Belästigungen #435: Nämä Pakätt für Rollator nach Mariahilfplatz!

Daß Männer nicht multitaskingfähig sind, ist eine Binsenweisheit, für die ich jederzeit als Lehrmodell herhalten kann. Zum Beispiel stehe ich bis zu zehnmal täglich vor einem Gegenstand, ohne zu wissen weshalb und was der Gegenstand nun mit mir anfangen sollte oder umgekehrt oder beides. Dann ruft jemand an und erklärt mir in rauschendem Knisteramerikanisch, daß mit meinem „Microsoft“ was nicht stimmt, und nachdem ich ihn kurz beschimpft und aufgelegt habe, halte ich einen Zettel in der Hand, der leer ist, auf den ich aber vielleicht was schreiben wollte, wovon ich nicht mehr weiß, was es war.

Daß die Wohnungstür angelehnt ist, merke ich erst, als sich der Paketbote draußen räuspert. Ich trage die Sendung, die für irgendeinen möglicherweise längst verzogenen oder verstorbenen Nachbarn bestimmt ist, in das Zimmer, das vollgestellt ist mit Sendungen für möglicherweise längst verzogene oder verstorbene Nachbarn, und stelle fest, daß es dort Pflanzen gibt, die ich seit Wochen nicht gegossen habe, weil ich das Zimmer selten betrete, höchstens um Pakete für Nachbarn hineinzustellen. Jemand geht an mir vorbei, sagt „Wenn du eh nicht mehr kommst, gehe ich“; der Geruch von verbranntem Gummi aus der Küche teilt mit, daß der Kaffee vor einer halben Stunde fertig gewesen wäre; und daß ich beim Einkaufen nicht bezahlen kann, stößt bei der Kassiererin auf großes Verständnis: Schließlich haben Schlafanzughosen keine Taschen, in die man Geldbeutel stecken könnte.

Und das alles nur weil gleichzeitig der Kopf rotiert und aus dem Angebot an Welt, das auf mich einströmt, was zu machen sucht, womit sich eine Kolumne füllen läßt, die zu lesen nicht nur Sinn, sondern am besten auch Freude erzeugt. Oder anders herum, weil Sinn vielleicht sowieso nicht hineinzuklopfen ist in eine Welt, die unablässig auf der Suche ist: Erst pflügt sie zwei Monate lang die Ozeane durch, um ein Flugzeug zu finden, von dem sich am Ende erweist, daß es weg ist; dann plappert sie zwei Wochen lang von entführten „OSZE-Beobachtern“, die keine OSZE-Beobachter sind und nie waren und ebenfalls weg waren und jetzt wieder da sind und von denen niemand weiß, was sie sind und sollten, nicht mal die Truppentante von der Leyen, die dennoch „betont“, daß sie sie jederzeit wieder losschicken täte, egal ob sie sie beim ersten Mal losgeschickt hat oder nicht oder jemand anderer.

Weil solches Kuddelmuddel nur dazu führt, daß man sozusagen im Vorbeigehen die halbe Wohnung verwüstet, ohne es zu wollen, während man zu begreifen versucht, wie und warum eine Handvoll Leute sich anschicken, halb Europa zu verwüsten, (vielleicht) ohne es zu wollen, bin ich dazu übergegangen, nur den Teil der medialen Weltmitteilungen zu registrieren, der damit rein gar nichts zu tun hat.

Ist aber nicht leicht. Zum Beispiel wird aus dem Magdeburger Stadtteil Buckau gemeldet, ein 79jähriger Herr mit Rollator habe plötzlich nicht mehr gewußt, wo er ist und wie man von da am besten heimkommt. Drum habe er sein Radgestell „kurzerhand“ (Vorsicht, nicht zu lange über solche Wörter nachdenken, sonst geht das „Microsoft“ kaputt und der Kaffeebote trinkt den Kaffee!) auf die Bahnschienen gestellt und sei als lebender Regionalzug in Richtung Hauptbahnhof losgezockelt, was nicht nur sämtlichen Sicherheitsvorschriften widerspricht, sondern auch grundlegenden Regeln des öffentlichen Nahverkehrs – weil er sich standhaft weigerte, weitere Passagiere aufzunehmen.

Kurz vor dem Hasselbachplatz wurde die menschliche Draisine von der Polizei „aufgegriffen“ (noch so ein Wort), und damit wäre der Fall weitgehend erledigt, wenn nicht aus dem hinteren Teil des verschwurbelten Hirns die Erkenntnis herausquölle, Hasselbach sei der Name eines notorischen Münchner Naziumtreibers, womit die ganze Geschichte plötzlich in einem anderen Licht schimmert und man eine verwinkelte Verschwörungstheorie zusammenzimmert, in der es von Nazis nur so wimmelt und die aber selbst dem Paketboten, der sich immer alles geduldig anhört, weil er außer „Nämä Pakätt fur (unverständliches Rudiment des Namens eines möglicherweise längst verzogenen oder verstorbenen Nachbarn)“ nur ukrainisch spricht, lediglich ein kurzes Kopfkratzen und eine Wiederholung der Botschaft „Nämä Pakätt fur …“ entlockt.

Vielleicht läßt sich daraus was lernen: Vielleicht bedeutet überhaupt nichts irgend etwas außer sich selbst. Wenn irgendwo jemand einen Stein wirft oder eine Fahne spazierenträgt, auf der „Nein!“ steht, dann entsteht dadurch weder eine Tendenz noch eine Bewegung noch sonstwas, sondern dann wirft jemand einen Stein bzw. trägt ein „Nein!“ spazieren, und das war’s. Irgendein anderer, der zufällig zuschaut und der zu diesem Zweck kein „Dritter“ und auch kein „OSZE-Beobachter“ sein muß, könnte dann sagen: „Aha! Der trägt ein ‚Nein!‘ spazieren!“, und das wär’s gewesen. Er darf nur ja nicht anfangen, in das „Nein!“-Spazierentragen eine Bedeutung hineinzuhubern, weil er sich sonst über kurz oder lang in einem multitaskerischen Wirrwarr wiederfindet und beim Versuch, mit dem Rollator zum Mariahilfplatz zu gondeln, von der Trambahn überfahren wird.

Ergibt das Sinn? Der knisternde kalifornische „Microsoft“-Mahner weiß es nicht, ich kann nicht mehr denken, und Pakete werden am Sonntag nicht geliefert. Vielleicht sollte ich trotzdem mal die Blumen gießen, und da ich nicht sicher bin, ob ich noch mal komme, darfst du inzwischen ruhig schon mal gehen.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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