Frisch gepreßt #404: Black Sabbath „The End – 4 February 2017 Birmingham“

Einem alten Freund war es mal vergönnt, Ozzy Osbourne gegenüberzusitzen. Das ist gut zwanzig Jahre her und hinterließ einen verheerenden Eindruck: Der Mann, erzählte der Freund, sei am Ende, der mache es nicht mehr lang. Den Tränen nahe beschrieb er eine fahle, gelähmte Halbtotenmaske, Hände, die zitterten wie Espenlaub im Herbststurm, eine kaum verständliche Grabesstimme, die mit minutenlanger Verzögerung Antworten auf nicht gestellte Fragen stammelte, eine körperliche Gesamtverfassung, die das Herbeirufen eines Sanitäters überflüssig scheinen ließ. „Frisch gepreßt #404: Black Sabbath „The End – 4 February 2017 Birmingham““ weiterlesen

Belästigungen 26/2017: Gleich und Selb: von Schlössern, Suiten, Burgen und deutschen Sonder(irr)wegen

Wenn zwei das gleiche tun, ist es meistens nicht dasselbe. Und ob es das gleiche ist oder als das gleiche betrachtet wird, hängt sehr stark von etwas ab, das man die jeweilige gesellschaftliche Verfaßtheit nennen könnte.

Zum Beispiel gilt es im Rahmen der Regeln, auf die sich unsere Herrschenden geeinigt haben, als durchaus normal, daß einer einen tonnenschweren, giftausstoßenden Blech-Plastik-Kasten auf öffentlichem Grund abstellt. Daß das grundsätzlich ganz und gar nicht normal ist, bemerkt man (falls man überhaupt noch was bemerkt), wenn ein anderer eine verrostete Badewanne oder einen alten Kühlschrank danebenstellt, der höchstens einen Zentner wiegt, niemanden töten kann (außer er fiele aus mindestens drei Meter Höhe „Belästigungen 26/2017: Gleich und Selb: von Schlössern, Suiten, Burgen und deutschen Sonder(irr)wegen“ weiterlesen

Frisch gepreßt #403: REM „Automatic For The People (25th Anniversary Edition)“

Himmel, wie die Zeit vergeht, wenn sie auf einem Nebengleis mit wenig Bahnhöfen dahinbummelt und wir nicht drinsitzen und ab und zu auf „Halt“ drücken. Fragen Sie mal den Pharao Khufu, der sich bei seinen Zeitgenossen so unbeliebt machte, daß sie seine Pyramide nach einem ortsansässigen Schäfer benannten, um seinen Namen nicht in den Mund nehmen zu müssen. Oder fragen Sie die Pyramide selbst, von der die Geschichtsschreiber, denen Khufu seinen schlechten Ruf verdankt, auch schon nur wußten, daß sie seit ein paar Jahrtausenden in der Gegend herumstand und möglicherweise gar nichts „Frisch gepreßt #403: REM „Automatic For The People (25th Anniversary Edition)““ weiterlesen

Belästigungen 25/2017: Adieu November! (vermischte Nachrichten aus dem Urgrund der Depression)

Wer einen November wie den soeben dahingeschiedenen überstanden hat, ohne wenigstens eine milde Depression in den hierfür zuständigen gräulichen Hinterkopfnebeln zu hegen, dem ist wahrscheinlich nicht zu helfen. Da kam wie immer alles zusammen, was zusammengehört: Kaum hat man herbstordnungsgemäß beschlossen, die Jahreszeit des täglichen Heißbadens sei nun auch mit Hinweisen auf einen angeblich anstehenden Dezembersommer nicht mehr aufzuschieben, haucht der Boiler mit einem diskreten „klick“ sein Leben aus. Der zuständige Handwerker, dessen Aufkleber samt Telephonnummer und der Ermahnung zum alldreijährlichen Entkalken seit elf Jahren ungenutzt am Rand des verblichenen Großgeräts klebt, zeigt sich hiervon ungerührt: „In nächster Zeit“, teilt er mit, habe er keinen Termin frei, „und auch auf längere Sicht nicht.“ „Belästigungen 25/2017: Adieu November! (vermischte Nachrichten aus dem Urgrund der Depression)“ weiterlesen

Belästigungen 24/2017: Von seltsamen Botschaften und den Freuden der freiwilligen Legasthenie (ein Erfahrungsbericht)

Ich empfange manchmal seltsame Botschaften. Zum Beispiel gestern nacht vor einem Briefkasten, dem ziemlich sicher einzigen und letzten verbliebenen seiner Art in Schwabing, den die Post im Zuge ihrer Umwandlung in die „privatisierte“ „Post“ wohl rechtzeitig abzubauen vergessen hat. Da stand vor mir ein Jugendlicher und kritzelte mit einem Eddingfilzer „Narzis raus!“ unter die Einwurfklappe. „Huch!“ sagte ich. „Sind da welche drin? So richtige Narzis? Dann werfe ich den Umschlag mit dem linksradikalen Buch lieber nicht hinein. Am Ende verderbe ich denen noch ihre Weltanschauung!“

An manchen Tagen geht das so. Ein paar Stunden später saß ich im Zug nach Wien, wo neuerdings ein Fernseher zwischen den Sitzreihen interessante Informationen veröffentlicht. Da stand zu lesen, unser Zug werde irgendwann am späten Nachmittag Linz, dann St. Pölten und um 19 Uhr 30 Budapest-Keleti erreichen. Wien wurde nicht erwähnt. „Belästigungen 24/2017: Von seltsamen Botschaften und den Freuden der freiwilligen Legasthenie (ein Erfahrungsbericht)“ weiterlesen

Belästigungen 23/2017: Gemein: Schweinsbraten öffentlich geschlachtet (ohne schlechtes Gewissen)!

Als Mensch, der kein Fleisch ißt, hat man es manchmal nicht leicht. Das heißt: Man hat es selbstverständlich schon leichter als die Menschen, die Fleisch essen, weil man gesünder, friedlicher und ohne das dräuende schlechte Gewissen lebt, das viele Fleischesser mit sich herumschleppen, die deswegen auch bei jeder Gelegenheit betonen und beteuern, sie wollten ab jetzt oder ganz bald auch endlich kein oder jedenfalls viel weniger Fleisch essen, wegen der Umwelt und den armen Tieren und weil das doch alles ein Wahnsinn sei, diese industrielle Massenhaltung und so.

Das bleibt einem erspart, allerdings nicht ein anderes schlechtes Gewissen, das einen zwangsläufig überkommt, wenn man all diese Schwüre und Beschwörungen über sich ergehen lassen muß, immer verbunden mit dem „Belästigungen 23/2017: Gemein: Schweinsbraten öffentlich geschlachtet (ohne schlechtes Gewissen)!“ weiterlesen

Im Regal: Werner Fuld „Das Buch der verbotenen Bücher. Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heute“

Unter den vielen sinnlosen Betätigungen menschlicher Autoritäten ist das Verbieten von Schrift-, Ton- und Bildträgern vielleicht die sinnloseste. Wer erinnert sich nicht an den Reiz idiotischer Erotik, primitiver Krimibrutalität, grellbunter Comics, martialischer Militär-Science-fiction, den all diese (und andere) Sumpfblüten des Bücherregals einzig dem Umstand verdankten, daß die Eltern sie als Schund, Schmutz, als Quellen unausweichlicher Manipulation und Verblödung gebrandmarkt und die Lektüre, oft schon das bloße Herausziehen untersagt hatten? Die Frage, wie das Zeug überhaupt ins Haus gekommen war, stellte sich nicht, erforscht mußte es werden, und immer war das Ergebnis Ernüchterung: Von Spillane bis Perry Rhodan, von Hansrudi Waescher bis Henry Miller erwies sich fast alles als unlesbar, schlecht, mindestens langweilig, aber das änderte nichts am Reiz; der blieb und führte dazu, daß das Zeug später „Kult“ wurde, als zerfleddertes Original für ungeheure Summen gehandelt, in Plastikfolie „Im Regal: Werner Fuld „Das Buch der verbotenen Bücher. Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heute““ weiterlesen

Belästigungen 22/2017: Natur, Kultur und Kürbisbrust (und noch ein paar so Sachen)

Neulich radelte ich an einem Reklameplakat für den Münchner Tierpark vorbei. Darauf zu sehen: eine Giraffe, hübsch sympathisch dreinblickend, und der Spruch „Papa, schau mal … ein Zebra!“

Da wurde mir die Krise erst bewußt. Eine kurze Recherche ergab, daß die heutige Jugend von der Natur so gut wie gar nichts mehr versteht. Die gestrige übrigens auch nicht unbedingt, mit galoppierend fortschreitender Tendenz: Nur ein Drittel der Sechst- bis Neuntkläßler weiß, wo die Sonne aufgeht, nur ein Viertel, daß sie Ende Juni am längsten scheint (die übrigen kriegen sie vermutlich sowieso nie zu sehen). Im Wald (den sie wohl nur aus Reklameplakaten im Supermarkt kennen), glauben die Kleinen, wachsen neben Äpfeln und Birnen vor allem Ananas, Mango und Banane. „Belästigungen 22/2017: Natur, Kultur und Kürbisbrust (und noch ein paar so Sachen)“ weiterlesen

Frisch gepreßt #402: Zugezogen Maskulin „Alle gegen alle“

Wir leben in großen Zeiten wirrer Analysen: Ein ganzes Land, ach was: ein ganzer Kontinent, ein Halbplanet fragt sich, weshalb in seinen Parlamentspalästen plötzlich Horden von geschniegelten bis rüpeligen Nazis und anderen rechtsextremen Grimmgesichtern und Brüllfratzen drinsitzen. Fragt sich aber nicht, wieso es/er die Banden erst so lange durch die mediale Bekanntmachungsklappermühle von Talk und News gedreht hat, bis sie als manifeste Wirklichkeit aus dem Beton und Asphalt seiner Straßen erstanden, und sie dann auch noch selbst da hineingewählt hat. Fragt sich auch nicht, was „Frisch gepreßt #402: Zugezogen Maskulin „Alle gegen alle““ weiterlesen

Belästigungen 21/2017: Wo ein Und hingehört und wo ein Oder und wieso dann erst mal alles kleiner werden muß

Auf einem der Plakate, die zur Teilnahme an der unlängst absolvierten Wahlfarce aufforderten (erstaunlich erfolgreich übrigens, wenn man bedenkt, wie sinn- und zwecklos es für das Wahlvieh ist, sich für eine der identischen Verwaltungsorganisationen der Marktdiktatur zu entscheiden – aber das lassen wir mangels Anlaß heute mal, vorerst), – auf einem dieser Plakate, die nun, lange Wochen später, immer noch in Fetzen, Teilen und Trümmerschrott und hier und da (in unbewohnbaren Zonen unserer grundsätzlich trotz Gentrifizierungskrieg, Eventgebimse und Verkehrsterror immer noch recht schönen Stadt, etwa an den tödlichsten Abschnitten des Mittleren Rings) sogar intakt herumstehen und das Panorama (noch mehr) verunzieren …

Uff, wie komme ich aus diesem Gedankenfluß-Schachtelsatz hinaus? „Belästigungen 21/2017: Wo ein Und hingehört und wo ein Oder und wieso dann erst mal alles kleiner werden muß“ weiterlesen

Im Regal: Jürgen Teipel „Ich weiß nicht“

Es gibt ein paar typische Elemente, die einem das Lesen „moderner“ oder sagen wir: zeitgenössischer Literatur schon auf den ersten Seiten verleiden können, und das ist ganz unabhängig davon, ob der Autor behauptet, diese „Stilmittel“ absichtlich einzusetzen oder nicht: Ein Ich-Erzähler, der sich sofort, unumwunden und ohne Andeutung einer doppelbödigen Strategie als sprachlich restlos unbedarfter, phantasielos stammelnder Volltrottel zu erkennen gibt und dessen enervierende, mittlerweile durch Überbeanspruchung fürchterlich langweilige Angewohnheit, wirklich jeden winzigen Nebensatz durch einen Punkt abzutrennen, einem das Gefühl gibt, sich beim Lesen in ein körnerpickendes Wackelkopfhuhn zu verwandeln – das sind zwei solche Elemente, die man wohlwollend als „teipelsche“ bezeichnen könnte, weil der Autor dieses „Romans“ (der es netto auf höchstens 80 Seiten bringt) durch „Verschwende deine Jugend“ bekannt wurde, den 2001 stapelweise „Im Regal: Jürgen Teipel „Ich weiß nicht““ weiterlesen

Im Regal: Airen „Strobo“ & „I Am Airen Man“

 

In Martin Amis’ Roman „The Information“ hat ein Schriftsteller die skurrile Idee, die Geschichte der Literatur als eine „der fortschreitenden Erniedrigung“zu betrachten: Mit dem sozialen/moralischen Abstieg der Romanfiguren (von Göttern über gestürzte Könige und besiegte Helden bis hin zum „Abschaum“) würden auch deren Verrichtungen („Plots“) banaler und nichtiger; gleichzeitig schreite die Kosmologie unaufhaltsam fort, vertreibe den Menschen aus dem Zentrum der Welt und lasse alles immer größer erscheinen (von Homers Bronzehimmel bis hin zur Unendlichkeit multipler Universen). Nötig sei folglich eine Verkleinerung, hin zum „Universum des bloßen Auges“. „Im Regal: Airen „Strobo“ & „I Am Airen Man““ weiterlesen

Im Regal: Christian Kracht „New Wave. Ein Kompendium 1999-2006

Darf man einen Menschen, den man nicht kennt, mit dem man nie ein Wort gesprochen, von dem man nur ein paar Texte gelesen hat, die ganz bestimmt und hoffentlich nicht zu seinen besten zählen, – darf man so jemanden einfach als dumm bezeichnen? Ich tue das jetzt mal: Ich halte Christian Kracht für einen furchtbar dummen Menschen. Einen, der in der Welt herumflitzt wie ein verbogener Brummkreisel, aber nirgends etwas erfährt. Einen, der wahrscheinlich wahnsinnig viele coole Bücher gelesen (oder durchgeblättert) hat, die er gerne selber geschrieben hätte (was er deshalb in einigen Fällen auch versucht). Einen, der sich für die schönste, klügste, wichtigste und individuellste Individualperson an jedem beliebigen Ort und überall hält und sich dabei in eine Aura von Ennui-Melancholie zu hüllen sucht wie in einen mannsgroßen Luftballon. Einen, der schreibt, als putzte und feilte er (die Augenbrauen knapp unter dem Scheitel, die Mundwinkel knapp über dem „Im Regal: Christian Kracht „New Wave. Ein Kompendium 1999-2006“ weiterlesen

Frisch gepreßt #401: The Darkness „Pinewood Smile“

Mein Horoskop sagt: „Offenheit bringt Sie weiter! Zeigen Sie sich Ihren Liebsten, wie Sie wirklich sind!“ Nun, meine Liebsten, dann sei’s gesagt: Ich LIEBE The Darkness.

Habt ihr auch mal getan, vor vierzehn Jahren einen halben Sommer lang und halbironisch? Ja, das ist der Unterschied: ich nicht. Wenn sämtliche Spatzen etwas von den Dächern zwitschern, tritt mein natürlicher Verweigerungsmechanismus in Kraft und läßt mich das Bezwitscherte mindestens mißtrauisch beäugen. Damals: habe ich gar nicht richtig hingehört. „Frisch gepreßt #401: The Darkness „Pinewood Smile““ weiterlesen

Frisch gepreßt #400: Slade „Alive!“

Es soll auf diesem Planeten Menschen geben, die dieses Album nicht besitzen, obwohl es nun schon zum (gefühlt und in diversesten Ausgaben) 45. Mal erscheint, 45 Jahre nach dem ersten Erscheinen, mit dem damals eine Manie-Lawine losbrach, wie sie die Welt seit den ganz frühen Tagen der Beatles nicht mehr erlebt hatte.

Es soll Leute geben, die Slade überhaupt nicht kennen. Oder höchstens von einem Weihnachtsparty-Ungetüm namens „My Oh My“, das … nein, von dem wir heute mal einfach nicht sprechen wollen. Nachhilfe: Slade (Noddy Holder, „Frisch gepreßt #400: Slade „Alive!““ weiterlesen