Unser Hausmeister daheim hatte eine ungefähr ähnliche, aber etwas beweglichere und weniger steife Form wie der kastenförmige Vater. Was ihn noch furchterregender machte, waren drei Dinge: Im Gegensatz zu dem pfeifenden Vater – von dem Helmuts Mutter meinte, er wolle allen etwas vormachen und sei in Wirklichkeit ein Würstchen – versuchte er gar nicht erst, anders auszusehen als ein Hausmeister, was durch seinen dunkelblauen Kittel, den er winters wie sommers als scheinbar einziges Kleidungsstück (außer den Hausmeistersandalen am unteren Ende seiner borstigen Unterschenkel) am Leib trug, noch verschlimmert wurde.
Höflichkeit schien ihm etwas Ausländisches, was er mit Argwohn betrachtete, schuld daran war der zweite Grund: seine Stimme. Er brauchte nach ausgiebigem Luftholen für ein Wort so lange, daß man sich inzwischen den ganzen Satz gleich dazudenken konnte, der Wort für Wort grollend und dröhnend aus seiner Brust drang.
Der dritte Grund, wieso wir Kinder den Hausmeister von ganzem Herzen fürchteten, war seine Allgegenwart: Wir brauchten an eine geringfügige Übertretung der Hausordnung nur zu denken – womit wir angeblich unsere Nachmittage verbrachten, obwohl wir die Hausordnung gar nicht kannten –, schon war er zur Stelle, die Arme in die Hüften gemauert, und holte tief Luft, um das erste Wort einer Mahnung zu formulieren, die ohne konkrete Strafandrohung auskam.
Wir entdeckten, daß eine nahegelegene Fabrik eine Reihe neuer Maschinen und Geräte angeschafft hatte: Die Kartons dazu standen unbeschädigt in und vor dem von uns häufig frequentierten Aschentonnenhäuschen. In einer schwerbepackten Karawane – ich, Helmut, der jüngere Kastenförmige, ein dünner Junge aus dem vierten Stock, meine Schwester, das dunkelhaarige Mädchen von den Nachbarn, das dürre blonde Mädchen aus dem dritten Stock, das aussah wie eine Puppe, und ein Junge, der mit seinen Eltern im Keller wohnte – trugen wir die Pappkisten in unseren Hof, um den Traum einer eigenen Siedlung zu verwirklichen. Elternfrei, mit Kinderklo.
Die Häuser standen kaum, wir hatten gerade unsere Messer gezückt, um Fenster und Türen auszuschneiden, da war der Hausmeister schon zur Stelle. Er hob seine rechte Hand, deutete mit dem Daumen hinter sich in Richtung Hofausgang und öffnete den Mund, um Luft zu holen, schon hatten wir die Kisten gepackt, um unser Dorf in die nähere Umgebung des Aschentonnenhäuschens der Firma zu verlegen.
Dort blieb es nicht lange stehen, denn einerseits war dort ein Parkplatz, den die Angestellten zu unserer Hauptspielzeit mit ihren Autos verlassen wollten, was uns zu dauernden Umbaumaßnahmen zwang. Zum anderen gab es auch dort einen Hausmeister, und den Kontakt mit diesem scheuten wir noch mehr als mit unserem eigenen, weil seine Zugehörigkeit zu einem anderen Haus, gar einer Fabrik, unsere Eltern zu strengen Erziehungsmaßnahmen trieb, wenn er ihnen gelegentlich von unseren Aktivitäten berichtete.
Es gab noch andere Beschäftigungen, die die Eltern und unser Hausmeister nicht mochten. Dazu gehörte der Sandsturm, den wir zu erzeugen versuchten, indem wir den Sand aus dem Sandkasten in Eimern um das Haus herum zu einer Stelle trugen, wo im Boden ein großes Gitter war, durch das die warme Abluft von der Heizung nach oben strömte. Wir schütteten den Sand durch das Gitter und rannten wieder in den Hof, um hinter dem Haus Sandwolken aufsteigen zu sehen, wie sie manchmal sonntagnachmittags in Naturkundesendungen im Fernsehen gezeigt wurden. Leider kamen wir immer zu spät, oder vielleicht stiegen auch gar keine Wolken auf, und so wurde uns die Sache bald zu dumm, zumal der Hausmeister auch damit grundsätzlich nicht einverstanden war.
(„Junger Unfug“ begann ungefähr 1996 mit der Idee, Erinnerungen aus meiner Kindheit aufzuschreiben und sie irgendwie motivisch zu etwas „Sinnvollem“ zu verbinden. Nachdem keiner der etwa hundert Verlage, denen ich Textauszüge und eine Beschreibung des „Projekts“ zuschickte, in irgendeiner Weise reagierte, erschienen die Texte auf einer längst gelöschten Webseite und blieben auf einer alten Festplatte liegen. 2018 oder 2019 fand ich sie wieder, schrieb ein bißchen weiter und vergaß die Sache erneut. Vielleicht kommt irgendwann der „richtige Zeitpunkt“. Vielleicht ist er jetzt. Ob ein Buch daraus wird, weiß ich noch nicht.)