Frisch gepreßt #356: Diverse Interpreten „Für Hilde“

Es ist schon schwierig mit den Deutschen. Setzt man an einem imaginären Cafétisch Marilyn Monroe und Hildegard Knef nebeneinander, wird man ahnen, was ich meine. Dabei hätten (und haben) sich die beiden möglicherweise gut verstanden; schließlich ist Filmen eine höchst episodische, ganz normale Tätigkeit: Man wartet, stellt sich unter Lampen vor eine Kamera, führt ein paar Sekunden lang Bewegungen und Sprechakte durch, wartet wieder. Leider umwolkt das Berufsfeld ein diffuser Nebel aus Mystifizierung und Mythisierung, der dazu führt, daß man die Darsteller mit den Dargestellten mindestens ideell identifiziert und diese dem Strudel der Nimbusbildung im Zweifelsfall selber auf den Leim gehen.

Unsere beiden waren fast gleich alt (die Knef ein halbes Jahr älter), und zieht man die nationalen Differenzen ab, verlief ihre frühe Karriere sehr ähnlich. Allerdings: die nationalen Differenzen, eben: Dort ein mythologisches Selfmade-Amerika, in dem eine uneheliche Halbwaise nach einer katastrophalen Jugend via „Entdeckung“ (in einer Rüstungsfabrik) als Animations-Model für Kriegspropaganda mit 20 „Nachwuchsschauspielerin“ wird. Hier ein mit der Zerstörung von ganz Europa beschäftigtes deutsches Reich, in dem die mittelständische Tochter eines an Syphilis verstorbenen Kaufmanns noch in den letzten Kriegsjahren zur Schauspielerin ausgebildet wird, in Filmen auftritt, die niemand sehen kann, über Kabarett und Theater in den ersten Nachkriegs-Kinohit gerät („Die Mörder sind unter uns“, 1946). 1948 sitzen beide mit Verträgen in Hollywood fest: Monroe darf für wenig Geld wenigstens ab und zu als Kleindarstellerin auftreten, Knef kriegt jede Woche einen hübschen Scheck, aber keine Rollen.

Dann kam hier „Die Sünderin“, der Skandalfilm des Jahres 1951, dort „All ABout Eve“ und der Rummel um ein Nacktfoto – plötzlich waren beide Stars und bei derselben Firma unter Vertrag, drückten ihre Hände und Füße in den Zement vor Grauman’s Chinese Theatre und traten auch als Sängerinnen hervor: „Diamonds Are A Girl’s Best Friend“ versus „Ein Herz ist zu verschenken“.

Und damit trennen sich die Wege. Glamour, Selbststilisierung, Weltruhm, Overkill und früher Tod dort, Kunst bis Gekünstel, geplatzte Verträge, Verzettelung im Mittelmaß, Flops und privater Wirrwarr hier. Als Monroe tot war, wurde Knef zur Starsängerin, deren unverwechselbare Mischung als Bräsigkeit und Bratzigkeit, aus unbeholfener Verletzlichkeit und hölzernem Grobgefühl, aus trampeliger Pampigkeit, ironisiertem Schnodder, Rauchschärfe, Stolpermelodien und splitterndem Charme sie als fast konkurrenzlose Regentin in dem merkwürdigen Genre des teutonischen Chansons von 1963 bis 1970 ungeheure Erfolge feiern ließ. Danach wurde die „beste Sängerin ohne Stimme“ (Ella Fitzgerald) als autobiografische Buchautorin noch berühmter, stürzte sich in Klein- bis Großkriege gegen Boulevardmedien und Exehemänner und floh als ungeschickt geliftete Skandalnudel nach Los Angeles, wo man sie dann relativ schnell vergaß, trotz oder wegen Kurzzeit-Comebacks mit Extrabreit (1992) und Till Brönner (1999), die vor allem die Bandbreite ihres Mangels an Fingerspitzengefühl dokumentierten. 2002 war die lange Reise zu Ende.

Ohne Zweifel: ein Jahrhundertleben, Stoff für tausend Geschichten und eine nicht geringe Zahl bemerkenswerter Lieder, die man zum 90. Geburtstag gerne mal wieder neu interpretieren darf. Nachdem „Ihre Lieder sind anders“ 2005 (u. a. mit Tom Liwa, Stereo Total und Paula) die abseitigeren Facetten des Knefschen Werks erkundete, ist diesmal mit Mark Forster, Fanta 4, Samy Deluxe, Miss Platnum, Clueso und dem unverweidlichen Bela B. eher der Mainstream dran. Das ist weniger spannend, trotzdem über weite Strecken zumindest interessant und auf seine Weise ja auch eine Art Indiz für die Zeiten und wie sie sich ändern (und in anderer Hinsicht immer gleich bleiben).

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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