Belästigungen 11/2015: Schleichende Demütigung zwischen Panzerbolidenampeln und sündigem Bauch

Einer der fiesesten Tricks moderner Herrschaft ist die schleichende Demütigung. Die sieht man zum Beispiel an Ampeln: Weil sich München aus Gründen der Propaganda als Stadt der Fußgänger und Radfahrer aufführen muß (um nicht am Ende „lebensunwert“ zu werden), weist man zum Beispiel unsere Straße als „Fahrradstraße“ aus. Das heißt, man klebt entsprechende Beschriftungen aus Plastikteer auf die Fahrbahn, die, wenn bei Temperaturen über null Grad Autos drüberfahren, nach ein paar Tagen unlesbar verschmiert sind, und stellt hier und da noch mehr Schilder auf, als sowieso schon herumstehen.

Ansonsten hat das Ganze keinerlei Wirkung. Die Autofahrer mit ihren Panzerboliden brettern mit dem Telephon am Ohr hindurch wie eh und je und stellen ihre Panzerboliden in die wegen den immer fetter werdenden Panzerboliden nötigen Querparkplätze so hinein, daß die auf den Bürgersteig flüchtenden Radler garantiert nicht mehr durchkommen (ebensowenig wie die Fußgänger, aber die haben ja in einer „Fahrradstraße“ sowieso nichts verloren), „Belästigungen 11/2015: Schleichende Demütigung zwischen Panzerbolidenampeln und sündigem Bauch“ weiterlesen

Frisch gepreßt #339: Vierkanttretlager „Krieg & Krieg“

Unser Rezensent hat ein ernstes Problem mit Bezugsdeppen. Bezugsdeppen, das sind Menschen, die, statt eine Sache zu würdigen, einen Bezug zu einer anderen Sache herstellen und sie damit abtun. Also zum Beispiel findet jemand eine wunderschöne Glasperle im Dreck an der Bushaltestelle, zeigt sie dem Bezugsdeppen, und der Bezugsdepp sagt: „Na ja, eine Perle halt. Sieht bißchen so aus wie die, die ich letztes Jahr im Wald gefunden habe. Hab ich weggeworfen, weil ich schon eine zu Hause hatte.“ „Frisch gepreßt #339: Vierkanttretlager „Krieg & Krieg““ weiterlesen

Belästigungen 10/2015: Ich und die Krakenschwester bei der Toten Armee (inkl. Farbeinspritzung und DNA-Kneifzange)

Die Finger sind manchmal kaum mehr als ein Werkzeug, das das Unterbewußtsein (oder das Überbewußtsein? Wer weiß so was schon!) einsetzt, um seinem Protest gegen die Zumutungen des Alltags ein Ventil zu verschaffen, das ordentlich zischt.

Das zeigt sich bei der Haupttätigkeit des modernen Tätigkeitlers: dem Drauftippen auf Tasten, wodurch angeblich sinnvolle „Informationen“ erzeugt werden, die man dann hinaussenden kann in die Welt, damit die Menschen zu informierten Menschen werden und ihre Lebensqualität ein Ausmaß erreicht, das vor dem Informationszeitalter ungeahnt war – also etwa im Garten Eden, dessen Bewohner über keinerlei Information verfügten, abgesehen von einem vagen botanisch-disziplinarischen Hinweis (und übrigens auch keinerlei Tätigkeit nachgingen). „Belästigungen 10/2015: Ich und die Krakenschwester bei der Toten Armee (inkl. Farbeinspritzung und DNA-Kneifzange)“ weiterlesen

Belästigungen 09/2015: Vom Kirschbaum, den Liebenden und der Frage, was passiert, wenn alle das Richtige tun

Der Mensch ist so versessen auf Sensation und Neuklimbim, daß ihm bisweilen aus dem Hirn rutscht, wie wunderbar wundersam und glückbringend die und ausschließlich die Dinge sind, die immer (fast) gleich wiederkehren (und die einem im täglichen Geplümpel der Gesellschaftsdampfmaschine deswegen ebenfalls aus dem Hirn flutschen).

Oder so: Wenn der Kirschbaum blüht und man mit dem Lieblingsmenschen unter dem leuchtend weiß beschäumten und beflockten, vom Vogelvolk mit Tirili umwobenen Geäst im Gras liegt, tut, was Liebende seit Jahrmillionen tun, „Belästigungen 09/2015: Vom Kirschbaum, den Liebenden und der Frage, was passiert, wenn alle das Richtige tun“ weiterlesen

Belästigungen 08/2015: Als wir da da waren, war da kein da da (oder: Das Schwarze Phantom und die Pizzakartons)

Ich konsumiere sehr selten Stoffe, die nicht zwingend legal sind. Also sagen wir: nur wenn ich nüchtern und ungestört bin, also circa alle zwanzig Jahre. Dann aber schon. Neulich zum Beispiel, da dachte ich: Oh, ich bin ja nüchtern und ungestört! Und habe überhaupt keine Lust mehr, mich damit zu beschäftigen, welche deutsche Herrenrassenkarikatur heute wieder in die Welt bellt, irgendein Grieche müsse seine Hausaufgaben machen und Hitler sei der neue Putin pi pa po. Da werde ich jetzt doch am besten mal das XY rausholen, das mir XY vor drei Jahren geschenkt hat, und das … ähem, na ja. Was ich damit tun wollte, darf ich ja nicht sagen, weil das eine Selbstanzeige wäre.

Tat ich aber. Zehn Minuten später, während ich grade herauszufinden versuchte, ob ich was spüre, klingelt es an der Tür. Draußen steht das Schwarze Phantom. „Belästigungen 08/2015: Als wir da da waren, war da kein da da (oder: Das Schwarze Phantom und die Pizzakartons)“ weiterlesen

Frisch gepreßt #338: Roland Hefter „I dad’s macha“

Es gibt so Menschen, an denen kommt man nicht vorbei, ohne ihnen wenigstens ein Lächeln entgegenzubringen und sich ein bisserl klein und unangemessen zu fühlen, weil sie so dermaßen sonnige Gemüter, patente Kerle und unwiderstehlich fröhliche Naturen sind, dabei aber marmoriert von der sanften Melancholie des Wissens um die Übel der Welt und einer grundanständigen Bescheidenheit, die sich auswächst zum Verständnis für die Geplagten und Verängstigten, denen sie ohne Protz und Trara zum Vorbild oder zumindest Mutanreger werden. „Frisch gepreßt #338: Roland Hefter „I dad’s macha““ weiterlesen

Belästigungen 07/2015: Schab an der Tapete und rette die Welt (und hör nicht auf den Teebeutel)!

Mein Teebeutel hat heute früh zu mir gesagt: „Du musst für etwas leben, dass (sic!) größer ist als du.“ Normalerweise ist es mir herzlich egal, was mein Teebeutel so plappert, schließlich plärren heutzutage die meisten Gegenstände, die einem im Laufe eines Tages über den Weg laufen, irgendwelche Botschaften in die Welt. So was blende ich automatisch aus.

In diesem Fall bin ich hängengeblieben. Vielleicht war ich zu früh aufgestanden und im frühvormittäglichen Dunzelzustand der entsprechende Mechanismus in meinem Gehirn noch nicht aktiviert, vielleicht war es auch der heutzutage ameisenmäßig über den gesamten landesweiten Textausstoß verbreitete Neusprechblödsinnsfehler, der sich wie ein fieser Spreißel in meine Aufmerksamkeit gebohrt hat. „Belästigungen 07/2015: Schab an der Tapete und rette die Welt (und hör nicht auf den Teebeutel)!“ weiterlesen

Thunders, Johnny (ein Lexikoneintrag)

Trug die höchsten (ernstgemeinten) Absätze der Menschheitsgeschichte und den wunderbarsten Künstlernamen, den man sich für einen Popstar erträumen könnte; dabei hieß er schon in Wirklichkeit Johnny Genzale und sah nicht einfach nur gut aus, sondern strahlte mit seinem Gesicht solche Mengen an verdorbener Unschuld, Einsamkeit, Tragik, Rebellion und Sex-appeal in die Welt hinein, daß daneben ein Würstchen wie James Dean wie ein behaarter Salzstreuer wirken mußte. Johnny Thunders war schon Gott, bevor er auch nur einen Finger an die Saite legte. „Thunders, Johnny (ein Lexikoneintrag)“ weiterlesen

Belästigungen 06/2015: Das gibt es auch als Buch! (inkl. Nabokov, Fix & Foxi und Lagerfeuer)

Wenn im frühen Frühling der weiche Regen die Fenster wäscht, verkrieche ich mich gerne in die Welt der gedruckten Buchstaben. Dies ist eine extrem verniedlichende Umschreibung für ein schlimmes Problem: die galoppierende Büchersucht, an der ich leide, seit ich eines Tages von einem lieben Menschen sozusagen die Einstiegsräuberleiter hingehalten bekam. Wir hatten uns gemeinsam einen schönen Film angeschaut, und sie sagte, das gebe es „auch als Buch“.

Eine unverschämte Untertreibung. Es gab den Film nicht etwa als Buch, sondern es gab ein Buch, aus dem irgendwer ein Filmchen herausgewrungen hatte, so wie man aus einer jahrelangen Beziehung ein „Fazit“ herauswringt oder Witzchen über Sex macht, von denen man in verzweifelten Momenten zwischen Klo und Tresen meint, sie seien genauso gut wie Sex. „Belästigungen 06/2015: Das gibt es auch als Buch! (inkl. Nabokov, Fix & Foxi und Lagerfeuer)“ weiterlesen

Frisch gepreßt #337: The Cribs „For All My Sisters“

Oft geht die Klage, es sei alles schon dagewesen und nichts neu. Vor allem aber sei alles nicht nur schon dagewesen, sondern ja immer noch da: 1964 zum Beispiel habe es den letzten Urknall (circa Elvis usw.) nur noch als ferne Erinnerung und auf ein paar zerkratzten Antiquitäten in Papas Kinderkoffer droben im Speicher gegeben – leichtes Spiel für Rolling Stones und Konsorten, denn mit so was läßt sich eine zünftige Teenagerrevolte nicht gestalten. „Frisch gepreßt #337: The Cribs „For All My Sisters““ weiterlesen

Belästigungen 05/2015: Vom plötzlichen Hervorblühen der Gegenwart aus der stillen, großen, leeren Welt

Es gibt Zeiten, da wird es plötzlich still. Da erwacht man vormittags in einen Tag hinein, der angeblich schon läuft, und hat beim ersten Blick aus dem Fenster das Gefühl, dieser Tag sei stehengeblieben, so wie der Wecker und die Küchenuhr, die man manchmal nicht aufziehen mag, weil sie ja doch jeden Tag das gleiche erzählen.

Da bleibt man dann stehen und betrachtet ihn, diesen stehengebliebenen Tag, in dem offenbar gar nichts passiert, und während man sich fragt, ob man vielleicht über Nacht in ein Paralleluniversum transferiert worden ist oder die Grüne Wolke verpaßt hat (das, liebe Leser, müßt ihr jetzt selber recherchieren), wird einem klar, daß der Tag gar nicht wirklich stehengeblieben ist (weil sich etwas bewegt: „Belästigungen 05/2015: Vom plötzlichen Hervorblühen der Gegenwart aus der stillen, großen, leeren Welt“ weiterlesen

Frisch gepreßt #335: Bilderbuch „Schick Schock“

Es gibt ja so vieles. Zum Beispiel gibt es auch Menschen, die sich an Popmusik abarbeiten, im reinsten und direktesten Wortsinn, weil sie zum Beispiel meinen, das, was an deutschsprachiger solcher Musik „relevant“ sei, komme 2015 (immer noch oder überhaupt) aus Berlin oder/und Hamburg oder/und irgendwo dazwischen. Die müssen sich dann zum Beispiel an Heinz Strunk und Jens Friebe abarbeiten und in das halbgare Wichtiggetue irgendwas hineinwichtigtun oder etwas daraus herausarbeiten, womit sie eine Zeitungsseite füllen können, inklusive Claim für den taz-Titel. „Frisch gepreßt #335: Bilderbuch „Schick Schock““ weiterlesen

Krach und Wahn (Popmusiktexte aus vielen Jahren) #2: The Futureheads „The Futureheads“ (2005)

Weil der Zeitgeist zur Zeit so geistert, druckte ein englisches Musikmagazin neulich eine Liste der 20 größten „Post-Punk“-Songs: „Permafrost“ (Magazine), „I Am The Fly“ (Wire), „I Found That Essence Rare“ (Gang of Four), „Complicated Game“ (XTC) – im emotionalen Gedächtnis einzementierte Unwiederholbarkeiten musikalischen Wagemuts aus der Aufbruchszeit von Herbst 1978 bis Herbst 1979, als im Windschatten der implodierten Punk-Rakete soviel Unerhörtes und Unfaßbares auf den Plattenteller kam wie nie zuvor und nie danach. Joy Division, Siouxsie & The Banshees, Cabaret Voltaire, Josef K, Suicide, Devo … Dekoriert ist die Liste mit zwei Photos: eins von den Talking Heads, eins von einem Quartett aus Sunderland, dessen Mitglieder damals noch nicht mal geboren waren – The Futureheads („Meantime“, Platz 7). Wie geht jetzt das? „Krach und Wahn (Popmusiktexte aus vielen Jahren) #2: The Futureheads „The Futureheads“ (2005)“ weiterlesen

Im Regal: Mark Twain „Meine geheime Autobiographie“

Eine Kindheit und Jugend ohne Mark Twain ist (nicht nur) für meine Generation unvorstellbar. Der „Wilde Westen“, Hintergrund so gut wie sämtlicher Rollenspiele und Tagträume, wäre ein in jeder Hinsicht schwarz-weißes, von blutleeren bis faschistoiden sozialstrukturellen Vorgaben geprägtes Terrain geblieben ohne jene zwei Ewigkeitsbücher, deren das erste und sowieso alles andere Verfügbare weit überragendes zweites mit dem so typisch ironisch verknäuelten Satz anhob: „Ihr könnt nichts von mir wissen, wenn ihr nicht das Buch über Tom Sawyer gelesen habt, aber das hat weiter nichts zu besagen.“ Ein solcher Satz bleibt hängen; der dreht sich wie ein Korkenzieher hinein in ein jugendliches Gemüt, das bald selbst kaum anderes mehr will als das: schreiben, Geschichten erfinden, Bücher machen, und wenn’s nur selbstgeheftete Broschüren mit blumigen Titeln ohne Inhalt sind. „Im Regal: Mark Twain „Meine geheime Autobiographie““ weiterlesen