Die „Nazipartei“ (S. Esken, SPD), also: die Partei der „Nazis“ (L. Klingbeil, SPD) hatte den Plan, in der Essener Grugahalle einen Parteitag abzuhalten. Parteien tun so etwas: Sie tagen, setzen sich also zusammen, wählen sich in irgendwelche Posten, halten Reden, feiern sich öffentlich, zeigen, wie toll sie sind, und hoffen, daß sich von dem ganzen Firlefanz möglichst viel in den Medien niederschlägt.
Parteitage totalitär ausgerichteter Parteien sind dafür bekannt: Da wird nicht diskutiert, debattiert, gestritten, sondern da „zeigt“ man „Geschlossenheit“ beziehungsweise „zeigt“ sich „geschlossen“; da gibt es Aufmärsche, Fackelzüge und Huldigungen für den großen Führer oder Landesvater, und am Ende grölt man im Chor die Nationalhymne oder irgendein ideologisch trefflicheres Lied. So kannte man das vom Strauß, den der patzige, intellektuell leider sechs Etagen tiefer (im Tiefkeller) eingemietete Söder gerne imitieren täte, was zu der eigenartigen Darbietung einer Art Rüstung ohne Ritter drin führt (im übertragenen Sinne). So kennt man es auch von den „Grünen“, und wenn man die rituelle Zerknirschung einer Partei hinzurechnet, die seit fünfzig Jahren von Demütigung zu Demütigung und Dummheit zu noch größerer Dummheit eilt, dann kennt man es so ähnlich auch von der SPD.
Die AfD hat da noch Nachholbedarf: Große Vorsitzende, gar Führer mit historischen politischen Triumphen auf dem Kerbholz hat sie nicht zu bieten, statt dessen halbvergessene oder hinausgeschmissene oder gegangene Gründer und Teilzeithoffnungsträger diverser Strömungen (Adam, Blaunase Henkel, Lucke, Meuthen, Trebesius, Gauland, Petry et cetera) sowie ein paar irrlichternde Provinzfürsten und halbvernünftige, aber im politischen Alltag vom Dauerbewurf mit Dung und Haftschmutz überforderte Nachwüchslinge und tapfere themenfeste Nischenoppositionelle wie Martin Sichert, dem wir – das läßt sich nicht leugnen – in Sachen „Corona“ mehr verdanken als allen festversattelten „Gesundheitspolitikern“ anderer Fraktionen zusammen.
Dem Essener Oberbürgermeister (CDU) ist so ein AfD-Parteitag aber verständlicherweise ein Dorn im politischen Auge, weil die AfD (wie man früher sagte) „Fleisch vom Fleische“ der CDU ist, das die CDU folglich sich wieder einzuverleiben anstrebt (zumindest die Wähler). Also plante der Mann, den Parteitag verbieten zu lassen, und wandte sich zu diesem Zweck an einen wahlweise verdienten beziehungsweise notorischen „Antifa“-Aktivisten, der auf den Gebieten Denunziation und Geschwafel schon recht lange tätig ist und immerhin schon mal den Höcke auffliegen ließ (oder vielmehr: dessen Pseudonym als Autor in einem rechtsextremen Blättchen).
Dieser Herr (sein Name tut nichts zur Sache; ich finde Denunziation unappetitlich, und wer mag, findet ihn sowieso leicht heraus), dessen „Wikipedia“-Pseudonym passenderweise (wg. CDU) „Schwarze Feder“ lautet, erhielt nun also fünftausend Euro Honorar für ein Gutachten, in dem er feststellte, es sei dringend zu erwarten, daß auf dem AfD-Parteitag der neuerdings verbotene, auf das dazumal SPD-nahe „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ zurückgehende Spruch „Alles für Deutschland“ ausgestoßen werden würde. Das ärgert mich nun doch ein bißchen: daß sich der Herr Oberbürgermeister nicht an mich gewandt hat! Für fünftausend Euro hätte ich ihm in fünfzehn Minuten ein mindestens so gutes „Gutachten“ zusammengeschustert oder -gesailert und wäre damit einigermaßen sicher, diesen Blog weitere zwei Jahre fortschreiben zu können, ohne zu verhungern und zu verdursten.
Aber nein: Die CDU „arbeitet“ selbstverständlich nicht mit Antifaschisten wie mir „zusammen“, sondern setzt auf Prominenz und echte „Antifa“-Expertise, und nun hat sie den Salat: Dem „Gutachten“, auf dessen Grundlage der OB den Parteitag verbieten lassen wollte, indem er den bereits unterschriebenen Vertrag mit der AfD nachträglich kündigte, fehlte laut dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen „jeder empirische Gehalt“, es sei weder „wissenschaftlich“, noch eine „tatsachenbasierte Prognose“. Was bei pseudoprophetischen Aussagen über eventuell irgendwann in der Zukunft Gesagtwerdendes kein Wunder ist, möchte man meinen – ich kann ja auch nicht wirklich nachweisen, was mein Nachbar, falls er eines Tages eine Partei zu gründen gedenkt, auf deren zukünftigem Parteitag so alles skandieren könnte.
Wir leben also – das zeigt dieser Fall als überflüssiges Exempel – in einem zunehmend zügellosen Irrenhaus. Da mag es angeraten sein, weniger über zukünftige Ereignisse zu sinnieren als über bereits Geschehenes. Schließlich geht der Wahnsinn des zeitgenössischen Menschen nicht zuletzt darauf zurück, daß er sich abgewöhnt hat, in einer auf der Vergangenheit basierenden Gegenwart zu leben, und statt dessen ohne Ansehen des Augenblicks und irgendwelche Bedenken einer wahnhaften „Zukunft“ entgegenhastet, in der er teils schon zu leben vermeint.
Man könnte daran erinnern, daß es ohne die deutschen Staatsmedien eine AfD vermutlich gar nicht gäbe. Die Dauerpräsenz von Blaunase Henkel in der „Reform!“-faschistischen ARD-Talkshow „Sabine Christiansen“ war schließlich einer der wesentlichen Grundsteine zur Bildung der Partei, die anfangs ebenso wie der „FDP-Rebell“ Manfred Brunner und sein „Bund freier Bürger“ hauptsächlich „Euro-kritisch“ war, im Gegensatz zu diesem aber halt … dauerpräsent.
„Naziparteien“ und Parteien „der Nazis“ gibt es in der Bundesrepublik Deutschland übrigens schon länger. Genau genommen seit 79 Jahren – die einzige nach der vernichtenden Niederlage der Nazis von ehemaligen KZ-Insassen neu beziehungsweise wiedergegründete Partei war die KPD, die dann ja auch bald verboten wurde, weil sie gegen die Fortführung des Totalitarismus als „Demokratie“ opponierte. Der Rest: randvoll mit Nazis, teilweise eklatant.
Zum Beispiel die FDP: Da geisterte 1945 ein Herr Naumann herum, ehemals Erster Staatssekretär von Joseph Goebbels. Der brüllte am 31. März 1945 die Münchner Bevölkerung an: „Jede Hecke, jeder Wall, jedes Tal, jeder Platz haben eine Festung zu sein!“ Nach der zwischenzeitlichen Schmach der Kapitulation plazierte er dann seine Gesinnungsgenossen im FDP-Landesverband NRW: Dessen Geschäftsführer war 1953 Alfred Rieger, ehemals Kreisleiter der NSDAP, Pressereferent der frühere HJ-Gebietsführer und Referent der Reichsjugendführung Siegfried Zoglmann, Sozial- und Wirtschaftsreferent der Ex-Hauptgeschäftsführer der NS-Reichsarbeitskammer Heinz Jaeckel. Hinzu kam ein (tatsächlich so benannter „Propagandareferent“ namens Rudolf Stolle, der zuvor als „Kraft durch Freude“-Geschäftsführer gedient hatte.
Weitere Namen hoher FDP-Funktionäre gerne googeln: Walter Brand, Josef Rieger, Hans Mertens, Walter Mundolf, Carl Peter Marks, Siegfried Gröschel, Franz Oswald Finzel, Günter Prager, Hugo Kraatz (so viel sei verraten: Der war letzter Kommandeur der SS-Division „Hitler-Jugend“). Naumann selbst hatte am 12. Januar 1953 eine vertrauliche Unterredung mit dem FDP-„Parteiführer“ und späteren Vizekanzler Erich Mende, wurde jedoch zwei Tage darauf verhaftet – von den britischen Besatzungsbehörden, weil sich ihre deutschen Kollegen weigerten. Auf dem Geschichtsverdrehungsblog „Wikipedia“ ist heute zu lesen, der Versuch der Unterwanderung der FDP sei „gescheitert“. Ja nun, dann wird das wohl so gewesen sein.
Ebenfalls 1945 formierten sich aus älteren und jüngeren Nazis die (Obacht, Verwirrung!) DKP (Deutsche Konservative Partei) unter dem „Industriellen“ Hermann Klingspor, die „völkische“ Deutsche Aufbau-Partei (DAP) um Reinhold Wulle und Joachim von Ostau, die „Tatgemeinschaft freier Deutscher“ unter Gert Spindler (allesamt irgendwelche „Fabrikanten“), eine „Notgemeinschaft“ unter dem sudetendeutschen Pfarrer Franz Ott und die Nationaldemokratische (!) Partei (NP) unter Heinrich Leuchtgens. Vom Pfarrer spaltete sich der Priester ab: Der ehemalige SS-Sturmbannführer Karl-Heinz Priester gründete lieber seine Nationaldemokratische Reichs-Partei (NDRP). „Demokratisch“ nannten sie sich irgendwie alle, hintenrum selbst Alfred Loritz mit seiner bayerischen Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung (WAV), später „Deutsche“ solche (DAV), die mit dreizehn Abgeordneten in den bayerischen Landtag einzog. Hinzu kamen der mit der WAV verbandelte „Neubürgerbund“ der Schlesien-Vertriebenen unter Günter Goetzendorff und die Münchner Vaterländische Union (VU) unter Karl Feitenhansl, die später in der NPD und noch später in der CSU aufging.
Auffällig wurde außerdem die Deutsche Rechts-Partei (DRP), zwar erst im Juni 1946 gegründet, aber zeit- und stellenweise recht erfolgreich: In Wolfsburg etwa errang sie bei den Gemeindewahlen im November 1948 siebzehn von fünfundzwanzig Ratssitzen (also etwa 68 Prozent der Wählerstimmen). Man freute sich und sang aus voller Brust die damals noch verbotene erste Strophe des Deutschlandlieds. Der DRP-Landesvorsitzende Leonhard Schlüter emigrierte später zur FDP und wurde Kultusminister.
Entstanden war die DRP übrigens aus einem Zusammenschluß diverser Nazigruppierungen, unter anderem der DKP (siehe oben: nicht verwechseln!) und einer „Gemeinschaft Unabhängiger Deutscher“, die später auch mal „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher“ (AUD) hieß und an der Gründung welcher Partei beteiligt war? Richtig: der „Grünen“. So schließt sich der Kreis, und das ist ja alles laaaang her, nicht wahr?
(Ich verdanke viele dieser Erkenntnisse Kurt Hirsch und zwei sehr bewanderten Professoren des Instituts für Neuere und Neueste Geschichte der LMU, deren Ausführungen ich Anfang der Neunziger lauschen durfte. Eingeweihte haben sich das längst gedacht.)
Nachtrag zum DRP-Führer Schlüter: Dem bescheinigte die SPD-Parteizeitung „Vorwärts“ 1955, er sei „Halbjude“ und im Nazireich trotzdem zum Jurastudium zugelassen worden, allerdings auch zehn Jahre nach Kriegsende ohne Abschluß (was sagt die „Völkerrechtlerin im deutschen Außenamt dazu?). Anerkennung gebührt der katholischen Wochenzeitung „Michael“, die am 22. Mai 1955 anläßlich der Ernennung von Schlüter zum Kultusminister anmerkte: „Wir meinen, die CDU sollte – um ihrer Wähler willen und wegen ihres Ansehens als zweitgrößte Landespartei – alles versuchen, um die FDP von diesem Vorschlag abzubringen. Es gibt Grenzen, selbst für den schofelsten Kuhhandel! Oder haben wir, zehn Jahre danach, schon wieder alles vergessen?“
(Die Verwendung der Vokabel „schofel“ und deren Zitation könnte heute übrigens als „antisemitisch“ gedeutet werden, aber mit derlei Schabernack mag ich mich – heute – nicht abgeben.)
Kann angesichts solcher Umtriebe tatsächlich jemand fürchten, die AfD werde das „Vierte Reich“ herbeiführen? Aus solchen Teufelwandmalereien spricht wohl eher die Sorge um eigene Pfründe und Netzwerkboni sowie – vereinzelt – möglicherweise eine gewisse Scham über die Vorgeschichte des Ladens, dem man angehört, und seine Rolle in der Fortführung des Totalitarismus als „Demokratie“. Sagen wir es so: Würde nach der KPD die AfD als nächste Partei verboten, wäre dies schon eine höchst tolle Volte der deutschen Geschichte.
21 Uhr 30 am Chinesischen Turm: Ein junger Mann steht vom Biertisch, an dem er mit zwei Kumpels sitzt, auf, entfernt sich drei Meter und spricht in seine Armbanduhr. Es gibt so Sachen. Reden wir doch mal wieder von der Gegenwart.
Den Begriff „Denunziant“ halte ich für unangemessen bei jemandem, der nichts weiter getan hat als mit einer Textanalyse herauszufinden, was der Höcke, als er noch als Lehrer seine Staatsknete bezog, so getrieben hat (und dass er, den als Nazi zu bezeichnen keine Recherche benötigte, schon lange so tickte, wie er tickt (was denn auch heißt, dass er sich zu seinem Ticken die passende Partei gesucht und dann das, was noch nicht passte, passend gemacht hat)).
Zudem finde ich den von Kemper propagierten Begriff „Klassismus“ klasse: Er beschreibt sehr treffend den von der „Welt“ in die Welt geblasenen „Eure Armut kotzt mich an“-Journalismus, den zu Halbgreisen mutierte Expopper zum Lobe des weltweit besten aller Wirtschaftssysteme tagtäglich produzieren bzw. ebenso das bestialisch laute Röhren des Porsches, mit dem ein Nachbar die halbe Stadt auf seinen Start in den Tag aufmerksam macht.