Sogenannte Kulturexperten rufen in letzter Zeit gerne mal eine „neue Ernsthaftigkeit“ aus und führen als Beleg das eine oder andere Produkt aus den aktuellen Programmen deutscher Großverlage an. So lächerlich und idiotisch derartige Epochenhubereien auch sind, man kann sie doch irgendwie verstehen, schließlich überbieten sich dieselben Großverlage regelrecht und –mäßig darin, den Rest ihrer wuchernden Kataloge mit eilverschrifteten Comedynummern, Lebenshilfepersiflagen und allen nur denkbaren Erscheinungsformen ranziger Ironie zuzuschäumen, deren Lachzwangfaktor so unendlich unerträglich ist, daß man sich die Haare ausreißen und ein Grundschulpflichtfach Melancholie und Welthaß einführen möchte. „Krach und Wahn (Popmusiktexte aus vielen Jahren): NRFB „Trüffelbürste““ weiterlesen
Frisch gepreßt #432: Udo Lindenberg „Zeitmaschine“
Popmusik ist suizidgefährdet. Ach was, gefährdet – sie ist dabei (und bei diesem Versuch schon sehr weit fortgeschritten), Selbstmord zu begehen bzw. den Freitod zu suchen, je nachdem, wie man dieses ultimative, (in diesem Falle: höchstwahrscheinlich, ansonsten unbedingt) irreversible Vorgehen moralisch einschätzt. Nämlich ist jede rebellische, romantische, subversive, provokante und sonstwie (oder nicht) relevante Geste, die sie in den knapp hundert Jahren ihrer Wirkungsgeschichte in die Welt setzte, nicht etwa als solche in die (unzuverlässige und verwehende) Erinnerung eingegangen, wie
sie das bis etwa 1991 zu tun schienen. „Frisch gepreßt #432: Udo Lindenberg „Zeitmaschine““ weiterlesen
Frisch gepreßt #293: Bullfrog (s/t)
Manche Sachen verschwinden im Strudel der Zeiten so vollständig, daß, wenn sie plötzlich wieder auftauchen, man sich verblüfft fragt, wo sie die ganzen 35 Jahre waren. Wie diese Band, diese phantastische Band, die wir damals im Theatron … Nein, da holen wir jetzt weiter aus.
Was das für ein Sommer war, ab Mai: dreißig Grad, Geschichtsstunde über den Vietnamkrieg, der gerade ein Jahr her ist; Diskussionen über Atomkraftwerke, fremde Planeten, rätselhafte Mädchen und die Fußball-EM – ganz Giesing hallt nachts von den entsetzten Schreien über Hoeneß’ verschossenen Elfmeter; nach den Pfingstferien hitzefrei bis Ende Juli, jeden Tag. 99 Pfennig für einen Liter Eis im verlassenen Schulhof, ein Bier in der schwülen Dämmerung, leichter Schwindel beim Fußballspielen, wie schwebend; lachen bis die Sonne untergeht, fast Mitternacht, plötzlich Stille zum Flüstern, paar Pfützen um den Wasserhahn im Pfarrgarten, mit gelben Rändern vom Blütenstaub; oder ist das Wüstensand, wie die Bildzeitung mit rotem Kopf meldet? „Frisch gepreßt #293: Bullfrog (s/t)“ weiterlesen