Man könnte (oder: muß) dem Zinner Stephan eine gewisse Profilunschärfe attestieren, weil: Was ist der jetzt eigentlich – Schauspieler? Kabarettist? Liedermacher? Oder anders gefragt: Kann einer unter Achternbusch an den Münchner Kammerspielen agieren, beim Salvatoranstich den Söder geben, für Marcus Rosenmüller die Kinoleinwand zieren, mit einem Soloprogramm über die Kabarettbühnen ziehen, im „Tatort“ und bei den „Rosenheim-Cops“ herumhüpfen und sich dann noch als womöglich ernsthafter Singer/Songwriter hinstellen, ohne daß es ihn zerreißt?
Vielleicht, sagt der Experte von der Glaubwürdigkeitsprüfstelle, aber: Wenigstens letzteres werden ihm die zuständigen Gremien kaum je abnehmen, weil: Das, was der macht, macht dem doch ganz offenbar Spaß, regelrecht Freude, und das darf es doch nicht! Es kann doch nicht einer hergehen und sich einen Jux machen, Virtuosität mit Leidenschaft, Witz, einer durchaus großen Stimme, Weisheit, Euphorie, besoffenem Klamauk und einem gescherten Grinsen im Mundwinkel in eine Pfanne schmeißen und dann am Ende meinen, daß man ihm (zum einen, zweiten und noch einem Beispiel) den Johnny Cash, den Randy Newman und den Kinky Friedman auf einmal abnimmt! Um wahr zu sein, wäre solches doch viel zu, nun ja, groß!
Aber wenn man bereit ist, die Ohren und das Herz aufzumachen und einfach hinzuhören, dann ist das halt genau so. Dann kann der mit böser und zugleich liebevoller Ironie zu erdigem Soul-Blues von einer „ehrlichen Haut“ berichten (die man notfalls abziehen und einen Mantel draus machen kann), sich ein Pony für den Ritt in die imaginierte Freiheit herbeiwünschen, vom Welt- und Selbsthaß des Computerspielers in der ersten Person berichten, von toten dicken Indianern (die nicht im Fernsehen laufen), Kalendergirls, „Böse Leut“ und von Frauen über fünfzig mit Zöpfen (die irgendwann sterben müssen, trotz Ingwertee) in der dritten. Dann kann der auch ohne weiteres ein Doppelalbum mit vierundzwanzig Liedern auf den Tisch hauen, schimpfen, zürnen, lästern und sich sehnen, eineinhalb Stunden lang die Rollen, Attitüden und Geschichten wechseln, weise, blöd, gemein, saumäßig hinterfotzig und hinreißend charmant sein, mal verblüffend drastisch, mal von kaum widerstehlicher Witzigkeit, immer voller Lust und musikalisch dermaßen, ja mei: virtuos, daß man den Mund selten zukriegt.
Aber andererseits: ein Danny Dziuk (noch ein Beispiel) kann das doch auch, und bloß weil der Zinner im münchnerisch gezügelten oberbayerischen Dialekt singt, denkt und insgesamt ist und lebt, soll man ihm das nicht abnehmen? Bloß weil er sich seine Persönlichkeitsfacetten nicht kastrieren läßt, sondern sie alle einzeln und insgesamt auslebt und zelebriert, vom zerknirscht an der Welt zerbröselnden Tom Waits bis hin zum deppert-weisen Dampfplauderer, der in jeder Suppe ein Haar und an allem und freilich auch an sich selbst die Scharten entdeckt, die die Lächerlichkeit des menschlichen Daseins und Strebens reißt, und mit wehmütiger Bosheit den Finger drauf richtet?
So, möchte man meinen und hat’s damit erkannt und erfaßt: ist er halt. Ein gestandenes, rundum pfundiges Mannsbild, dabei aber changierend, verletzlich, sehnsüchtig und jederzeit bereit, die Distanz liedermacherischer Abgehobenheit als Knüllschmarrn in den Papierkorb zu pfeffern, in spätnächtlich-jazziger Vergeblichkeit ein „Goldenes Herz“ anzuschmachten, anrührend über einen menschlichen „Goldfisch“ zu balladieren, sich hernach an die Bar zu pflanzen und mit breiter Kameraderie ein Bier zu bestellen, weil: Es ist doch alles eins, im Grunde, das Leben und der Schmarrn, das Lachen und die Tiefe des Herzens, die Welt und das Wirtshaus, das Feine und das Grobe. Und man wird, während man sich amüsiert, bestärkt, angerührt, verzaubert, verarscht, auf und in den Arm genommen nicht nur meint, das Gefühl nicht los, daß ihm das in den zuständigen Gremien keiner je abnehmen wird, ein Mensch aber jederzeit. Und daß das genau richtig ist so.
Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.