Wie sich David Bowie einmal leicht verspätete (kein Nachruf)

Tage, an denen Alben von David Bowie erscheinen, sind für Menschen unserer Generationen lebensgeschichtliche Kerben, die der ersten Zigarette, dem ersten Orgasmus, dem ersten High, der ersten Trennung, der ersten Auslandsreise und der ersten Begegnung mit der großen Liebe mindestens nahekommen. Ich weiß noch, wie ich in den Fernseher gaffte, als „Aladdin Sane“ erschien: als hätte sich eines jener Portale in andere Universen geöffnet, von denen in „Raumschiff Enterprise“ immer nur geraunt wurde. „Wie sich David Bowie einmal leicht verspätete (kein Nachruf)“ weiterlesen

Im Regal: Umberto Eco „Nullnummer“

Seit „Der Name der Rose“ besetzt der ehemals als Semiotiker tätige Umberto Eco romanweise mit höchstem Erfolg ein Genre, das er selbst begründet hat: die Verbindung von Abenteuer- und Kriminalgeschichten mit historischen Tatsachen, Mythen, Textauslegungen/Zitaten und Verschwörungstheorien, die er allesamt so wild durcheinandermischt, daß daraus inzwischen weit über die Literatur hinaus eine Lieblingsbeschäftigung „postmoderner“ Weltdeuter geworden ist.

Das Rezept bleibt im wesentlichen gleich; der Reiz der Geschichten ist durchaus unterschiedlich und hängt davon ab, wie plausibel der weithin, aber nicht immer tief belesene Autor die Einzelstücke zusammenschraubt – und ob er es hinkriegt, seinen Hang zur Gschaftelhuberei und zum Protzen als Hansdampf in allen Infogassen zugunsten einer wenigstens einigermaßen interessanten Rahmenhandlung und mindestens ungefähr erkennbaren Protagonisten zu zähmen. „Im Regal: Umberto Eco „Nullnummer““ weiterlesen

Krach und Wahn (Popmusiktexte aus vielen Jahren) #3: Schnipo Schranke „Satt“

 

Das Interessante (wenn überhaupt) an moderner, nein, sagen wir: zeitgenössischer (um die entwicklungsfreie stilistische Beliebigkeit des entsprechenden Genres auf dem Kunstmarkt als Referenz herbeizuziehen) Popmusik ist ja im Normalfall nicht die Musik selbst, sondern wie sie zum Medien- und also überhaupt: Phänomen wird.

Dazu muß sie einerseits ziemlich normal sein, darf also weder intellektuell noch ästhetisch übertriebene (oder irgendwelche) Ansprüche an den erwünschten Rezeptor stellen, „Krach und Wahn (Popmusiktexte aus vielen Jahren) #3: Schnipo Schranke „Satt““ weiterlesen

Belästigungen 23/2015: Vom stetigen Fortschreiten ins immer Schlimmere (und wie man ihm seitwärts entkommt)

Ein guter Freund, dessen Beruf es ist, zum Zwecke der Aufklärung vor Fernsehkameras sogenannten wichtigen Menschen heikle Fragen zu stellen, wünschte neulich von einem Philosophen zu erfahren, ob es generell und überhaupt einen „Fortschritt“ gebe.

Eine durchaus interessante Frage, der kluge Menschen seit Jahrhunderten nachsinnen und dabei zu durchaus differenzierten, im Ergebnis aber eindeutigen Antworten kommen: Aber ja, es gibt ihn, den Fortschritt, und er führt immer zum Schlimmeren. Es ist dem Menschen, möchte man meinen, offenbar ins genetische Muster hineingeprägt, Erlösung aus dem Elend, in das ihn der Fortschritt hineingesemmelt hat, ausgerechnet wiederum von einem Fortschritt zu ersehnen. „Belästigungen 23/2015: Vom stetigen Fortschreiten ins immer Schlimmere (und wie man ihm seitwärts entkommt)“ weiterlesen

Frisch gepreßt #352: Beach House „Thank Your Lucky Stars“

Der Herbst ist der Bruder des Schlafs. Des Schlummers, durchwoben von Träumen und Erinnerungen, in denen sommerliches Gelächter, leise Tränen, zehrende Sehnsüchte und wolkige Leichtigkeit nachhallen wie aus einem Kino am Ende einer verlassenen nächtlichen Straße. Da erklingt auch Musik, die im Moment des Erklingens schon ertrinkt im tiefen Blau der Ewigkeit, in einem Pool, einem See aus Hall und Leere. Am Strand steht ein kleines Haus, in dessen Fenstern nachts Kerzen brennen.

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Frisch gepreßt #351: Ecco DiLorenzo & His Innersoul „Soultrain Babadee“

Ein dünner Mann geht durch die Stadt. Bisweilen bleibt er stehen und betrachtet versonnen belustigt das Treiben der Menschen, ihre Wichtigkeiten und Wimmeleien. Dann fremdelt er mal wieder, der dünne Mann, weil er nicht mittun mag und noch nie mochte bei dem Karussell der Konsumiererei momentaner Topprodukte, die sich ein paar Wochen lang neben den Kaufhauskassen und kaum ein paar Jahre später auf den Wühltischen stapeln. „Frisch gepreßt #351: Ecco DiLorenzo & His Innersoul „Soultrain Babadee““ weiterlesen

Belästigungen 22/2015: Ein paar abschließende Bemerkungen zu FJS (und dann ist eine Ruh!)

Neulich wurde ich von einem Leser gerügt, weil ich mich abfällig über den „größten Staatsmann der bayerischen Geschichte“ geäußert hätte. Gemeint war selbstverständlich Franz Josef Strauß, und gehen tat es darum, daß ich dessen postume Ernennung zum „Rebell“ durch ein Münchner Blödblättchen beanstandet hatte. Über die Toten, schrieb der milde zürnende Leser, sage man doch nichts Schlimmes.

Ja nun, das wäre zu diskutieren, eventuell anhand der Fallgeschichten von, sagen wir mal: Julius Caesar, Stalin und Andreas Baader. Personen der Historie werden es sich wohl oder übel gefallen lassen müssen, daß über sie wenn schon nichts Schlimmes und Böses, dann doch aber auch nichts unangemessen Löbliches, Reinwaschendes, Überhöhendes berichtet und erzählt wird. „Belästigungen 22/2015: Ein paar abschließende Bemerkungen zu FJS (und dann ist eine Ruh!)“ weiterlesen

Belästigungen 21/2015: Warum der Mensch ein Eichkatz ist (und weitere wirre Herbstgedanken)

In unserem Hof wohnt Herr Eichkatz. Daß es sich um einen männlichen Vertreter der Spezies Sciurus vulgaris handelt, schließe ich aus einer gewissen Irrationalität seines Verhaltens. So feiert er etwa den Anblick der täglichen Nuß auf dem Fensterbrett mit einem Tanz, der wie eine hyperbeschleunigte Mischung aus Fußballerjubel und Hardrockfestivalgymnastik (Gitarrensolo!) wirkt – von weiblichen Gattungsvertretern zumindest des Menschen kennt man exzessive Bewegung eher in der militärisch-straffen Fitneßstudiovariante.

Indes schnappt sich Herr Eichkatz die Nuß nicht etwa zum Zwecke des Verzehrs; vielmehr trägt er sie quer durch den Hof vors Fenster der Nachbarin, wo der Topf mit meiner Blumenerde steht, gräbt sie dort ein und vergißt sie augenblicklich. „Belästigungen 21/2015: Warum der Mensch ein Eichkatz ist (und weitere wirre Herbstgedanken)“ weiterlesen

Belästigungen 20/2015: Schöne Sachen kaputt: na und! Schlimme Sachen weg: au weia! (eine anthropologische Studie)

Wenn der Herbst kommt und Menschen wie ich in Züge steigen, um kreuz und quer durch Deutschland zu fahren, Texte vorzulesen und mit lustigen Menschen Bier zu trinken, geraten diese Menschen irgendwann in einen leicht surrealen Gemütszustand. Nämlich reist man weitenteils mit dem Zug heutzutage nicht mehr durch Deutschland, sondern durch Tunnels, dunkle unterirdische und graugeblechte oberirdische aus Lärmschutzwällen.

Die eigentümlich melancholische Monotonie dieses Anblicks wird nur ganz hin und wieder unterbrochen von Vorführungen zeitgenössischer Architektur, mit der man jene Landschaften vollmüllt, wo die Menschen abgelagert werden, die sich noch keine Tunnels und/oder Lärmschutzwälle leisten können. „Belästigungen 20/2015: Schöne Sachen kaputt: na und! Schlimme Sachen weg: au weia! (eine anthropologische Studie)“ weiterlesen

Frisch gepreßt #350: Robert Forster „Songs To Play“

Wenn Ende September der Föhn mit theatralischem Pathos (vermeintlich) endgültig zusammenbricht und der Herbst grimmig grummelnd seine bleiernen Plumeaus daherschiebt, versammeln sich die Menschen um die Feuerstelle und erzählen sich lustige und gruselige Geschichten. Wenn sie nicht auf Reisen gehen, was selbst der Autor dieser Zeilen, ansonsten nicht grundlos der exzessiven Stubenhockerei verdächtig, zu dieser Jahreszeit recht gerne mal tut. „Frisch gepreßt #350: Robert Forster „Songs To Play““ weiterlesen

Frisch gepreßt #349: Max von Milland „Bis dir olls wieder gfollt“

Der Max ist ein Schlawiner. (Ich bin auch einer, hi hi: Ich verpacke ein Geständnis in eine Allegorie; nämlich:) Ich habe mal mit ihm zusammen eine Bar bedient, heißt: Wir haben Getränke ausgeschenkt, und der Max hat den ganzen Abend sein entwaffnendes Lächeln durch den Raum getragen, das in diesem Fall Menschen den Mund (zum Lächeln) und den Geist (für Getränke) geöffnet hat. „Frisch gepreßt #349: Max von Milland „Bis dir olls wieder gfollt““ weiterlesen

Belästigungen 19/2015: Von James Dean zu Markus Söder – sechzig Jahre „Rebellion“

Daß Deutsch eine komplizierte Sprache ist, müssen nicht nur Ausländer feststellen, wenn sie versuchen, ihre mühselig erworbenen Kenntnisse des Idioms anzuwenden, um von einem geborenen Stuttgarter etwas zu erfahren. Vor allem aber hat das Deutsche Lücken. Zum Beispiel gibt es kein Wort für eine Person, die nichts Bemerkenswertes tut und getan hat, außer prominent und noch am Leben zu sein.

Im Englischen (vor allem im amerikanischen) nennt man so jemanden einen „survivor“ – bevorzugt dann, wenn er sich mehr oder weniger vehement blöd bemüht, nicht am Leben zu bleiben, indem er zum Beispiel vor lauter Frust und Überdruß wegen seines schröcklichen Schicksals „zur Flasche greift“ oder „dem Heroin verfällt“. „Belästigungen 19/2015: Von James Dean zu Markus Söder – sechzig Jahre „Rebellion““ weiterlesen

Frisch gepreßt #348: Wilco „Star Wars“

Selige Frühneunziger: als man das abendliche Tresengeplauder allen Ernstes dem Thema widmen konnte, was die Unterschiede zwischen „Alternative“ und „Independent“ waren. Da wurden steinerne Standpunkte vertreten: das eine Rock, das andere Pop, beides jedenfalls nicht bei „etablierten“ Plattenfirmen, hier mit Philosophie, dort mit Stil, tiefgängig bzw. stolzbewußt oberflächlich, anders sowieso ohne Frage. „Frisch gepreßt #348: Wilco „Star Wars““ weiterlesen

Belästigungen 18/2015: Wer hier kein Flüchtling ist, der hebe die Hand!

Ich habe in meinem Leben eine ganze Reihe von Menschen kennengelernt, die in irgendeiner Hinsicht das sind oder waren, was man heutzutage als Flüchtlinge bzw. Migranten bezeichnet. Der Unterschied übrigens ist kein geringer: Wer vor Krieg, Vernichtung, Hunger, Elend flüchtet, ist laut Genfer Flüchtlingskonvention kein Flüchtling, sondern ein Migrant und damit ohne Rechtsanspruch auf Asyl.

Das klingt ein bisserl trocken, drum sei es kurz illustriert: Ein beliebiger Bewohner eines beliebigen Landes, das von (zum Beispiel) deutschen Konzernen ausgebeutet und dessen Umwelt dabei so gründlich zerstört wird, daß es als unbewohnbar gelten kann, hat kein Recht auf Asyl im Land der Täter und Profiteure, weil er „Belästigungen 18/2015: Wer hier kein Flüchtling ist, der hebe die Hand!“ weiterlesen

Frisch gepreßt #347: Herrenmagazin „Sippenhaft“

„Wenn man sich zwanzig, dreißig Jahre mit Rockmusik beschäftigt, passiert es nicht mehr oft, daß man von einer Band, einem Album spontan so begeistert ist, daß man weiß: Das wird mir bleiben, für Jahre, vielleicht für immer, wird mich auf ewig an den gewaltigen Moment erinnern, in dem ich es zum ersten Mal, an die verzauberten Tage und Wochen, in denen ich nichts anderes gehört habe.“ Diese Zeilen äußerte ich vor gut fünf Jahren anlässlich des zweiten Herrenmagazin-Albums über deren erstes, noch mal zwei Jahre älter und damit im branchenmäßigen Sinne längst „durch“, in meiner musikalischen Grundausstattung aber ebenso unverzichtbar wie Gerste im Bier, Käse auf der Pizza, nein: sagen wir Wasser bzw. Hefe, ohne die geht’s wirklich nicht.

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