(periphere Notate): Buch und Stabe

Literatur ist der letzte Dreck. Bücher sind der letzte Dreck. Deswegen stehen sie heutzutage auch nicht mehr in Bibliotheken, sondern in „Zu verschenken“-Kisten herum und saugen sich im täglichen Gewitter mit Wasser voll, verwandeln sich in Maché und landen millionenfach in Containern. „Romane“ von 2024 schauen genauso aus wie die „Romane“ von 1990, enthalten die gleichen Wörter, dieselben blödsinnigen „Plots“ und „Handlungen“, und daß Deutschland auf dem Weg ins Vierte Reich ist, merkt jeder, der mal einen aktuellen Bestseller parallel zu einem Kolbenheyer liest und feststellt, daß die trübgelbe Dumpfsinnigkeit, der Qualm und Malm von Stumpfsinn und „Haltungs“-Sicherheit von 1934 sich von dem biederen Gewölle von 2024 höchstens in modewortigen Nuancen unterscheidet.

Ich bin neulich zufällig auf James Baldwin gestoßen und habe ein Defizit bemerkt, das ich vielsagend fand. Der Anlaß war ein Album von Meshell Ndegeocello, auf dem sie unter anderem James Baldwin (auch im Titel) „Tribut zollt“, wie man das sagt, ohne zu wissen, was es heißt. Ein deutscher Schreiber eines Propagandamediums rezensierte dieses Album und ließ seine Rezension (ich zitiere nur sehr ungefähr) in dem Satz kulminieren, Baldwin habe darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, zuzuhören. Das gelte auch für dieses Album.

Ich fand es arg unbedarft, darauf hinzuweisen, daß Musik gehört sein soll. Sonst nämlich ist sie gewissen Rezeptionstheorien zufolge gar keine Musik, wandte ich (innerlich) ein. Ich fand das schludrig und wies in einem Facebook-Kommentar auf die Banalität einer solchen Aussage hin. Eine Antwort in typisch pathetischem Stil lautete in etwa, das sei doch, worum es gehe. Das konnte mich nicht zufriedenstellen; im Gegenteil: Ich fand nach dem Lesen der Antwort den Umgang des Rezensenten mit Ndegeocello und Baldwin noch respektloser und auf beleidigende Weise gleichgültig.

Es ist mir ziemlich egal, was Meshell Ndegeocello mit ihrer Musik ausdrücken möchte. Ich habe ein paar ihrer Alben gehört und konnte nichts damit anfangen, fand ihre „polit-künstlerische“ Haltung elitär und ziemlich (schon wieder) banal – mehr als eine Aneinanderreihung gängiger Haltungsklischees schien mir daraus schon in den Neunzigern nicht herauszudestillieren zu sein. Das ist aber Geschmacks- und Zufallssache. Ich finde zum Beispiel viele Sachen von Miles Davis deppert und ressentimentbeladen, andere wiederum unfaßbar großartig. Kunst ist sehr zufällig, Personen sind dies sowieso; man sollte beide trennen, muß dies aber nicht.

Mit James Baldwin konnte ich nie viel anfangen. Ich habe mir – mehr oder weniger pflichtbewußt – mit neunzehn oder zwanzig ein paar Bücher von ihm gekauft, die (mehr oder weniger pflichtbewußt) immer noch im Regal stehen, weil ich dachte und immer noch denke, ich müsse das irgendwann „noch mal probieren“. Da schwillt die (gefühlte) Bedeutung der Person ins Werk hinein; andere Autoren, deren Bücher mir mehr zusagten, habe ich längst aussortiert, weil sie mir irgendwann nicht mehr so arg zusagten oder nichts mehr sagten.

Meshell Ndegeocello hat James Baldwin eigener Aussage zufolge erst spät entdeckt (sie ist fünf Jahre jünger als ich). Ihre (offizielle) Begründung für Baldwins Bedeutung klingt in meinen Ohren schal und klischeebeladen – irgendwas mit dem üblichen „Rassismus“ in den USA und so. So etwas sollte ich heute wohl besser gar nicht mehr sagen, weil es umgekehrt als „rechts“ und „rassistisch“ gedeutet werden könnte. Ich wage aber eine Wette: Wer auch immer mir das vorwirft, hat vielleicht eine, aber keine hundert Zeilen von Baldwin gelesen.

Seine Werke haben sicherlich ihre Bedeutung, und hier fängt die Verwirrung an: Werke von Schriftsteller können eine „Bedeutung“ haben und haben diese meistens ohne daß jemand sie lesen müßte. Es ist ihre bloße Existenz und ein vermutetes Potential, das „in ihnen schlummert“, was ihre „Bedeutung“ ausmacht. Liest man sie dann doch mal, findet man wenig von dem, was im Laufe von Jahrzehnten hineingerümpelt wurde.

So gleitet die „Bedeutung“ von ein paar Zeilen über einen Roman und ein Gesamtwerk hinweg hinein in eine „historische“ Person, die im Laufe dieses Prozesses gewissermaßen aufgeladen wird mit Brisanz und … ja, eben: „Bedeutung“. Ich erinnere mich an Wanda Coleman, über die vor fünfunddreißig Jahren ähnlich „gemeint“ wurde. Ein paar Jahre später geriet sie in eine „Kontroverse“ und ist heute weitestgehend vergessen. Ich habe damals ein Buch mit Kurgeschichten in deutscher Übersetzung von ihr gelesen und fand es … (third time) recht banal, effekthascherisch pornographisch und durchschaubar. In der deutschen Version des „Wikipedia“-Propagandablogs hat sie elf Jahre nach ihrem Tod nicht mal mehr einen eigenen Eintrag.

Was ich sagen möchte, ist wohl dies (ungefähr): Autoren sind Menschen, Bücher sind Kunstwerke. Menschen sind unsympathisch, unbeholfen, unbedarft, dumm, manchmal regelrechte Idioten, aber trotzdem kann ihnen hin und wieder ein Kunstwerk gelingen, das Beachtung verdient. Kunstwerke wiederum sind größtenteils billiger, banaler, uninteressanter Ramsch, einige aber nicht, und welche das nicht sind, liegt im Auge und Hirn des Betrachters (und Lesers oder Hörers). Beide haben wenig miteinander zu tun. Ich habe faszinierende, großartige Bücher von saudummen Autoren gelesen, deren andere Bücher saudummer Quatsch waren. Und ich kenne wundervolle Menschen, die saudumme Bücher geschrieben haben (und nur solche).

Nein, ich möchte über den kapitalistischen Prozeß, der aus der Unmasse von Büchern, die geschrieben werden, jene auswählt, die gedruckt und „promotet“ und dann „Kanon“ werden, nicht sprechen. Aus naheliegenden Gründen widert mich dieser Prozeß an: Keiner meiner drei Romane wurde von irgendeinem der hunderten von „Lektoren“, die sie irgendwann zugeschickt bekamen, auch nur „interessiert“ angelesen. Der großartige Klaus Siblewski, dem ich es verdanke, daß mir gegen den Einspruch anderer Juroren einst ein „Literaturstipendium“ zugeteilt wurde, konnte den Roman, für den ich das Stipendium erhielt, in seinem eigenen Haus „nicht durchsetzen“. Ich habe also Ressentiments, die selbstverständlich unzulässig, aber begründet sind. Ein anderer Lektor, der inzwischen Verlagsleiter ist und mich für einen „Antisemiten“ hält, weil ich in einem Blogbeitrag über die „Krakenärmeleien“ der Gates-Stiftung schrieb, antwortete auf meine Frage, ob schon mal ein „unverlangt eingesandtes Manuskript“ gedruckt worden sei: „Ich meine, bei Suhrkamp gab’s da mal einen.“

„Einen“ – er meinte einen Autor, nicht ein Werk. Zugutegehalten sei ihm, daß er als Lektor einen mehr als tausend Seiten dicken Roman veröffentlichte, dessen Autor niemand kennt, den nie jemand gelesen hat, dessen (des Autors) andere Bücher ich aber größtenteils sehr mag. Den Tausendseiter werde ich irgendwann lesen, versprochen.

Vielleicht kommt man im Laufe dieses Gedankengangs einer Antwort auf die Frage näher, weshalb die derzeitige deutsche „Literatur“ (also das, was die „anerkannten“ Verlage drucken) ein solcher Haufen Scheißdreck ist. Erst kommt die Haltung, dann der Autor, dann – vielleicht – das Werk. Und es kommt zuallererst die „allgemeine“ oder „offizielle“ Haltung zunächst zur „Haltung“, dann zum Autor, dann zum Werk. Nur so ist ein Phänomen wie (beispielsweise) Carolin Emcke erklärbar – eine Autorin, die ganz offensichtlich statt eines Gehirns (im „alten“ Sinne) einen Darm im Kopf hat, mit dem sie verdaut, was „offizielle“ Feuilletons ausstoßen, und den Kot in regelmäßigen Ausstoßungen medienwirksam auf Papier blatzen läßt.

Ich vermute: Niemand hat diesen Mist je gelesen. Man kauft ihn in gewissen Kreisen, wie man früher zum Beispiel den Schirrmacher gekauft hat, der sich (vielleicht ähnlich) an jeden Dreck drangehängt und ein hastig hinuntergekurbeltes „Manifest“ hinausgehaut hat, das dann in der Echokammer der Haltungsplapperer durchgewurstelt wurde, bis es endlich doch mal jemand angeschaut und die zwölftausend Tipp- und Grammatikfehler (ganz zu schweigen von den Denkfehlern, die in diesen Kreisen traditionell „durchgehen“) bemerkt hat. Da war dann aber schon „der neue Sarrazin“ oder „die neue Emcke“ auf der Pauke. Wiederum: die Autoren, nicht der Quark, den sie ausscheiden.

Man mag sagen: Du tust ja genau das, was du „dem Establishment“ oder „den Eliten“ vorwirfst: den Autor für das Werk nehmen, nur andersrum. Ist aber nicht ganz wahr, weil das „Werk“ zum Beispiel bei Emcke ja im Grunde die „Person“ ist (und umgekehrt: die „Person“ ist das eigentliche „Werk“). Ich habe gerade ein „Buch“ dieser „Person“ vor mir liegen und werde mich demnächst näher damit beschäftigen. Mit Baldwin vielleicht auch. Bitte Geduld. Vorläufig fühle ich mich unterfordert und beschäftige mich – auch sommernostalgiebedingt – lieber mal wieder mit Elvis Costello, aus dem doch eine ganze Menge mehr herausblüht als aus dem ganzen … Blödsinn.


5 Antworten auf „(periphere Notate): Buch und Stabe“

    1. Da fehlt wohl ein „eher“. Ansonsten gebe ich Ihnen aber Recht: Ich habe soeben ein Buch von Frau Emcke gelesen. Es war ein einziger Ausbund an Hass, Missgunst und Verachtung. Allerdings lebt Frau Emcke wohl nicht von Spenden.
      Herrn Sailer muss ich damit aber widersprechen: Offenbar liest doch jemand diese Bücher, und wenn nur ich. Allerdings habe ich es nicht gekauft, sondern originalverpackt einer der erwähnten Kisten entnommen 😉

      1. Ich habe mit dem Hass nicht den Text von Frau Emcke gemeint, sondern den von Herrn Sailer. Verachtung gegenüber allem und jedem. Dazwischen ein Goebbelsbildchen. Das ist einfach nur, um sich Sailers differenziertem Wortschatz zu bedienen, Scheißdreck!

        1. Selbstverständlich ist auch dieser Kommentar von der Meinungsfreiheit geschützt, ebenso übrigens wie Haß und Verachtung. Die ich allerdings nicht in hohem Maße und teilweise gar nicht empfinde, zumindest nicht den erwähnten Figuren gegenüber. Schöne Grüße und danke für das Mißverständnis, das letztlich mehr erhellt, als es wollte.

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