen er das tut, erwecken den Anschein, da sei einer am Werk, der ganz am Anfang steht, noch keine Zeit hatte, den Sturm von Ideen, der sein Hirn, sein Herz und seine Finger durchströmt, zu bändigen, und das erinnert dann doch wieder sehr an die Smiths.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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