Mark E. Smith gehört zu den Leuten, die man nicht so gern im Haus hat: Erst trinkt er Kühlschrank und Keller leer, dann entwirft er wilde Verschwörungstheorien um grüne Männer mit gelben Köpfen, die man nur besiegen kann, indem man das gesamte Mobiliar zertrümmert, alle anwesenden Personen lauthals beleidigt und verprügelt, Parolen in viertelenglischer Geheimsprache auf die Straße brüllt und der anrückenden Polizei aus dem Fenster entgegenpinkelt. Als sich Mark E. Smith von seiner Frau trennte, tat er das auf offener Bühne, mit ungefähr neun Promille und in etwa so galant wie ein mit Tesafilm unzulänglich gefesselter Pitbull. Nein, so einen hat man besser nicht im Haus.
Seine Platten – oder ein paar davon; es sind insgesamt ungefähr fünfzig, von denen es vor zehn Jahren eine sogar in die UK-Top-ten schaffte, obwohl Smith die Musikindustrie so sehr haßt, daß er einem Großkonzern höchstens vertrocknete Spiegeleier zur Veröffentlichung überließe –; die hat man schon im Haus, aber man hört sie meistens nur, wenn man Kühlschrank und Keller leergetrunken hat und die grünen Männer mit den gelben Köpfen bemerkt. Zweifellos hat Smith mit The Fall mehr schlechte Platten gemacht (oder machen lassen, manchmal ohne etwas davon zu bemerken) als irgendein Mensch sonst. Das ist schade, denn es gibt so viele Momente, wo einem nur noch Mark E. Smith helfen kann, daß man sich schon wünscht, er würde öfter mal was richtig Gutes zustandebringen. Na ja, seien wir gerecht: „The Unutterable“ von vor drei Jahren war ziemlich grandios, und seitdem hat sich Onkel Mark manchmal zusammengerissen. Was seiner Wirkung keinen Abbruch tat, zum Beispiel auf Elasticas zweitem Album: Da gastierte er als Wir-hauen-alles-zusammen-und-zünden-die-Trümmer-an-haha-Revoluzzer und grölte irgendwas wie „crash barrier!“ oder „trash warrior!“, was kein Mensch versteht, was aber trotzdem Lust macht, alles zusammenzuhauen und die Trümmer anzuzünden, ha ha!
Fall-Alben sind stets ein Kopfsprung ins schwarze Wasser: Was da unten lauert, weiß man nicht – erratisches Geschimpfe, geschredderte Akkorde, Durcheinandergeplärr mit zerlumpten Musikfetzen, schrottreife Anti-Melodien, betäubende Rumpelmonotonie, säurespuckender Krawummzynismus, entfesselt tobenderer Lärm, Texte, die einen Psychologieleistungskurs in den kollektiven Vergeblichkeitssuizid treiben könnten … aber Smith hat eben auch seine Momente. Grant Showbiz aka Cunliffe, der 1979 das erste Fall-Studioalbum produziert hat und diesmal nach den Aufnahmen monatelang mit Smith an der Platte rumgemischt hat, bis dieser irgendwann doch einverstanden war, meint: „Man erwähnt viel zu selten, daß er ein wunderbarer, liebenswerter Kerl ist, kein verhärmter alter Gammler, der im Pub hockt und grummelt, wie sehr er alles und jeden haßt.“
Diesmal sind es der großen Momente viele: die hymnisch-gemeine Hooligan-Verspottung „Theme From Sparta F.C.“, der Frühneunziger-Fall-Tanzhallen-Kracher „Green Eyed Loco-Man“, das wirre, unwiderstehlich charmante „Mountain Energei“ rumpeln sofort ins Ohr, und schon ist man bereit für eine überschäumende Parade geschredderter Akkorde, zwischen Glam und Müll herumrumpelnder Drums, Lavalawinen von Keyboard-Extravaganzen und einen Mark E. Smith, der engagierter und hörbarer als oft (aber in gewohnt enigmatischer Schwurbelsprache) Haß, Verachtung und anarchischen Witz gegen alles und jeden herausschreit und -grummelt, der’s verdient hat.
Am Ende ist man so elektrisiert und euphorisch, daß man behaupten möchte: Jetzt wird der Kerl ein ganz Großer (mit sechsundvierzig, ähem)! Aber da hat man wahrscheinlich wieder mal die Rechnung ohne den Smith gemacht, und deshalb denken wir nicht an die Zukunft, sondern freuen uns über ein grandioses Anti-Mainstream-Album von einer vor Leben sprühenden Legende.
geschrieben auf Grundlage älterer Texte Anfang Oktober 2003; Mark E. Smith starb am 24. Januar 2018
Danke.
Nebenbei: Während die Kinder im Teenageralter mit etwa Go-Betweens, Clash, Joy Division, Sisters of Mercy (bah!), Talking Heads und Television etwas anfangen können, mögen sie sich für The Fall einfach nicht so recht erwärmen…
Kennen Sie das Triple-Interview mit MacGowan, Cave und Smith aus dem Jahr 1989? Falls nicht:
https://thequietus.com/interviews/rocks-backpages/mark-e-smith-nick-cave-shane-macgowan-nme-interview/
Oh, danke für die Erinnerung. Ich kannte es, hatte es aber längst vergessen. Es gab auch mal ein (Tresen-)Tape von MacGowan, Cave, Smith, Doherty und (Sailer). Das ist leider verloren …
Selbst die eher schlechten Platten von The Fall sind weitaus langlebiger als vieles, was sich beim Erscheinen besser verkaufte oder in der Musikpresse enthusiastischer rezensiert wurde. Aber was ist überhaupt eine schlechte Fall-LP? Ich fremdele immer noch mit „Are you are missing winner“, das aus der Periode – nach „Levitate“ und vor „Country on the click“ – stammt, als sich die Gruppe (Smith bestand auf dem Begriff, in Abgrenzung zu „Band“) neu erfinden musste: Schulden, Wegfall der alten Stammbesetzung etc. Einen nicht geringen Anteil an dem Prozess hatte Eleni Poulou, die dritte Mrs. Smith, die bis kurz vor seinem Tod mit ihm zusammen war. Es spricht für die Offenheit des Projektes „The Fall“, dass es nicht nur eine wohlhabende jüdische Amerikanerin mit großem Poptalent integrierte (Brix), sondern auch Poulou, eine Deutsche mit griechischen Wurzeln, von der es nur die vage Herkunftsbezeichnung „Sauerlandarea“ gibt. Wäre Smith so diktatorisch und engstirnig gewesen, wie er gerne dargestellt wird, wäre diese Offenheit kaum möglich gewesen. „Country on the click“ ist die erste Platte, bei der Poulou als Gruppenmitglied auftaucht. Dass sie so gut geworden ist, liegt durchaus auch an ihr.
Da kann ich nicht widersprechen.