Belästigungen 09/2015: Vom Kirschbaum, den Liebenden und der Frage, was passiert, wenn alle das Richtige tun

Der Mensch ist so versessen auf Sensation und Neuklimbim, daß ihm bisweilen aus dem Hirn rutscht, wie wunderbar wundersam und glückbringend die und ausschließlich die Dinge sind, die immer (fast) gleich wiederkehren (und die einem im täglichen Geplümpel der Gesellschaftsdampfmaschine deswegen ebenfalls aus dem Hirn flutschen).

Oder so: Wenn der Kirschbaum blüht und man mit dem Lieblingsmenschen unter dem leuchtend weiß beschäumten und beflockten, vom Vogelvolk mit Tirili umwobenen Geäst im Gras liegt, tut, was Liebende seit Jahrmillionen tun, „Belästigungen 09/2015: Vom Kirschbaum, den Liebenden und der Frage, was passiert, wenn alle das Richtige tun“ weiterlesen

Belästigungen #430: Ich bin nur ein Symbol, mein Schatz!

„Warum liest du das?“ frage ich das Mädchen, das am Nebentisch sitzt und ein Taschenbuch von Thomas Mann liest und dabei schaut, als wären die Buchstaben zu klein oder irgendwie frech. Über uns leuchtet der Himmel, wie er das im Februar am frühen Nachmittag tut: golden, weiter entfernt, als es scheint.

„Ich mag seine Symbolik“, sagt sie und blickt mich an wie eine überraschend erblühte Blume auf einer winterlichen Wiese.

„Oh“, sage ich und weiß nicht weiter. Eine Horde von Vögeln fliegt plötzlich auf und bildet für einen flüssigen Augenblick eine Sichel um uns, die sich als Wolke auflöst. „Belästigungen #430: Ich bin nur ein Symbol, mein Schatz!“ weiterlesen

Periphere Notate (6): Auswege

Wenn A eine Liaison unerträglich zu werden begann, überließ er es seiner jeweiligen Partnerin, aus der Empfindung wachsender Unerträglichkeit der Liaison heraus die Suche nach einem neuen Partner einzuleiten, heimlich zunächst, bis ein gewisses Maß an Kompatibilität festgestellt war, und ihm dann – manchmal bedauernd, oft in Vorfreude schwingend – mitzuteilen, daß die Liaison beendet sei. Das ersparte es A, selbst entsprechende Ränke zu schmieden, die er grundsätzlich als schmutzig und unaufrichtig und in den seltenen Fällen, da sie sich auf eine kurze elektronische Mitteilung beschränkten, als gerade obszön widerwärtig empfand, aber in Anbetracht der Unerträglichkeit der Liaison pragmatisch begrüßte. Es erstaunte ihn indes immer wieder, mit welch glühender Rachsucht ihm seine jeweiligen ehemaligen Partnerinnen hinterher (wenn ihre neue Beziehung auf ähnliche Weise gescheitert, er jedoch aufgrund einer angeborenen Neigung zur Gleichgültigkeit und wegen des Wegfalls der mit der Liaison einhergehenden Verpflichtungen, Verantwortungen und Auseinandersetzungen überaus glücklich war) nachstellten, mit bösen Gerüchten, eifersüchtigen Blicken bei „zufälligen“ Begegnungen und wütenden Briefen. Was habe ich dir getan, wo du doch mich verlassen hast? fragte er sie dann im stillen und wußte es doch: Er hatte seiner jeweiligen ehemaligen Partnerin bewiesen, daß er ohne sie glücklich sein konnte, sie jedoch nicht ohne ihn. Dieser etwas schale Triumph konnte den viel tiefer in ihm brennenden Schmerz allerdings nur augenblickweise lindern.

Belästigungen #413: We will burn it and dance in the smoke (ein Sommeridyll)

Am heißesten Tag des Jahres, dem 19. Juni 2013, sitze ich in der Abenddämmerung bei 34 Grad mit lieben Menschen am nördlichen Rand der Münchner Stadt um eine Feuerstelle, die niemand entzünden will, weil es dafür viel zu heiß ist. Am Horizont schmilzt die Sonne wie eine Kugel Vanilleeis in grell orangeroter Rhabarber-Pfirsichsauce.

Unser Gespräch dreht sich im wesentlichen um Pläne für den Sommer: noch mehr lustige, spannende, schöne, hin-, mit- und umreißende Sachen erleben, Bier trinken, Sex haben, Drogen nehmen, geile Musik hören, in kristallperlenden Seen und Flüssen schwimmen, den blauen Himmel überstrahlen und in Gewitterschauern nackt auf der Straße tanzen.

„Ab morgen“, sagt J, dreht ihre Flasche um und läßt den Rest Bier bedeutungsvoll in einem Ameisenloch versickern, „ab morgen werden die Tage wieder kürzer.“ „Belästigungen #413: We will burn it and dance in the smoke (ein Sommeridyll)“ weiterlesen

Belästigungen #412: Vermischte Neuigkeiten zum Dilemma der Körperöffnungen

Daß der menschliche Körper Öffnungen hat, ist an sich eine segensreiche Fügung, das muß man nicht extra betonen: es wäre ein Elend, wenn eine ganze Biergartenbesatzung hungertriefend und durstzerknittert vor Schenke und Auslage stünde und die Schweinshaxen nicht mal riechen könnte, geschweige denn hinunterspülen, weil sich die Evolution den Jux gemacht hätte, Nase, Mund und Restkörper als in sich geschlossenes System zu konzipieren.

Indes will es gelernt sein, mit der Semipermeabilität des eigenen Echtwelt-Avatars umzugehen. Das klassische Beispiel für sozusagen intuitive Souveränität wäre die legendäre Zeitungsmeldung, derzufolge ein blinder Inder (der vielleicht ein Chinese oder Alabamer war, aus poetischen Gründen aber ein Inder sein sollte) sich einst in den Kopf schoß, um seiner elenden Existenz ein Ende mit Hoffnung auf Wiedergeburt als Pandabär oder Milliardär zu bereiten. Leider oder zum Glück führte der Schuß nicht zum Exitus, sondern quasi eine hirnchirurgische Operation durch: Nach kurzer Bewußtlosigkeit erwachte der vormals blinde Suizidant, konnte plötzlich sehen und wurde vollends irrsinnig angesichts einer Welt, die seine schlimmsten Vorstellungen exponentiell übertraf. „Belästigungen #412: Vermischte Neuigkeiten zum Dilemma der Körperöffnungen“ weiterlesen