Periphere Notate (2)

In stillen Momenten dachte A., daß Frau W., deren ekstatische Begeisterung seine Duldsamkeit bisweilen arg strapazierte, möglicherweise weniger an seinem Körper als am Erlebnis der eigenen ekstatischen Begeisterung interessiert war. In solchen Momenten beschloß er, es werde besser sein, die Sache schnell zu Ende zu bringen, brachte die andere Sache dann jedoch so wenig schnell zu Ende, daß er die spontane Empfindung hatte, sich entschuldigen zu müssen, obwohl doch er derjenige war, dem etwas vorenthalten wurde, wenn überhaupt.

Periphere Notate (1)

Als der Frühling anbrach, stellte A., zunächst erstaunt, fest, daß er sich von der Welt entfernte. Er führte dies nach eingehendem Nachdenken darauf zurück, daß ihm die Lektüre der täglich eintreffenden Zeitung nur in der Badewanne möglich war, vielleicht weil er damit einen symbolischen Reinigungsprozeß verband. Nun stapelten sich die Zeitungen auf dem Küchentisch und wurden elfenbeinfarben, was A. indes nicht weiter störte.

Belästigungen #408: Wer zu spät klopft, den bestraft der Müllstrudel

Der moderne Nomadenmensch wird nicht nur von den sogenannten „Arbeitgebern“ und ihren staatlichen Knechtungsknechten in der Gegend herum mobilisiert, sondern kriegt, wenn er mal einige Zeit in einem Nest sitzt und nichts besonderes zu tun hat, sofort den Rappel und will woanders hin. Weil alte Witze witziger wirken, wenn sie aus neuen Hälsen dringen, und weil heutzutage jeder unablässig auf der Suche nach einem „Selbst“ ist, das darin besteht, von anderen bespaßt zu werden, bis ihnen nichts mehr einfällt und man sie ersetzen muß.

Meistens bleibt dabei irgendwas zurück – ein Haufen Gerümpel, alte Socken und kurzzeitig verschnupfte Ex-Existenzabschnittsbespaßer, die, damit sie sich ebenfalls „neu orientieren“ können (Geschlechtsorgan ist Geschlechtsorgan, sagt der Biologe; neu ist Chance, sagt der Betriebswirt), den Krempel loswerden müssen, damit er endet, wo alles endet: im „Großen Pazifischen Müllstrudel“ oder einem seiner kleineren Gefährten. „Belästigungen #408: Wer zu spät klopft, den bestraft der Müllstrudel“ weiterlesen

Beim Schreiben eines Romans … (4)

„Was soll das heißen: Du fühlst dich wertlos?“

„Das heißt genau das: Ich bin wertlos. Sie hat mich einfach weggeworfen, also habe ich keinen Wert.“

„Ach.“

„Ja.“

„Du bist also so eine Art Accessoire. Ein Gegenstand.“

„Natürlich nicht. Wieso?“

„Nur Gegenstände sind was wert. Und du meinst, sie hat dir den Wert genommen, den sie dir zuvor gegeben hat.“ „Beim Schreiben eines Romans … (4)“ weiterlesen

Beim Schreiben eines Romans … (3)

„Was hat dich an ihr am meisten gestört?“

„Ihre Arbeit. Ihre Einstellung zur Arbeit. Daß sie ihr so wichtig war, daß sie sich dafür aufgeopfert hat. Nein, das klingt blöd. Daß sie umsonst Überstunden gemacht hat und die Zeit nicht lieber mit mir verbringen wollte.“

„Was war ihr so wichtig an der Arbeit?“

„Ich weiß es nicht. Es war wohl so was wie Pflichtgefühl. Sie wollte die anderen nicht im Stich lassen und hat nicht gemerkt, wie sie ausgenutzt wird.“

„Die anderen?“ „Beim Schreiben eines Romans … (3)“ weiterlesen

Das Horoskop spricht:

Stopp! Sie brauchen Ruhe und Entspannung. Schön und gut, dass Sie Mars ordentlich pusht, aber vergessen Sie den Ausgleich nicht. Die herrliche Venus beschert Ihnen ein romantisches Abenteuer. Ideal für alle Singles, die sich schon eine Weile eine neue Beziehung wünschen.

Beim Schreiben eines Romans … (2)

„Es gibt kein Früher“, schrieb er. „Entweder gibt es ein Immer, oder es gibt gar nichts. Abstand schafft Abstand. Wenn die Nähe verschwindet, kann man sich nie mehr daran erinnern, weil sie aus nichts besteht als Unbemerktem.“

Frisch gepreßt #290: Wire „Change Becomes Us“

Es gab eine Zeit, da wagte sich die Popmusik ganz weit vor und ganz weit hinaus. Was im Großen nach mehr klingt, als es bedeutet: Freilich war auch das eine Zeit, da sich die Popmusik gar nichts traute und nirgendwohin wollte. Eine Menschheit wogte um den Planeten, verrichtete ihre Verrichtungen und hörte dazu Bruce Springsteen, Van Halen, die Bee Gees, Abba und Disco und massenweise Autoradioballaden für Herzamputierte. Rod Stewart heiratete ein Blondchen, und in den sommers brachliegenden Stadien verrichteten Altrock-Institutionen ein freudloses Rumpfwerk, von Black Sabbath (ohne Ozzy Osbourne) bis The Who (ohne Keith Moon).

Aber das war eben nicht alles; in dem großen, weiten und strahlend weißen Schatten, den der Punkrock nach seiner Implosion im Sommer 1977 hinterlassen hatte, erblühte nicht nur das entzückend infantile Kinderbeatles-Theater von The Knack, sondern da öffneten sich Türen und Tore, wo vordem Mauern  gewesen waren, und manche, ja, die wagten sich ganz weit vor und ganz weit hinaus. „Frisch gepreßt #290: Wire „Change Becomes Us““ weiterlesen

Belästigungen #407: Wenn das Fragezeichen bös vibriert, gibt die Antwort die Faust

Wenn der Mensch spinnt, gibt er ein Zeichen, pflegte meine Oma zu sagen. Ich füge hinzu: Wenn es ihm das Hirn komplett verdröselt und er gar keinen Weg hinaus mehr sieht aus dem Wirr, dann gibt er ein Fragezeichen. Weil das Fragen (scheinbar) weniger peinlich ist als sich hinzustellen und zu plärren: „Kann bitte jemand die Zukunft wieder in Gang setzen, damit ich vorankomme und diese peinliche Gegenwart verlassen und vergessen kann?“ Was im Grunde auch eine Frage wäre, aber eine sogenannte rhetorische, auf die man keine Antwort, sondern ein „Handeln“ (A. Merkel) erwartet; egal, es wird sowieso nicht geäußert, eben.

Statt dessen: „Nichts wissen, aber fragen!“, wie man dem nervtötenden Zufallsgast am Tresen zu attestieren pflegt, wenn er nicht mehr aufhört, das gesamte „Bist du öfter hier?“-Repertoire herunterzukurbeln und zwischendurch ein paar Deklarationen aus dem „Nämlich!“-Genre hineinzuwürzen. „Belästigungen #407: Wenn das Fragezeichen bös vibriert, gibt die Antwort die Faust“ weiterlesen

Das Horoskop spricht:

„Warum haben Sie noch immer nicht die unterschwelligen Probleme mit dem Partner besprochen? Die aktuellen Planetenkonstellationen weisen Sie darauf hin, dass der Zeitpunkt für ein offenes Gespräch absolut günstig ist, verschiedene Dinge abzuklären.“

Beim Schreiben eines Romans …

Ich bin zwanzigtausend Figuren
vor dem Spiegel, Sternstaubspuren
in Kristallen (Lichterhuren)
und wir fallen, fallen, fallen –
fang mich auf
Ich weiß, das geht nicht,
fällst ja mit, nur seitwärts weg in neue Wege,
ich: ins Dunkel
der Figuren, die als Schatten mich umtanzen, Höllenhuren, Nachtangstspuren,
vor dem Spiegel:
Wer ist das? Das bin, nein: ist nicht „ich“.

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Belästigungen #406: Holdrio, wer rettet die Welt? (eher der Nichtstuer als der Held)

Ich solle, sagte mir ein aufmerksamer Leser, nicht mit Marginalien meine Zeit verschwenden, sondern mich den Dingen widmen, die wirklich zählen. Gemeint war nicht der zählende Papagei aus einer meiner liebsten Donald-Duck-Geschichten (die ist wahrscheinlich eine Marginalie), sondern das, was von „Bildzeitung“ und taz gerne zu „Helden“ ausgerufene Menschen hauptberufungsmäßig tun: die Welt retten!

Oho. Da stellen sich ein paar Fragen. Wenn 99% der Menschheit hauptberuflich damit beschäftigt sind, die Welt so schnell wie möglich zu zerstören, ist es dann vernünftig, von der Menschheit zu erwarten, daß sie die Welt rettet? Auf mich wirkt das so, wie wenn jemand in eine Hühnerbraterei hineinstürmt, sich ein Hendl einpacken läßt, mit dem Taxi in die Tierklinik fährt und dort einen idealistischen Veterinär sucht, der das Tier heilt. Zweitens: Wenn die Menschheit alles daran setzt, die Welt zu zerstören, wer wäre dann für jemanden, der die Welt retten möchte, der logische Hauptgegner? „Belästigungen #406: Holdrio, wer rettet die Welt? (eher der Nichtstuer als der Held)“ weiterlesen

Belästigungen #405: Hilfe, ich habe einen digitalen Kinderwunsch!

Eine Bekannte von mir erlebte erstaunliche Abenteuer mit Internet-Dating-Seiten. Jedes Wochenende traf ein mittelalter Bursche mit Koffer oder Tasche bei ihr ein, aus Dinslaken, Grevenbroich, Visselhövede oder Stuttgart. Mit dem ging sie essen, in Konzerte und Museen und lotete zwischendurch die Möglichkeiten einer Lebenspartnerschaft aus. Zwei von den Burschen kamen mehrmals. Bei dem einen stellte sich heraus, daß er bereits verheiratet war: Seine Frau rief die Bekannte an, ob sie die Kinder am Hauptbahnhof abholen wolle. Der zweite kam eines Tages nicht, weil er wegen Kreditbetrug inhaftiert worden war. Die optimistische Freundin konnte das nicht verdrießen; sie präsentierte mir auf ihrem Laptopbildschirm freudig immer neue Optionen: Männer mit Haarausfall in unterschiedlichen Stadien und Gesichtern, die bei Ikea als Eierbecher erhältlich sind. Egal, sagte sie, sie habe nun mal einen Kinderwunsch, und ein solcher Eierbechermann laufe ihr wenigstens nicht bei der nächsten Gelegenheit davon. „Belästigungen #405: Hilfe, ich habe einen digitalen Kinderwunsch!“ weiterlesen