Frisch gepreßt #416: Ry Cooder „Prodigal Son“

Regieanweisung: Straßenstaubwolken, Horizont (leuchtend, verschummert), diffuses Sonnenlicht, am rechten Bildrand ein einsamer Kaktus; von links Auftritt eines freundlichen älteren Mannes, der irgendwie nicht recht in die Szenerie paßt. Sprecherstimme aus dem Off.

Wir leben im Zeitalter der Jubiläen. Fast alles, was kulturell gegenwärtig von „Bedeutung“ ist, hat dreißig, fünfzig, manchmal hundert Jahre auf dem Buckel und führt eine Doppelexistenz in Museen und (weil wir hier bei Musik sind) Charts. Da kann schon mal was untergehen, vor allem wenn das Datum der
gewinnträchtigen Anniversierung nicht so ganz klar ist. „Frisch gepreßt #416: Ry Cooder „Prodigal Son““ weiterlesen

Frisch gepreßt #415: Die Nerven „Fake“

Der Widersinn ist dem Leben des Menschen als Grundprinzip und -bedingung eingepflanzt. Zum Beispiel A und K: Zwei Jahre lang galten sie in ihrem Kreis als Vorzeige- und Idealpaar, schätzten und liebten und kümmerten sich umeinander, lächelten ein Lächeln und lebten ein Leben, mit ein paar zwistigen Entsöhnungen hier und da und dann, die stets zuverlässig in noch mehr Versöhnung mündeten. Dann beschloß A, sie fühle sich eingeengt und es müsse auf der Welt noch mehr geben als Zufriedenheit, intellektuell-emotionalen Einklang und perfekten Sex. „Frisch gepreßt #415: Die Nerven „Fake““ weiterlesen

Frisch gepreßt #414: Manic Street Preachers „Resistance Is Futile“

Ein Vierteljahrhundert: Baby, die Zeit ist eine Hure! Damals war das so: hat jemand von unserem Label angerufen und gesagt, da kommt eine walisische Band auf Deutschlandtournee, die suchen grad noch eine Vorgruppe, weil der mächtige Sony-Konzern kein Geld lockermachen wollte, um irgendwen mitzuschicken von seinem hoffnungsvollen Nachwuchs (den es sowieso nicht gab: Es war die Zeit vor Britpop, high time for Grebo, man!). Es war auch die Zeit vor Mails und Internet, vor SMS und Files. Und vor unserem neuen Album, das wir also nicht per live „promoten“ hätten können (doch, das tat man „Frisch gepreßt #414: Manic Street Preachers „Resistance Is Futile““ weiterlesen

Frisch gepreßt #413: The Vaccines „Combat Sports“

Es ist April, da ist der Kleiderschrank dran, genauer gesagt: die Kollektion an Lieblingsband-T-Shirts der letzten zehn Jahre. Hach, sweet nostalgia! Da schwellen Erinnerungen heran an zweisame Frühlingsspaziergänge, Knutschnächte und Bombenparties von 2011, 2013, 2015 … Howler: Wie war das schön! (Jordan Gatesmiths neue Band heißt übrigens Wellness; die dritte von drei sehr erfreulichen EPs erscheint diese Woche, aber ehrlich: Wer zieht ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Wellness“ an?) Palma Violets: the world‘s best-kept big time secret – Nummer-eins-Hits, die niemand kennt, ein zweites „Frisch gepreßt #413: The Vaccines „Combat Sports““ weiterlesen

Frisch gepreßt #412: Murs „A Strange Journey Into The Unimaginable

Am Küchentisch heißt es: „Hä? Wir haben doch schon ein Hip-Hop-Album im Haus! Wozu noch eins, es ist Frühling! Da hört man sich doch nichts an, was heuer so klingt wie letztes Jahr und letztes Jahr wie 1996!“

Aber der nettmenschliche Einwandsfluß versiegt sehr bald und weicht einem mindestens milden Staunen. Zwar ist der thematische Rahmen, in dem sich Nicolas Carter alias Murs (was alles mögliche heißen kann oder soll, fragen wir nicht näher nach) auf seinem ungefähr elften Solo- und mindestens 22. Album insgesamt bewegt, so streng gezimmert, wie er das im klassischen Hip Hop „Frisch gepreßt #412: Murs „A Strange Journey Into The Unimaginable“ weiterlesen

Frisch gepreßt #411: Superorganism „Superorganism“

Es gibt übrigens ein neues Album von David Byrne. Das ist keine Schleichwerbung, sondern sozusagen Nebenbei-Chronistenpflicht (wobei der Chronist anmerkt, daß ihm die neuen Alben von Tracey Thorn, Camp Cope, Frigs, In Tall Buildings, Moaning, Lucius, Ernst Molden, Sarah Blasko und ganz! besonders! Lucy Dacus auch und besser gefallen als das von David Byrne).
Aber an David Byrne muß man im ausklingenden Winter manchmal denken, weil er uns beigebracht hat, daß das letztliche Hoffnungsziel der Popmusik das: Nichts ist. Der Himmel ein Ort, an dem nie etwas geschieht, das Leben „Frisch gepreßt #411: Superorganism „Superorganism““ weiterlesen

Frisch gepreßt #410: Belle & Sebastian „How To Solve Our Human Problems“

Die „Indie“-Szene, also die Bands der mittleren 80er bis 90er, die Helden der Eltern heutiger Uniabsolventen, die sich ungefähr so ausbreiteten wie Grünlilien (denen sie frisurtechnisch auch überwiegend ähnelten), bis die ganze Welt bis ins hinterste Niederostwestfalen ein Riesenfeld identischer Grünlilienbands war …, – diese Szene war ein seltsames Phänomen. Seltsam vor allem: Sie geht nicht wirklich ganz weg, obwohl sich außer ein paar bald rentenreifen Scenesters keine Sau mehr für sie interessiert und sie sich in 30 Jahren praktisch nicht verändert hat. „Frisch gepreßt #410: Belle & Sebastian „How To Solve Our Human Problems““ weiterlesen

Frisch gepreßt #409: Olli Schulz „Scheiß Leben, gut erzählt“

Wie der Ratzingerplatz Mitte der 70er ausgeschaut hat und wie romantisch das war: Erzähl das doch dem Olli, der macht ein Lied draus. Menschen haben seltsame Gewohnheiten, erleben seltsame Sachen und tun komische Dinge, von denen sie manchmal selber nicht so genau wissen, warum sie sie eigentlich tun. Solange niemand daherkommt und Zusammenhänge aufzeigt. Also Olli Schulz. „Das Essen bei meiner Oma war immer etwas sonderbar. Das wurde mir leider viel zu spät erst klar“, singt der dann zum Beispiel. Und stellt fest, daß nicht nur Omis Erbsensuppe „schmeckt, wie Pisse riecht“, sondern „Frisch gepreßt #409: Olli Schulz „Scheiß Leben, gut erzählt““ weiterlesen

Frisch gepreßt #408: Fleetwood Mac „Fleetwood Mac“ (Expanded Edition)

Wie Gewalt zwischen Menschen funktioniert, privat: das fragen Sie am besten (oder zweit-, dritt-, fünftbesten) mal Stevie Nicks.
Wir vernehmen ein leises Grummeln: Stevie wer? etwa die von Fleetwood Mac, diesem weichgespülten Schlagerpop-Dinosaurier aus Kalifornien, der mit seinen aufdringlichen Honigbomben „Go Your Own Way“ und „Don’t Stop“ seit vier Jahrzehnten das Autoradio verstopft und dafür sorgt, daß die auf dem Rücksitz kauernden Kinder die „Rockmusik“ erst zerschlagen, dann ganz neu erfinden, dann verbrennen und schließlich gar nichts mehr davon wissen „Frisch gepreßt #408: Fleetwood Mac „Fleetwood Mac“ (Expanded Edition)“ weiterlesen

Frisch gepreßt #406: Eminem „Revival“

Wie lange kann man leben, wenn man nicht schläft? 264 Stunden, sagt Randy Gardner, der das 1965 ausprobiert hat und immer noch lebt.

B. kann in den Wochen vor Weihnachten nie schlafen, sagt sie. Es treibt sie zu vieles um, vom Zustand ihrer Familie bis zum Zustand der Welt: Da erkennt sie Dinge, die andere nicht erkennen, während die Dinge, die andere erkennen, ihr unverständlich bleiben. Das dreht sich in ihrem Kopf, von dem sie vor allem in den frühesten Morgenstunden bisweilen befürchtet, er sei die Kugelachse des Universums. „Frisch gepreßt #406: Eminem „Revival““ weiterlesen

Frisch gepreßt #405: Icarus The Owl „Rearm Circuit“

Schallplatten sind rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.

„Schallplatten? Wovon redet er denn jetzt wieder?“

Zudem ist diese nicht nur rund, sondern offiziell gesprochen: „coke bottle clear“, also minimal blaugrün schattiert, aber durchblickdurchsichtig. Man kann sie rotierend vor die Welt stellen, auf Dinge legen und den erstaunlichen Effekt erleben, durch die Welt hindurch und hinter die Dinge blicken zu können, die dabei in anderem Licht erscheinen. Veränderte Wahrnehmung induziert Einsicht in kosmische Relationen. „Frisch gepreßt #405: Icarus The Owl „Rearm Circuit““ weiterlesen

Frisch gepreßt #404: Black Sabbath „The End – 4 February 2017 Birmingham“

Einem alten Freund war es mal vergönnt, Ozzy Osbourne gegenüberzusitzen. Das ist gut zwanzig Jahre her und hinterließ einen verheerenden Eindruck: Der Mann, erzählte der Freund, sei am Ende, der mache es nicht mehr lang. Den Tränen nahe beschrieb er eine fahle, gelähmte Halbtotenmaske, Hände, die zitterten wie Espenlaub im Herbststurm, eine kaum verständliche Grabesstimme, die mit minutenlanger Verzögerung Antworten auf nicht gestellte Fragen stammelte, eine körperliche Gesamtverfassung, die das Herbeirufen eines Sanitäters überflüssig scheinen ließ. „Frisch gepreßt #404: Black Sabbath „The End – 4 February 2017 Birmingham““ weiterlesen

Frisch gepreßt #403: REM „Automatic For The People (25th Anniversary Edition)“

Himmel, wie die Zeit vergeht, wenn sie auf einem Nebengleis mit wenig Bahnhöfen dahinbummelt und wir nicht drinsitzen und ab und zu auf „Halt“ drücken. Fragen Sie mal den Pharao Khufu, der sich bei seinen Zeitgenossen so unbeliebt machte, daß sie seine Pyramide nach einem ortsansässigen Schäfer benannten, um seinen Namen nicht in den Mund nehmen zu müssen. Oder fragen Sie die Pyramide selbst, von der die Geschichtsschreiber, denen Khufu seinen schlechten Ruf verdankt, auch schon nur wußten, daß sie seit ein paar Jahrtausenden in der Gegend herumstand und möglicherweise gar nichts „Frisch gepreßt #403: REM „Automatic For The People (25th Anniversary Edition)““ weiterlesen

Frisch gepreßt #402: Zugezogen Maskulin „Alle gegen alle“

Wir leben in großen Zeiten wirrer Analysen: Ein ganzes Land, ach was: ein ganzer Kontinent, ein Halbplanet fragt sich, weshalb in seinen Parlamentspalästen plötzlich Horden von geschniegelten bis rüpeligen Nazis und anderen rechtsextremen Grimmgesichtern und Brüllfratzen drinsitzen. Fragt sich aber nicht, wieso es/er die Banden erst so lange durch die mediale Bekanntmachungsklappermühle von Talk und News gedreht hat, bis sie als manifeste Wirklichkeit aus dem Beton und Asphalt seiner Straßen erstanden, und sie dann auch noch selbst da hineingewählt hat. Fragt sich auch nicht, was „Frisch gepreßt #402: Zugezogen Maskulin „Alle gegen alle““ weiterlesen