Belästigungen 12/2012: Von Nazis, Goldeseln und dem gehobenen Ur (Teil eins)

Die GEMA, ansonsten neben TÜV, ADAC, FDP, IHK, BDI und diversen Nazibanden einer der schlimmsten Großbuchstabenvereine unseres Landes, hatte neulich eine nette Idee: Der bekannte Nazi Norman Bordin soll Geld zahlen, weil er die beliebte Rosaroter-Panther-Melodie zur Beschallung eines seiner Aufmärsche benutzte. Wie gesagt: eine nette Idee und – so dachte man bei der Weitergabe der Meldung an die Presse wohl – geeignet, das seit Jahrzehnten annähernd GEZ-mäßig ramponierte Ansehen der GEMA ein bißchen aufzupolieren.

Aber so sehr es uns freut, daß Nazis auch mal was bezahlen müssen: Worin bitte schön bestand bei diesem ganzen Vorgang der Beitrag oder die Leistung der Erben von Henri Mancini (an die die GEMA einen Teil des Betrages abführen wird, wg. Urheberrecht)?

Ein-, zweimal im Jahr kriege ich selber lustige Post von der GEMA. Das liegt daran, daß ich „Urheber“ bin, das heißt: Ich habe im Lauf der Jahre immer mal wieder ein paar Lieder geschrieben, die auf Platten erschienen sind, von Bühnen ertönen, im Radio, Kino und Fernsehen laufen usw. – ich habe also ein „Recht“, das unbedingt geschützt werden muß. Deshalb kriege ich Geld, wenn jemand anderer meine „Werke“ für irgendwas verwendet.

Über kein Recht wird zur Zeit so gestritten wie über dieses „Urheberrecht“. Amerikanische Polizisten fliegen in den fernsten Südosten, um deutschen Leberkäse zu verhaften. Deutsche Anwälte kaufen sich Frankiermaschinen, um jedes noch so kleine Dorf in der mecklenburgischen Provinz mit Drohungen und Geldforderungen zu bombardieren. Millionenreiche Künstler füllen ganze Zeitungsseiten mit Jammertiraden, weil ihnen ihr Lebensunterhalt weggeklaut wird. Bösartige Großkonzerne stilisieren sich zu einer Art von ideellen Negerjudenkrüppeln stilisiert, die zu schützen die heiligste Aufgabe aller Staatsgewalten ist. Deutschlands bösartigster Massenverlag, der meint, er dürfe gegen eine einmalige Zahlung von 25 Euro mit einem Text tun und lassen und verdienen, was ihm paßt, ohne dem Autor auch nur Bescheid zu sagen, ernennt sich zum Robin Hood der ausgebeuteten Künstler.

Und das alles zum Schutz des „Urhebers“. Mich als solchen sollte das eigentlich freuen, tut es aber nicht. Wenn ich nämlich in ein Lokal gehe, um eines meiner Lieder zu spielen, muß der Wirt dafür einen zwei- bis dreistelligen Betrag an die GEMA zahlen. Die gibt mir davon circa 0,5 Cent ab, teilt mir ab und zu in lustigen Briefen mit, ich hätte für irgendwas namens „MOD D“ oder „PHO VR“ einen Geldbetrag erhalten, den es als Münzen gar nicht gibt, und bezahlt dafür auch noch Porto. Mit „Schutz“ hat das offensichtlich wenig zu tun. Aber womit dann? Und was ist überhaupt ein „Urheber“?

Da gibt es mehrere Gruppen: einmal die wenigen Leute (oder ihre Erben), die erfolgreiche „Werke“ geschaffen haben. Die sind fein raus, weil sie tatsächlich jedesmal kassieren, wenn ihr Lied im Radio oder Fernsehen läuft, wenn jemand ihren Roman fürs Theater oder Kino inszeniert usw. Für diese Leute ist das Urheberrecht eine Art Perpetuum-mobile-Goldesel, der ihnen für die Idee oder Arbeit einiger Sekunden bis Tage ewigen Wohlstand garantiert, bis 70 Jahre nach ihrem Tod. (Klar, daß auch andere von so was träumen; daher wird immer wieder vor Gericht über ein paar Takte A-Dur/D-Dur/E-Dur gestritten, daher reklamieren inzwischen Leute ernsthaft ein Urheberrecht an Vogelzwitschern und Meeresrauschen.)

Dann die Leute, die nichts geschaffen, sich aber durch Tricks und Markt „Urheberrechte“ verschafft haben: die Verlage und sonstigen „Verwerter“. Die sind auch fein raus, weil ihnen noch nicht einmal jemand eine Obergrenze für ihren Anteil am Profit aus den fremden Werken setzt: Ein Immobilienmakler darf per Gesetz höchstens 6 Prozent des Erlöses selbst einstecken, der Musikmakler notfalls auch mal 90 Prozent. Kein Wunder, daß diese Leute am lautesten schreien: Wenn jemand sich ein Lied aus dem Internet runterlädt, verlieren sie zwar keinen Cent, könnten aber andernfalls noch viel mehr einschieben, ohne was dafür zu tun.

Dann gibt es noch den allergrößten Teil der Urheber, die von ihrem „Recht“ so gut wie oder gar nichts haben. Die schreiben mal ein Lied oder Buch, das wenig Leute kaufen, und leben von anderen Jobs oder bestenfalls Konzerten, Lesungen und den vielen Stipendien, Preisen und Almosen, von denen Künstler nun mal leben, weil ihrem Schaffen kein betriebswirtschaftlich faßbarer „Wert“ innewohnt. Und wenn ihr Lied mal im Radio läuft oder sie es auf der Bühne vortragen, dann kassiert dafür die GEMA und gibt das Geld zum Großteil an Bohlen und Siegel weiter, weil von denen mehr im Radio läuft und es viel zu kompliziert wäre, das genau auszurechnen.

Und schließlich kommen wir zum weitaus größten Teil der tätigen Künstler, die keinerlei verwertbare Rechte haben, weil sie keine „Urheber“ sind und niemals werden: Interpreten (vom Dirigenten über den Orchester- und Studiomusiker bis hin zum Klampfenheini in der Fußgängerzone und dem Weltstar, der anderer Leute Lieder singt), Film- und Bühnenschauspieler, Discjockeys, Rezitatoren, Übersetzer, Jongleure, Pantomimen, Synchron- und sonstige Sprecher, Bearbeiter, Performancekünstler, Vorleser, Toningenieure usw. usf. Ganz zu schweigen von all denen, die auch keine Künstler sind: den Ingenieuren etwa, die die Konstruktion oder das Design erfinden und entwerfen, mit denen der Konzern dann Milliarden scheffelt, während sie ein Gehalt bekommen und bei der nächsten Umstrukturierung gefeuert werden.
All diesen Leuten, die kein solches „Recht“ oder zumindest nichts davon haben, sondern dafür bezahlen, könnte der ganze Schmarrn mit dem „Schutz“ der „Urheber“ bei genauerer Betrachtung ziemlich piepegal sein – wenn es eben nicht sie wären, die dafür bezahlen und damit rechnen müssen, überwacht und bei versehentlichen oder absichtlichen „Verstößen“ drakonisch bestraft zu werden. Für den „Verbraucher“ (der, und das macht das alles unter kapitalistischen Aspekten so kompliziert, Kunst jedoch nie und nimmer „verbrauchen“ kann) ist der ganze Stiefel ein vollkommen anderer, aber dazu bei Bedarf gerne mehr in zwei Wochen.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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