Belästigungen #405: Hilfe, ich habe einen digitalen Kinderwunsch!

Eine Bekannte von mir erlebte erstaunliche Abenteuer mit Internet-Dating-Seiten. Jedes Wochenende traf ein mittelalter Bursche mit Koffer oder Tasche bei ihr ein, aus Dinslaken, Grevenbroich, Visselhövede oder Stuttgart. Mit dem ging sie essen, in Konzerte und Museen und lotete zwischendurch die Möglichkeiten einer Lebenspartnerschaft aus. Zwei von den Burschen kamen mehrmals. Bei dem einen stellte sich heraus, daß er bereits verheiratet war: Seine Frau rief die Bekannte an, ob sie die Kinder am Hauptbahnhof abholen wolle. Der zweite kam eines Tages nicht, weil er wegen Kreditbetrug inhaftiert worden war. Die optimistische Freundin konnte das nicht verdrießen; sie präsentierte mir auf ihrem Laptopbildschirm freudig immer neue Optionen: Männer mit Haarausfall in unterschiedlichen Stadien und Gesichtern, die bei Ikea als Eierbecher erhältlich sind. Egal, sagte sie, sie habe nun mal einen Kinderwunsch, und ein solcher Eierbechermann laufe ihr wenigstens nicht bei der nächsten Gelegenheit davon.

Dann verließ mich meine sogenannte Partnerin, und die Schwärmerei der Bekannten über ihre Internetdates wurde vehement. Ich müsse das unbedingt probieren, sagte sie. Meinen Einwand, ich wolle von Frauen erst mal nichts mehr wissen, tat sie mit einem wehmütigen Blick und dem Hinweis ab, ich solle nicht so romantisch sein. Ich sagte, ich könne mir nicht vorstellen, daß es lebende Menschen gebe, die sich zum Flirten in der Unterhose an den Computer setzen und Formulare ausfüllen, und wenn doch, dann wolle ich mit diesen Menschen jedenfalls nichts zu tun haben.

Weil ich mich so stur wehrte, wollte sie mir einen Gefallen tun und meldete mich ohne mein Wissen bei einer Internet-Dating-Seite an. Davon erfuhr ich erst, als mich eines Tages eine Mail mit dem Betreff „Neue Nachricht für Sie!“ erreichte. Man teilte mir mit, ich hätte eine Kontaktanfrage von „Susi123“ erhalten und müsse nun den nächsten Schritt tun.

Ich beschloß, Susi123 eine Chance zu geben. Um ihre Nachricht lesen zu können, mußte ich allerdings zunächst 19,90 Euro auf ein Konto in Luxemburg überweisen. Ich hatte nicht viel Erfahrung mit Prostitution, wußte jedoch, daß in anderen Bereichen der Branche wesentlich höhere Preise verlangt wurden, selbst wenn man nur „reden“ wollte. Dann erstellte ich mein Profil. Da ich kein Foto von mir besaß, auf dem ich so aussah, wie ich mich aus dem Spiegel kannte, lud ich aus dem Internet ein Bild des jungen Robert de Niro runter, auf dem er mir ähnlicher sah als sich selbst.

Susi123 sah auf ihrem Bild aus wie Scarlett Johansson, was meine Neugier wachsen ließ. Was ich sonst von ihr erfuhr, war weniger erheblich: Alter 26, normale Größe, normale Figur, blaue Augen, Aussehen: „attraktiv“. In ihrer Nachricht fragte sie, ob ich mit ihr Kontakt aufnehmen wolle – was ich etwas ungeschickt fand, schließlich hatte sie ja bereits Kontakt mit mir aufgenommen – und ob ich einen Kinderwunsch hätte.

O ja, antwortete ich, und zwar nicht nur einen: Matchbox-Autos! eine Piratenpistole! Donald-Duck-Hefte! Im übrigen sei ich ein ganz normaler Mann und an Kontakten immer interessiert, selbst wenn es nur ums „Reden“ gehe.

Vielleicht war ich zu ungeduldig: In den folgenden Wochen wurde ich überschwemmt mit Kontaktanfragen von Frauen höheren Alters, die auf ihren Fotos aussahen wie die Behälter, in denen man Milch aus dem Allgäu nach Holland transportiert, und die ich als offensichtliche Irrläufer ignorierte. Dann lief mein „Probeabonnement“ aus, ohne daß Susi123 geantwortet hätte. Ich war so frustriert, daß ich am letzten Abend doch noch eine der Milchtransporteranfragen beantwortete: Ich schrieb an „KuschelxxFl“, ich sei an Sex interessiert und ob sie nicht heute abend nach München kommen wolle. Da die Angeschriebene in Flensburg wohnte, fühlte ich mich einigermaßen sicher.

Tatsächlich bekam ich eine Antwort, allerdings von einer Danielle, die sich als „Administrator“ bezeichnete und mir mitteilte, mein Profil sei wegen Unangemessenheit gelöscht worden.

Meine Bekannte hatte mehr Glück: Kurz darauf erzählte sie, sie habe einen seriösen Bewerber gefunden, mit dem sie zusammenziehen und umgehend an der Erfüllung des gemeinsamen Kinderwunsches arbeiten werde. Sie wünschte weiterhin Glück beim Internetdaten und riet mir, ich solle mich vor unseriösen Spaßvögeln in acht nehmen, die mit Bildern von Models und Schauspielern Jagd auf Unbedarfte machten. Weil sie mich gar so wehmütig ansah, fragte ich, ob sie wirklich glücklich und verliebt sei. Da schaute sie noch sehnsüchtiger und sagte, Verliebtheit sei ein romantischer Unsinn. Und weil ich jetzt doch neugierig wurde, wollte ich wissen, unter welchem Namen sie eigentlich bei dem Datingportal angemeldet gewesen sei.

„Susi123“, sagte sie, und aus ihrem rechten Auge rollte eine winzige Träne, die sie schnell abwischte, als es an ihrer Tür läutete und freudestrahlend ein glatzköpfiger Mann mit Koffer und Eierbechergesicht ins Haus stürmte. Zwei Wochen später half ich beim Auszug.

Dann hörte ich lange nichts von meiner Bekannten. Erst nach einem guten Jahr kam eine Mail, in der sie mir von der Geburt ihres Sohnes Anton berichtete. Das Kind sei gesund, die Wohnung in einem Neubauviertel in Wuppertal bezahlbar und hell, der Mann viel auf Reisen, ihr gehe es gut.

Ich habe nicht geantwortet. Das Baby auf dem beigefügten Bild hatte einen irgendwie wehmütigen Blick.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

Eine Antwort auf „Belästigungen #405: Hilfe, ich habe einen digitalen Kinderwunsch!“

  1. Na, wie geht’s dir denn so? Kannst du mir am kommenden Wochenende beim Umzug helfen? Bernd, Anton und ich fliegen Freitag Mittag an die Riviera und den zwei Typen vom Studentenhilfswerk trau ich nicht so richtig.

    Danke!!1

    P.S. Bitte auch den Kühlschrank vollmachen, damit am Montag Morgen bei uns alles glatt läuft.

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