Die panische Angst, nein: geradezu besessene Panik der deutschen Volksführer (Politik/Medien) vor ihren „satanischen“ (vermeintlichen) Gegenspielern (zufällige Auswahl: Höcke, Sellner, Krah, Chrupalla, Weidel, Trump, Bakhdi, Orban, Jebsen und so weiter), die sich in der Verweigerung jeglicher Diskussion und direkten Auseinandersetzung niederschlägt, ist ein öffentliches Rätsel, dessen Lösung möglicherweise relativ simpel ist: Diese Menschen (zufällige Auswahl: Lang, Habeck, Baerbock, Scholz, Pistolerius, Faeser, Prantl, die Namen der Fernsehleute sind mir nicht bekannt) haben ein Konsensproblem. Sie sind es gewohnt, mit teilweise eklatant idiotischen, primitiven beziehungsweise nullwertigen „Standpunkten“ durchzukommen, weil man sie mag und „wertschätzt“ und ihnen nicht wehtun will oder wollte.
Dadurch entfaltet sich im Laufe der Jahre eine spezielle Form von Narzißmus: Man muß nur laut genug „Ich will! Ich will! Ich will!“ plärren, dann sagt die Mama schon ja, weil sie einen ja nicht an der Entfaltung und Selbstverwirklichung hindern will, und der Papa ist eh der beste Kumpel. Der wird den Lehrer schon zurechtstutzen, wenn er gegen den renitenten Fünftkläßler aufbegehrt oder dem akademischen Nachwuchs für ein windiges „Wikipedia“-Konglomerat die Note zwei aufzudrücken wagt. „Deutschland deine Kinder!“ (ohne Komma) hieß es in den sehr späten Neunzigern mal auf der Titelseite einer Illustrierten, und gemeint war: Du hast nicht mehr viele davon, Deutschland, deshalb mußt du sie hätscheln und „wertschätzen“!
Damals gab es gewisse Einwände, weil das Wort „hätscheln“ gerne ein „ver“ im Vorspann trägt und das böse Folgen haben kann, wie wir (!) aus dem Geschichtsunterricht wissen (oder wußten). Andererseits bin ich kein Befürworter autoritärer Erziehungsmethoden, weil auch deren böse Folgen historisch belegt sind. Aber der seltsame Narzißmus (volkstümlich: „Einnähung“/„Eingenähtheit“), der sich über zwei oder drei Generationen von Bamsen wohlmeinender Oberschichteltern verbreitete, trägt nun eben Früchte: indem wir mit einer Riege von „Fachleuten“, „Experten“ und insbesondere Weltenlenkern zu tun haben, die sich die Schuhe nicht zubinden können (weil es repressiv gewesen wäre, ihnen das beizubringen) und gleichzeitig alles, was auch nur annähernd abstrakt ist (und sei es Politik) komplett durchschauen, ohne sich über „Ich will! Ich will! Ich will!“ hinaus jemals damit befaßt zu haben.
In Diskussionen wird oder würde das sichtbar, und es wäre vor allem: „kränkend“. Der aus einer geistigen Mangellage heraus vom unbedarften, aber erfrischend frechen Fragenaugust zum faschistoiden „Meinungsmacher“ mutierte Thilo Jung – der „glaubt“, Journalismus sei, den Leuten nicht mitzuteilen, was sie wissen wollen, sondern was sie wissen sollen – ist ein Paradebeispiel: Sein sechseinhalbstündiges Interview mit Maximilian Krah geriet in Sachen „Entlarvung“ zum Desaster, weil Jung schlicht zu blöd ist, um wenigstens mit einem intellektuell doch einigermaßen leichtgewichtigen Exemplar wie Krah „fertigzuwerden“. Ebenso erging es dem CDU-Plapperkasperl Mario Voigt im „Duell“ mit Björn Höcke: Dessen immerhin streitbaren (und in fast allen Punkten bestreitbaren) Argumenten hatte Voigt nur billigste Latten aus der Parolenschreinerei entgegenzusetzen, blamierte sich hoffnungslos und fragt sich wahrscheinlich heute noch, wieso ihn keiner mag, statt darüber nachzudenken, was an Höckes Argumenten falsch sein könnte – das ist einiges, aber um das zu erkennen, muß man halt wenigstens im Ansatz denken gelernt haben, was nun mal nur geht, wenn man irgendwann mal Widerspruch, Widerstand und Widerstreit erlebt.
Die einzige Ausnahmefigur, die ab und zu in den minderbemittelten Kindergarten, der sich heutzutage die öffentliche Darstellung „deutscher Politik“ nennt, hineindarf, ist Sahra Wagenknecht – was sie irgendwie auch verdächtig macht: Wieso darf die das? Die Antwort ist auch hier recht simpel: Sie darf es, weil man im voraus weiß, was sie sagen wird, und die entsprechenden Berater den drei bis fünf „Talk“-Gegnern (notfalls per Knopf im Ohr) vorgeben, wo und wann sie zu „widersprechen“ (also wild durcheinander zu brabbeln) haben. Dieser Zeitpunkt ist regelmäßig dann erreicht, wenn Wagenknecht ihren Standardsatzbeginn „Es kann doch nicht sein, daß …“ ausspricht. So sehr ich ihre Tapferkeit in diesem blöden Dauerspektakel schätze, frage ich mich doch bisweilen, ob es nicht gescheiter wäre, mal einen umgekehrten Boykott zu versuchen.
Die deutsche Geschichte kennt Phasen, in denen politische Debatten erfrischend, spannend, offen, gar informativ waren. Dazu braucht es auf allen Seiten Menschen, die zumindest ein Mindestmaß an geistiger, intellektueller und mentaler Bildung erfahren haben. Mir schwillt heute noch der Hals, wenn ich Franz Josef Strauß sprechen höre, aber zumindest konnte er das: denken und daraufhin sprechen. Seine Argumente waren fies, falsch, niederträchtig und bisweilen (oder meistens) rechtsextrem. Aber niemals hätte es ein Herbert Wehner, Willy Brandt oder Egon Bahr über sich gebracht, einer Diskussion mit diesem schmierigen Hetzer aus dem Weg zu gehen, indem man eine „Brandmauer“ errichtet hätte.
Die ersten Besetzungen nationalsozialistischer Abgeordneter im deutschen Reichstag glänzten nicht durch geistige Reife oder auch nur Ansätze von Bildung und intellektueller Tiefe. Da gab es manch einen Akademiker, aber meist aus dem Bereich der Wirtschaftslehre oder der Agrarwissenschaft. Ich hege keinerlei Vorurteile gegen die Urteilsfähigkeit von Bauern und Arbeitern, im Gegenteil. Aber diesen Herren sah man ihre Borniertheit in den meisten Fällen schon an, bevor sie den ersten Satz äußerten, und darin gründete auch ihr Ressentiment: Man hatte den meisten von ihnen nie das Denken beigebracht, sondern nur das Schießen (im ersten Weltkrieg und danach), und deshalb lehnten sie Parlamente mit der Begründung ab, sie seien „Quatschbuden“. Was sie übrigens immer waren und sind, aber nicht wären, wenn darin nicht so viele Quatschköpfe herumsäßen wie (circa) 1933 bis 1945 und von 1985 bis heute.
Es ist nicht unwichtig, was passiert, wenn überforderte Trottel, Narzißten und Ignoranten in solche Parlamente und am Ende noch in „staatstragende“ Ämter hineingeraten: Sie neigen bisweilen dazu, sich einerseits selbst zu überschätzen und ihre dümmliche „Meinung“ für den Nabel der intellektuellen Welt zu halten, andererseits schotten sie sich gerne so panisch gegen jede geistige Überforderung ab, daß Debatten, Diskussionen und Auseinandersetzungen dann am besten verboten oder mindestens zensiert werden müssen. Was bleibt ihnen anderes übrig?
Und daraus resultiert das derzeitige Elend: Es wäre vollkommen sinnlos, fernseherische „Formate“ aus den sechziger und siebziger Jahren neu aufzulegen und zum Beispiel (in Analogie zu Matthöfer und Fritz Teufel) Martin Sellner oder Björn Höcke an einen Tisch mit Habeck, Scholz, Ricarda Lang und irgendwelchen beliebigen „Journalisten“ von ARD, ZDF, SZ, „Zeit“, „Bild“ oder welchen Propagandamedien auch immer zu setzen, weil die versammelte Regimemeute nicht ansatzweise in der Lage wäre, die Denkfehler eines Höcke oder Sellner auch nur zu erkennen, geschweige denn dagegen zu argumentieren. Es ergäbe sich ein Bild der absoluten geistigen Armut einer (irgendwie) regierenden Clique von Vollidioten, die wahrscheinlich selbst einem Franz Schönhuber oder Michael Kühnen nicht gewachsen wären.
Diese Blamage, diese restlose Leere auf einer politischen „Seite“, die sich andererseits auf Petra Kelly, Kurt Schuhmacher, Gustav Heinemann, Carlo Schmid und was weiß ich noch wen alles (aber zum markanten Beispiel nicht auf Ulrike Meinhof, Gabriele Goettle, Johannes Agnoli et al.) „beruft“ ohne je eine Zeile dieser Leute gelesen, gar verstanden zu haben, und die gesamte Philosophie und politische Denkerei und am Ende sogar Marx und Engels ihren „verruchten“ Gegnern überläßt, ist – ich wiederhole mich – das Elend dieser Zeit: Denkende und einigermaßen gebildete Menschen scheint es nur noch dort zu geben, where angels fear to tread. Case closed, nothing solved. Wir werden diese Bande loswerden müssen, sonst wird das nichts.
Bestens seziert, diese Hackfressen.
Doch das Beschriebene ist auch bei unglaublich vielen „normalen“ Leuten, im Sinne von angepasst bis ins Mark an das Neue Normal, zu erleben. Diese Gesellschaft ist insgesamt so was von am Arsch.
Wir sind jetzt weiter als Einstein. Die Dummheit ist unendlich, nicht das Universum.
Wer schon mal Schnaps gebrannt hat, weiß: Es braucht große Mengen an Maische (Fallobst), das vor der Destillation übel stinkt, um dann eine verhältnismäßig kleine Menge an kostbaren Spirituosen zu keltern.
Die aktuelle gesellschaftliche Situation mag desaströs und der weit ausgebreitete Verfall erschreckend sein. Man muss dennoch das Bild aufrechterhalten, dass sich der Läuterungsprozess lohnen wird und zumindest eine quantitativ kleine Anzahl an Menschen eine Reifung erlangen, mit der wir in die Zukunft gehen können.