Reisen im Regal (6)

6. April 1661: Mr. Townsend erzählte mir von seinem Mißgeschick, daß er nämlich kürzlich mit beiden Beinen durch ein Hosenbein gestiegen und so den ganzen Tag herumgelaufen ist.
Samuel Pepys: Tagebuch

Die Kritiker haben sich
auf das stumpfsinnige Schauen verlegt
sie hören nichts mehr
Thomas Bernhard: Der Theatermacher (1986)

Das blanke Ich muß wieder in dem Wir des Volkes aufgehen.
Helmut Kohl, Stern-Interview, Oktober 1982

Es werden bald Zeiten kommen, wo eine Kaserne genauso wichtig ist wie eine Kirche.
Franz Josef Strauß, FAZ-Interview, Februar 1961

Ich hole nur noch rasch die Soße und die rohen Klöße, sagte sie gerade, als aus heiterem Himmel die Sirenen zu schrillen begannen.
Gisela Elsner: Fliegeralarm (1989)

Ich halte die Frage, ob Gott existiere, für sinnlos.
Friedrich Dürrenmatt: Vinter (1990)

21. Mai 1663: Fürchte, daß ich die Herrschaft über meine Frau verliere. Sie hat offenbar keine Freude mehr an mir und gibt sich auch keine Mühe mehr, mir zu gefallen.
Samuel Pepys: Tagebuch

Hinterher spielen wir das heimlichste Spiel, das wir jemals gespielt haben.
Ib Michael: Das Vanillemädchen (1989)

24. Mai 1663: Habe gestern abend eine von Mr. Holliards Pillen genommen und hatte heute früh mehrmals Stuhlgang. Deshalb ging ich nicht in die Kirche.
Samuel Pepys: Tagebuch

Laßt uns jede in uns sich regende Begierde, jede Handlung zuvor nach ihrem wahren Werthe, und nach ihren Folgen sorgfältig prüfen.
Johann Peter Hundeiker: Häusliche Gottesverehrungen für christliche Familien (1788)

30 Mai 1663: Wusch mir nach dem Abendessen die Füße, und dann zu Bett.
Samuel Pepys: Tagebuch

Statt die Hände in den Schoß zu legen und darauf zu hoffen, daß sich der freie Markt selber zu heilen begann, entließ er, voller Betrübnis darüber, daß er nicht zur Senkung der Arbeitslosenquote beitragen konnte, in der er, seitdem er in die Lage geraten war, Löhne bezahlen zu müssen, hauptsächlich eine Folgeerscheinung der Forderungen der Gewerkschaften sah, die Hälfte jener Arbeitnehmer, die er gewissermaßen als Beigabe zusammen mit den Maschinen, den Lagerbeständen und den Kundenlisten der von ihm aufgekauften Fertighausbaufirma übernommen hatte, nicht ohne diesen Arbeitnehmern zuvor noch Gelegenheit geboten zu haben, zum vollen Tariflohn ihre eigenen Arbeitsplätze durch Rationalisierungsmaßnahmen zu vernichten.
Gisela Elsner: Das Windei (1987)

1. Juni 1663: Stehe jetzt regelmäßig um 4 Uhr auf. Aus welchen Gründen auch immer – der König ist mißtrauisch gegenüber Schottland.
Samuel Pepys: Tagebuch

Da ergriff den alten Planus ein furchtbarer Zorn: „O! Dirne … Dirne …“ schrie er und ballte die Faust, und man wußte nicht, wen er meinte, das Weib oder die Stadt.
Alphonse Daudet: Fromont jun. und Risler sen. (1874)

Die junge Frau sang, weil er nicht beanstandet hatte, daß die Suppe angebrannt war. Er hatte an das gedacht, was man ihm als Kind über das Leben erzählt hatte, daß man es wegwerfen muß, um es zu gewinnen.
Anna Seghers: Die Saboteure (1946)

Der Tod ist ̕n eigener Mann. Er streift den Dingen dieser Welt ihre Regenbogenhaut ab, und schließt das Auge zu Tränen und das Herz zur Nüchternheit auf! Man kann sich von ihm freilich auch verblüffen lassen und des Dinges zuviel tun, und gewöhnlich ist das der Fall, wenn man bis dahin zu wenig getan hat.
Matthias Claudius: Über einige Sprüche des Prediger Salomo (ca. 1775)

15. Mai 1664: Nahm heute mit meiner Frau zusammen Abführmittel ein, die bei uns beiden ausgezeichnet wirkten; wir verbrachten die Zeit mit angenehmer Unterhaltung.
Samuel Pepys: Tagebuch

Langsam, Haupt und Blick zur Erde gezogen, stieg der Baalschem nieder. Als er im Tal stand, fühlte er einen Arm um seinen Nacken. Da er sich wandte, sah er einen Engel mit leuchtender Stirn, der legte nun auch den andern Arm um seinen Nacken und küßte ihn. Er erkannte den Fürsten des Todes und der Wiedergeburt.
Martin Buber: Die Legende des Baalschem (1907/1954)

Nur die Verächtlichen fürchten die Verachtung.
La Rochefoucauld: 150 Maximen (1655)

Der Trieb, unser Geschlecht fortzupflanzen, hat noch eine Menge anderes Zeug fortgepflanzt.
Georg Christoph Lichtenberg: Sudelbuch F (circa 1778)

Da erschütterte ein gewaltiger Donnerstoß das Haus, und die Prinzessin war verschwunden.
Pu Ssung-ling: Merkwürdige Mitteilungen aus der Arbeitsstube „Zuflucht“ (ca. 1680, Hrsg. Martin Buber)

28. Juni 1664: Habe heute zum erstenmal in diesem Sommer ein Hemd mit kurzen Ärmeln angezogen; so ängstlich bin ich geworden, daß ich mich vor einer Erkältung fürchte, wo alle Welt unter der Hitze stöhnt.
Samuel Pepys: Tagebuch

Zeit war vergangen, November da!
Franz Werfel: Der Tod des Kleinbürgers (vor 1927)

Der eine schritt bergauf, der andere bergab. Sie sahen sich noch mehrmals um. Endlich verschwanden sie zu gleicher Zeit: der eine hinter einem Felsen der Höhe, der andere tief im Tal. Die Sonne versank, und leise begann das Hirn des Mondes im Abend zu tönen.
Klabund: Sankt Jemand und Sankt Niemand (1919)

5. April 1665: Auf Anordnung des Königs war heute Fastentag für den Krieg gegen Holland.
Samuel Pepys: Tagebuch

Was mich persönlich in Verbindung mit dem Thema „Zauber und Fluch des Faschismus“ betrifft, so findet sich irgendwo bei Pirandello der gleichsam hingeseufzte Satz, der mich beim Überdenken der verschlungenen Dramödie meines politischen Wirkens seit Jahren wie ein Schatten verfolgt: (…) Wüßte man doch nur alles Schlimme voraus, was aus dem Guten, was wir zu tun glauben, entstehen kann.
Ja, wüßte man …
Haus Tiefland, München-Herzogpark, 22. Juni 1970
Ernst Hanfstaengl: Zwischen Weißem und Braunem Haus (1970)

Das neue Jahr beginnt in Deutschland mit Verstärkung der Pleite und der Unzufriedenheit. Die Preissenkung durch Notverordnung ist das Dümmste, was gemacht werden konnte. Sie hat die Wirkung, daß alle Einnahmen sinken, aber nicht ebenso die Ausgaben.
Th. Th. Heine an Alfred Kubin (16. Januar 1932)

5. August 1665: Höre, daß der Herzog von Buckingham tot ist, man weiß es aber nicht genau.
Samuel Pepys: Tagebuch

Einmal, wir waren im Herbst 1944, war mir im Traum eine einsame und trübe Landschaft erschienen, mit dunklem Kiefernwald hinter weiten, üppigen Wiesen, mit hohem Schilf und stillem Wasser, das halb verdeckt war, mehr zu ahnen als zu sehen; sie war mir vertraut und zugleich unnahbar fern und feindselig, tausend Erinnerungen an den vorigen Krieg waren darin, traurigmachende herzbedrückende Erinnerungen und schreckliches Heimweh und Verlassenheit. „Der Osten“, dachte ich, als ich aufwachte.
Das war ein unheimlicher Traum, den ich gern losgeworden wäre, aber er ließ sich nicht abschütteln, denn er hatte nur das, was ich seit langem mit mir herumtrug, auf die einfachste und für mich einprägsamste Formel gebracht. Der Krieg war verloren, es ging nur noch darum, das bittere Ende durchzustehen, und daß ich dabei nicht vergessen würde, war mir klar – seltsam war nur, daß mir der Gedanke an die Westfront gar nicht kam, ich dachte nur an den Osten.
Rudolf Helm: Volkssturm-Saga (1945)

9. Oktober 1665: Die Nachricht vom Tode des Königs von Frankreich stimmt nicht, und angeblich lebt der Papst auch noch.
Samuel Pepys: Tagebuch

Wir hoffen, es hat keiner gelacht bei unserem Versuch, einen komischen Satz ernsthaft zu analysieren. Wer Lust hat, möge dergleichen tun, auch an ernsthafteren Gebilden. Er wird seine Wunder erleben.
W. E. Süskind: Vom ABC zum Sprachkunstwerk (1953)

Much further investigation remains to be done, but the final results, when published, cannot fail to be of absorbing interest and of immediate value to mankind.
C. Northcote Parkinson: Parkinsons’s Law or The Pursuit of Progress (1957)

7. Februar 1666: Fastentag wegen der Pest. Blieb den ganzen Tag zu Hause und räumte mein Zimmer auf. Verletzte mir beim Einschlagen eines Nagels den Daumen so stark, daß ein großes Stück Fleisch vom Daumen herabhing. Meine Frau bekam bei dem Anblick einen gewaltigen Schreck.
Samuel Pepys: Tagebuch

Nichts wie Cinquecento und Kunstgeschwätz von allen Deutschen, die der Teufel hier zusammenführt. Eine Zeit lang war Scharvogl hier, der ein famoser Kerl ist. Aber die Andern!
In den Galerien stoßen mir die Madonnen jetzt schon auf, wie schlechte Schmalznudeln. Je öfter ich sie sehe, desto äußerlicher & langweiliger kommt mir die Unmasse von Heiligenbildern vor.
Um das Kraut fett zu machen, steht in jedem Saal unser Bildungspöbel herum und markiert Bewunderung. Ich versichere Dich, so ein Holbein oder gar der Breughel mit seinem Golgatha thut Einem wohl, wie ein frisches Bad.
Ludwig Thoma an Ignatius Taschner (Florenz, 10. April 1907)

1901: Die Fonografen-Industrie hofft, die sommerliche Verkaufsflaute durch Eröffnung von Verkaufsstellen in Badeorten ankurbeln zu können.
Kurt Wortig:Kulturgeschichte der Schallplatte (1959)

Anfangs spiegelten Punk und Post-Punk auch die Absurditäten des postmodernen Lebens wider. Dieser Aspekt wird heute nur noch selten wahrgenommen, denn Punk und Post-Punk sind längst und auch zwangsläufig Teil des Systems geworden.
Andreas Schwarz: Kein Kiel (2007)

1. April 1666: Ich höre, daß die Königin noch immer nichts vom Tode ihrer Mutter weiß; sie unterzieht sich gerade einer Abführ-Kur, deshalb will man es ihr nicht sagen.
Samuel Pepys: Tagebuch

Hier wird die tote Zeit am deutlichsten. Wir warten auf die Abfertigung derer, die vor uns stehen. Die herrschende Stimmung ist die der Langeweile, aber auch des Gerichts; die Abgefertigten schweben wie nach der Absolution davon.
Innerhalb der toten Zeit wird das Verhältnis der Menschen zueinander mechanisch – jeder von ihnen betrachtet den Vordermann als einen Widerstand, der ihn vom Ziele trennt. Hierauf begründet sich die unmenschliche Stimmung solcher Orte; sie führt zu mörderischen Wünschen: möchten sich alle anderen in Luft auflösen, nicht mehr vorhanden sein.
Ernst Jünger: Sgraffiti (1960)

20. Juni 1666: Magenkolik, weil ich mir in letzter Zeit vom vielen Füßewaschen eine Erkältung zugezogen habe, hoffentlich geht sie bald vorüber.
Samuel Pepys: Tagebuch

Das war alles.
Georges Simenon: Der Bananentourist (1937)

 

 


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