Vor längerer Zeit hat mir jemand etwas sehr Überzeugtes gesagt: „Die Kunst“, sagte er, „ist eine Ware.“ Das ist wahr, dachte ich, aber schade ist es auch, denn ob das noch wahr sein könne, was eine Ware ist, war mir zweifelhaft. Aber es läßt sich ja nicht ändern.
Vor nicht ganz so langer Zeit lud mich ein Verlagslektor zu einem Seminar ein, in dem junge Schriftsteller die Texte zur Diskussion stellen sollten, an denen sie gerade arbeiteten. Ich arbeitete damals gerade wieder an einem Text, den der Lektor bereits abgelehnt hatte, weil er ihm unter anderem zu gewagt erschien, also dachte ich: Jetzt mache ich einmal ein Experiment. Ich erfand eine ziemlich unoriginelle Geschichte, die den Rahmen des Versuchs abgeben sollte. Dann fügte ich viele Zitate von Anton Cechov und einem weniger bekannten Autor aus dem Programm des Verlags, bei dem der Lektor arbeitete, zu einem flüssigen Text zusammen, der in etwa die Geschichte erzählte, und reichte diese Montage ein, ohne zu erwähnen, daß sie eine solche war.
In dem Seminar wurde ich, das heißt: mein Text dann von allen Beteiligten ziemlich gnadenlos zerrupft. Die Metaphern seien haarsträubend und ganz unmöglich, die Erzählweise abstrus, ungeschickt, auf keinen Fall marktfähig. Der zynische Triumph war mir arg versäuert, denn ich mag Cechov viel zu gerne, um ihn derart beleidigen zu lassen.
Da war also wieder das Problem. Ich weiß nicht, wie man ein marktfähiges Kunstwerk herstellt; ich weiß allerdings auch nicht, wie man Coca Cola herstellt, und Coca Cola ist ganz bestimmt marktfähig; aber ich kenne einen jungen Mann, der gerne Künstler werden möchte, und wenn er nicht vor dem Fernseher sitzt, dann denkt er manchmal darüber nach, was er denn malen könnte, was jemand haben und mithin kaufen mögen würde. Bislang vergeblich. Zwar besitze ich keinen Fernseher, aber wenn mich jemand fragt, was ich denn so mache, und ich dann sage, ich täte eben schreiben, dann kommt sofort die Gegenfrage nach dem gebundenen Veröffentlichten. Ich könnte antworten, ich sei Schreiber und kein Binder oder Veröffentlicher, aber sagen Sie das mal jemandem, von dem Sie nicht unbedingt möchten, daß er Sie für einen verschrobenen Deppen hält, zumal wenn Sie keinen Fernseher besitzen.
Daß die Kunst, besonders die Musik und die Literatur, eine Ware ist, merkt man auch an der Nachfrage, die da herrscht. Zum Beispiel bei dem Schriftsteller selbst, der vor seinem leeren Blatt oder dem grauen Bildschirm sitzt, den Schwabinger Vormittagshimmel betrachtet und sich verzweifelt fragt, wo denn jetzt die Literatur bleibt. Die muß her, denn die Leute wollen was lesen, vor allem was Frisches und Neues und Junges und natürlich „Packendes“. Ludwig Thoma hat schon vor über achtzig Jahren festgestellt: „Die Schriftstellerei hat gewisse Ähnlichkeit mit dem Selcherberufe. Sehen Sie, man greift sich die Stücke heraus, haut sie zu einem Brei, tut Pfeffer und Salz, die Würze, den Esprit hinzu und drückt sie durch die Form, welche stets dieselbe bleibt. Der Geschmack ist verschieden, je nach den Ingredienzien, aber das Ganze ist doch ein Roman, eine Novelle, eine Wurst! Nicht wahr?“
Also muß man sich wohl der Tatsache fügen, daß die Kunst eine Ware ist, und so sehr ich auch in Kluges klugem Etymologischen Wörterbuch herumkratze und -wühle, es läuft immer auf das Gleiche hinaus: irgendwas mit „verkaufen“ und „verkauft werden“, was alles sehr unerfreulich klingt; man stellt sich einen Menschen vor, der schöne Dinge im Sinn hat, und damit er sie aus dem Sinn in die Welt hinausbringen kann, muß er sich ein Schild um den Hals hängen, auf dem steht, was er kostet. So ist aus der alten Forderung, Künstler in die Betriebe zu schicken, ein Kunstbetrieb oder Kulturbetrieb, jedenfalls ein Betrieb entstanden, wo mittels irgendeines Treibstoffs irgendwas betrieben wird, was nun wieder ursprünglich mit dem Schneetreiben zu tun hat, mit „in Flocken niederfallen, plumpsen“. Da sind wir – streng etymologisch – sehr nahe beim Matsch und beim Trester, aus dem bekanntermaßen das gewonnen wird, was Künstler angeblich sehr gerne als Treibstoff benützen, aber hier wollen wir diesen Abweg verlassen und noch einmal kurz zur Ware zurückkehren, mit der laut Kluge immer auch ein „Preis“ verbunden ist. Und damit sind wir hier.
Vor einiger Zeit habe ich den folgenden kurzen Text geschrieben, den die Süddeutsche Zeitung dankenswerterweise nur leicht gekürzt veröffentlicht hat und den ich jetzt noch kürzer kurz vorlese:
–– Ich bin in meinem Leben bisher fünfmal dem Oberbürgermeister begegnet. Es war immer derselbe – das spricht für ihn. Das heißt: ich bin auch mal Hans Jochen Vogel begegnet, aber da war er kein Oberbürgermeister mehr, sondern relativ vormittags im Englischen Garten unterwegs, wobei ich ihm aufgrund meines dringlichen Tempos gerade noch ausweichen konnte. Ich hätte auch gerne noch gesagt: Guten Morgen, Herr Vogel, aber davon hätte er sowieso höchstens „Gu!“ verstanden und gedacht, ich wolle ihn erschrecken, und außerdem war ich wie immer in Gedanken (für Ortsunkundige: das liegt ein Stück südöstlich von Schwabing). Aber dem Herrn Ude bin ich fünfmal begegnet: Einmal war ich in den Keller im Rathaus zum Weißwürsteverspeisen und Biereinverleiben eingeladen, einmal ist er mir im Englischen Garten entgegengeradelt, zweimal auf der Straße an mir vorbeimarschiert, und jedes Mal hat er mich angeschaut, als wäre ich ein netter Bekannter, der ihm gerade diesen Witz aus dem Monthy-Python-Film erzählt hat, wo dann die deutschen Soldaten alle aus den Büschen stolpern und sich auf offenem Feld totlachen. Nein, das ist übertrieben, aber er sah sehr erfreut aus und schien sich etwas noch Erfreulicheres dabei zu denken. Zum fünften Mal bin ich Christian Ude in einem Saal der Bayerischen Versicherungskammer begegnet (schon gut, ich habe so was auch zum ersten Mal betreten), der von innen aussah, wie ein barrenförmiger Riesenpanzer von außen aussähe, und auch diesmal schaute er so, aber diesmal war ich nicht allein, sondern mit zweihundertfünfzig Leuten da, und diesmal habe ich annähernd so gelacht wie die deutschen Soldaten in dem Monthy-Python-Film. Wenn sich Geben und Nehmen so ausgleichen, könnte man das in der Politik für ganz in Ordnung halten. ––
Jetzt muß ich nur noch hinzufügen: nicht bloß in der Politik, sondern auch in der Kunst. Und natürlich die Zahl sechs: Grüß Gott, Herr Oberbürgermeister. Und selbstverständlich: daß ich zu den Leuten gehöre, die immer dann, wenn jemand sie lobt oder auszeichnet, sofort von dem Gedanken gequält werden: Womit hab ich denn DAS verdient? Die dann sofort Freunde anrufen, um eine Antwort zu kriegen, aber bloß hören: Womit hast du denn DAS verdient? Was hast du denn da wieder getan? Die dann sagen: Dafür muß man nichts tun, da muß man bloß SEIN. Es wäre überhaupt viel besser, wenn die Leute nicht soviel tun würden, denn wenn man etwas tut, steigert man das Wirtschaftswachstum, und vom Wirtschaftswachstum geht die Welt kaputt!
Ich gehöre allerdings auch zu den Leuten, die sich dann um so größere Mühe geben, sich das, womit sie da unverdientermaßen ausgezeichnet werden, irgendwann vielleicht doch einmal zu verdienen.
Und ganz am Schluß füge ich das hinzu, wovon ich weiß, daß es schon deswegen im Gedächtnis bleiben wird, weil ich es am Schluß hinzufüge: Vielen, vielen Dank; auch für die Möglichkeit, mich der Produktion von Waren und Würsten wieder für eine gewisse Zeit zu entziehen.
(Dieser Text entstand im Sommer 2001, als ich die Mitteilung erhielt, man werde mir den Schwabinger Kunstpreis verleihen und ich müßte dazu nichts weiter tun als eine kurze Rede halten, etwas lesen oder spielen oder welche Kunst auch immer ich eben präsentieren wolle.
Gastgeber der Veranstaltung in der Seidlvilla war der damalige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, den ich recht gern mochte und sogar einmal gewählt hatte, obwohl er einer Partei angehörte, die ich da längst nicht mehr wählen mochte.
Vorgeschlagen hatte mich für den Preis ein lieber Freund, der heute zumindest in der Öffentlichkeit nichts mehr mit mir zu tun haben möchte, weil ich in bezug auf den galoppierenden Totalitarismus und den Krieg gegen Rußland Ansichten vertrete, mit denen er nicht in Verbindung gebracht werden darf, aufgrund von Gründen, wie ich vermute.
Es war ein schöner Abend; ich habe nach der Rede mit meiner damaligen Band The Narcotic Brothers noch ein paar Lieder gespielt, die selbst der versammelten Kulturbetriebsschickeria einigermaßen erträglich erschienen. Meine Oma hatte ihr schönstes Kleid an und war sehr begeistert, weil sie sich in einem Raum mit dem Oberbürgermeister aufhalten durfte, der die Feier allerdings bald verließ und sich ihr nicht persönlich vorstellte.
Der Preis, den vor mir unter anderem auch Erich Kästner – mit dem ich viele Ansichten teile – erhalten hat, wurde mir bis heute nicht aberkannt. Ich hoffe, daß das so bleibt.)
das ist ein massives Dilemma: In dem Moment, in welchen man auf Geld/Erfolg/Amortisation schielt, ist der Geist, der die Kunst mit sich bringt, schon weggerannt. Denn man kann diese (ich bin halt Esoteriker) göttliche Verbindung nicht mit dem Mammon verknüpfen. Man kann es versuchen, manche kommen weit…..
Gruß aus der Taiga