Reisen im Regal (8)

Mein Vater schenkte mir zum Geburtstag die Gedichte von Georg Trakl.
Franz Kafka erzählte mir, daß Trakl Selbstmord durch Gift verübt habe, um den Schrecknissen des Krieges zu entgehen.
„Fahnenflucht in den Tod“, bemerkte ich.
„Er hatte zuviel Phantasie“, sagte Kafka. „Darum konnte er den Krieg nicht ertragen, der vor allem aus einem ungeheuren Mangel an Phantasie entstanden ist.“
Gustav Janouch: Gespräche mit Kafka (1951)

Um sich an dem Schriftsteller zu rächen, der ihnen das Leben geschenkt hat, verstecken die Helden, die er geschaffen hat, ihm den Federhalter.
Max Jacob: Der Würfelbecher (1917)

Von den beiden Mitbewohnern, die mit ihr unter einem Dach lebten, war der Kater sehr viel wichtiger als ihr Mann. Sie entdeckte das bald nachdem der Kater gestorben war. Als sie das begriff, spürte sie einen säuerlichen Geschmack im Mund wie von Essiggurken, und während sie diesem Gedanken nachgab (sie hatte manchmal einen richtigen Heißhunger auf Essiggurken), wurde ihr klar, daß sie schon immer gewußt hatte, daß ihr Mann mit dem Leben im Haus nichts zu tun hatte.
Persephone Abbott: Ein rasch gesponnenes Netz (2018)

Wenn ich am Neujahrstag als Herrgott aufwachte, – oder nein, das ginge nicht, denn der Herrgott schläft nie; also wenn ich am Neujahrstag als heiliger Petrus aufwachte, würde ich sagen: „Was soll ich heuer für diese verflixten Tschechen tun? Sie sind zwar Ketzer und manchmal, der Kuckuck hol sie, ein undankbares Pack; aber es könnte doch noch etwas aus ihnen werden. Ich glaube, sie haben ein zu rauhes Wetter; vielleicht sind sie deshalb so zornig und verstockt. Im Sommer ist es bei ihnen heiß und gewitterhaft, so daß sie einander gereizt anknurren; im Winter friert es bei ihnen so, daß jeder nur an sich denkt und zu den andern wie ein Eiszapfen ist. Das kommt vom Klima. Und deshalb gefällt ihnen nichts; der Winter ist ihnen zu kalt, der Sommer zu warm; ist etwas schwarz, so ist es ihnen zu schwarz, und ist etwas weiß, so ist es ihnen zu weiß; niemals ist ihnen etwas recht. Das rührt von ihrem Wetter her. Aber wartet nur, Nichtswürdige, ich will’s euch schon zeigen; ich will euch ein Wetter bescheren, als wäret ihr am Meer; einen milden Winter werdet ihr haben, – mit Schnee, selbstverständlich mit Schnee, denn er ist eine Wohltat; und einen angenehmen Sommer mit Sonne und Feuchtigkeit – der Teufel müßte dahinter her sein, wenn ich das nicht änderte. Wenn ihr untereinander milder wäret, wäre auch das Wetter milder; aber da ihr nicht selbst damit beginnen wollt, werde ich anfangen. Der Herrgott helfe euch im neuen Jahr!“
Karel Capek: Kalender (1965)

Newspapers are essential things, but it might be worth reminding ourselves, both as journalists and readers, of all the phenomena (which are precisely not „phenomena“ in the sensationalist sense of the word) which simply cannot be written about in conventional journalese, of all the invisible events which are at least as important as those of which the journalistic discourse habitually makes such a production number.
Gilbert Adair: On Journalism (ca. 1994)

Ich war, wenn ich es heute überdenke, in einem Zustand der Liebe, und das Symbol dafür hatte ich, ohne daß ich es als solches ansah, auf dem Tisch zwischen den Büchern und Papieren stehen: ein Glas Wasser mit ein paar Gräsern darin.
Hellmuth von Cube: Mitleid mit den Dingen (1982; hier: o. J.)

„Ich bin wohlhabend, trage einen Zylinder und weiß mich zu benehmen, aber dennoch werde ich nicht akzeptiert.“
„Vielleicht fehlt dir das, was man allgemein als Bildung bezeichnet?“
Carl Barks: Hound of the Whiskervilles (1960, dt. Erika Fuchs)

The rats who were being fed on milk from a London dairy came tumbling from their nest with an anxious hungry squeaking. They were getting thinner and thinner every day; in a few days they would be dead. But the old rat, whose diet war Grade A milk from the country, hardly took the trouble to move. He was as fat and sleek as a brown furry fruit, ripe to bursting. No skim and chalky water, no dried dung and tubercle bacilli for him. He was in clover. Next week, however, the fates were plotting to give him diabetes artificially.
Aldous Huxley: Antic Hay (1923)

Es gibt Erzieher, welche die Kinder für ihr ganzes Leben faul machen nur darum, weil sie darauf dringen, daß die Kinder immer beschäftigt sind; sie gewöhnen sich daraufhin an, langsam, das heißt schlecht zu arbeiten; als Folge ist der Arbeit ständig eine hemmende Müdigkeit beigemischt, während jedes für sich, wenn man Arbeit und Müdigkeit trennt, angenehm ist.
Alain: Die Pflicht, glücklich zu sein (hier: 1911)

Daß das Geld geworden ist, was es heute ist – eine Art höhere Gewalt und gewissermaßen ein Prüfstein des Lebens –, gut, das ist zwar eine Tatsache, aber kein augenscheinliches Gesetz. Und es besteht keine Veranlassung, die Verhältnisse zu akzeptieren, weil sie nun einmal so sind. Es gibt viele Gründe, und zwar sehr schwerwiegende, um eine Veränderung einzuleiten.
Antonin Artaud: Revolutionäre Botschaften (o. J.)

Im Namen all dessen, was mir mehr als jemals am Herzen liegt, feiere ich Antonin Artauds Rückkehr zur Freiheit, in einer Welt zwar, in der die Freiheit selbst erst noch zu schaffen ist; jenseits aller prosaischen Einwände setze ich all meinen Glauben auf Antonin Artaud, den Mann der Wunder; ich grüße in Antonin Artaud das leidenschaftliche, heroische Nein zu all dem, woran wir sterben, wenn wir es leben.
André Breton: Rede (1946)

Wer es nicht glaubt, der glaubt es, wer es glaubt, der glaubt es nicht. Aber was heißt glauben? Was unglauben?
H. C. Artmann: Die Sonne war ein grünes Ei (1982)

Meine Damen und Herren, sagte Epstein fast feierlich, nun wissen Sie alles, der Verlag also wünscht, daß wir den in den vergangenen Wochen eingeschlagenen Kurs wieder verlassen und, wenn ich es so sagen darf, auf Sailer-Kurs drehen.
Walter Matthias Diggelmann: Die Vergnügungsfahrt (1969)

Die Polizisten ziehn sich um.
Sie lachen sich fast lahm und krumm.
Die Uniform hängt an der Wand.
Sie tragen jetzt das Räubergewand.
Herbert Asmodi: Räuber und Gendarm (1968)

„Ich bin eben ein arbeitender Gast. Ich will so hart arbeiten, daß ich keine Zeit mehr habe, mich selbst zu bemitleiden.“
Carl Barks: The Beauty Queen (1959, dt. Erika Fuchs)

Nach langen und umständlichen Erklärungen gelangten die vier auf dem Podium zu dem Ergebnis, daß eine bewaffnete Revolution höchstwahrscheinlich das beste für Lateinamerika sei. Von den vieren war offensichtlich einer Kommunist, einer Sozialdemokrat, einer Pazifist und einer Pastor. Alle waren sich einig darin, daß die soziale Lage dergestalt war, daß die Armen ständig der Gewalt ausgesetzt waren und daß dies nur mit Waffengewalt verändert werden konnte. Der Pazifist verwandte seine Zeit darauf zu erklären, daß er zwischen Frieden und Nicht-Krieg unterschied.
Es war, als wäre er in einem Irrenhaus gelandet, wo die Irren sich einbildeten, sie regierten die Welt und hätten nicht nur darüber zu bestimmen, welche Maßnahmen am erfolgversprechendsten seien, sondern auch darüber, welche man moralisch am höchsten zu bewerten habe.
Staffan Beckman: Meinen Sie, daß Georg verrückt ist? (1968)

Hier forderten auch die Weltprobleme keine Lösung von ihm.
Mary McCarthy: Ein Sohn der neuen Welt (1965)

Und der Mann, vom Rhythmus bald eingelullt, machte sich in der zum Abriß bestimmten Bude ans Wischen und Kehren, und ich ging meiner Wege – murrend.
Shelagh Delaney: Wodka und kleine Goldstücke (1960)

(Abbildungen: aus den sehr empfehlenswerten Büchern „Die 99 Lassedasse“ und „Die 122 Abtörner“ von Kjartan Poskitt und Steven Appleby)

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