Ein alter Bekannter, der mich seit einiger Zeit nur noch anblafft (schriftlich), weil ich gegen „Corona“ und den Krieg bin, tut dies meist mit ungefähr diesem Wortlaut (aktuelles Zitat): „Und dennoch bleibt eine Frage selbst bei größtmöglicher gedanklicher Flexibilität nicht bestreitbar: Es stehen russische Truppen auf völkerrrechtlich annerkanntem ukrainischen Territorium und keine ukrainischen auf russischem. Isso.“
Nun ist dies nicht, wie er meint, eine Frage, sondern eine Feststellung. Das wird der Erregung geschuldet sein, ebenso wie die Mehrfachbuchstaben, weshalb es sehr unhöflich und pedantisch wäre, das eine zuungunsten des anderen zu rektifizieren oder darauf herumzureiten (immerhin verzichtet er auf die derzeit modische Versaliensprache). Aber ich finde das einen sehr frühen Punkt, um mit dem Denken aufzuhören, egal ob es um Realpolitik geht oder um das zitierte Völkerrecht (das eine ganze Reihe weiterer diskutabler Aspekte kennt, vom Selbstbestimmungsrecht über das Konzept einer selbsternannten „Weltpolizei“ bis hin zum Sanktionsverbot). Wenn aus der Feststellung der Schluß gezogen wird, „wir“ seien als nicht mit der Ukraine verbündetes Land verpflichtet (oder zumindest berechtigt), sie trotz ihrer aussichtslosen Lage weiterhin mit Waffen vollzupumpen, müßte man weiterfragen, weshalb Deutschland nicht auch Jugoslawien mit Waffen beliefert hat, als es 1999 von Deutschland und der NATO überfallen wurde. Oder Syrien, wo auf völkerrechtlich einwandfrei syrischem Gebiet US-amerikanische Truppen stehen und dafür sorgen, daß der Raub des syrischen Erdöls weiterhin störungsfrei abläuft. Oder damals den Irak, Libyen, Afghanistan und was weiß ich noch alles für angegriffene Länder. Oder überhaupt alle, in denen fremde Truppen stehen.
Die zweite Frage wäre, ob „wir“ denn den Ukrainern wirklich helfen, wenn wir sie weiterhin in den Untergang peitschen, etwa mit der zynischen Forderung nach einer „Gegenoffensive“, wo doch das überlebende Personal, das Selenskyj in den sicheren Tod befehlen kann, kaum noch ausreicht, um eine solche wenigstens vorzutäuschen. Haben die zwangsrekrutierten Ukrainer, die im Auftrag des Westens dafür geopfert werden sollen, kein Recht auf Leben? Sind „wir“ überhaupt dazu befugt, ihre Opferung zu verlangen?
Die nächste Frage wäre vielleicht nicht die nach einer Schuld, aber zumindest nach der Vorgeschichte und dem Verlauf der ganzen Geschichte. Das ist kompliziert, aber der Verdacht, der Westen sei in irgendeiner Form darin verwickelt, ließe sich doch recht einfach bestätigen (oder eben entkräften). Dann wäre weiter zu fragen, welche (moralischen, humanitären, politischen und sonstigen) Folgerungen und Verpflichtungen sich daraus für den Westen jeweils ergäben.
Außerdem könnte man fragen, ob die Feststellung geeignet ist, daraus den Schluß zu ziehen, einen Atomkrieg riskieren zu dürfen. Beträfe das nur jeweils den, der den Schluß zieht (in diesem Falle meinen Bekannten), folgte daraus immer noch das Dilemma, ob man als Mitmensch nicht verpflichtet ist, ihn davon abzuhalten. Es betrifft jedoch so gut wie jeden Menschen mindestens in Europa und zu (geschätzt) 99,99999 Prozent Menschen, die mit der ganzen Sache nichts zu tun haben und zu tun haben wollen, die nichts dafür und auch nichts dagegen können. Das macht den Gedanken, es werde hinterher schon irgendwie ein Überleben geben, aber jetzt bleibe nun mal keine andere Möglichkeit, weil der Russe bestraft werden müsse, extrem leichtfertig und moralisch mindestens höchst zweifelhaft.
Und sowieso wäre eben zu fragen, was es hilft, sich so zu erregen, wenn man weder etwas dafür noch dagegen tun kann und die eigene Meinung keinerlei Einfluß und Auswirkung auf den Fortgang der Ereignisse hat.
Seltsam bleibt aber, wieso ausgerechnet so viele Deutsche ein so unbedingtes Drängen verspüren, ausgerechnet den Russen ein für allemal fertigzumachen (was sich augenscheinlich auf China trotz größten Bemühungen der Propaganda nicht gleichwertig übertragen läßt). Schlichte Empörung über einen diskutablen Völkerrechtsbruch kann nicht der Grund sein, weil die Deutschen selbst vor nicht langer Zeit an solchen Völkerrechtsbrüchen beteiligt waren (und teilweise noch sind), ohne deshalb laut zu murren. Vermuten könnte man, es gehe um das ungestillte Verlangen nach Rache für den Einmarsch sowjetischer Truppen in Deutschland im zweiten Weltkrieg. Der unstillbare Haß könnte aber auch viel weiter zurückgehen bis zu einer Art „Urangst“ vor dem Bösen, das hinter der Weltgrenze des großen Waldes im Osten lauerte und dem man sich im Laufe der Ostkolonisation oder Ostsiedlung ab dem 9. und bis ins 15. Jahrhundert entgegenwarf, um das heidnische Pack zu unterwerfen, zu versklaven oder zumindest zum rechten Glauben zu bekehren.
Man weiß es nicht, aber wer wollte bestreiten, daß die Deutschen im Umgang mit Rußland und dem Rest der Welt zweierlei Maß anlegen? Womit selbstverständlich nicht gesagt und auch nicht angedeutet sein soll, daß – was die „Behandlung“ durch Deutsche im Laufe der Geschichte und deren Haltung den Fremden gegenüber betrifft – Italiener, Franzosen, Polen, Afrikaner, Südamerikaner und Asiaten (nur als beliebige Beispiele) in einem Boot säßen. Ressentiments sind ein dunkles Labyrinth, das sich kaum erschöpfend erforschen läßt. Zur Vermeidung von Atomkriegen und anderem Übel ist es immerhin hilfreich, sich hin und wieder bewußt zu machen, daß es sie gibt.
Daß der Russenhaß neben dem Antisemitismus die zweite große „Triebfeder“ (es gab noch weitere) des Nationalsozialismus war, wird allzu leicht und gerne vergessen. Oder eben nicht vergessen, sondern unter den Teppich gekehrt. Den nämlich mußte und wollte man den Deutschen danach nicht austreiben. Schließlich ging es praktisch nahtlos weiter und nach der „Befreiung“ von sich selbst, die von den meisten als schlimmste Schmach der Geschichte erlebt wurde, gleich wieder los gegen den Osten; da kam der Haß auf den Erbfeind gerade recht. Ebenso folgerichtig ist die Anschmiegung an die alten Verbündeten im faschistischen Geiste, die sich auch in Kleinigkeiten niederschlägt: Während es „einst“ um eine beleidigende Satire gegen den türkischen „Autokraten“ großen „Wirbel“ und einiges an Diskussion gab, erhielt unlängst ein DFB-Vize-Irgendwas einhelligen Tadel für die Bemerkung, es handle sich bei dem derzeit durch die europäischen Waffenschmieden tingelnden ukrainischen Präsidentendarsteller und ehemaligen Schauspieler um einen „ehemaligen Schauspieler“. Vielleicht stören sich die deutschen Propagandaführer an dem etwas unscharfen „ehemalig“.
Der aktuelle Einpeitscher („Botschafter“) der Ukraine in Deutschland lobte an dem deutschen Beitrag zur „Eurovision“-Schlagershow die „neue deutsche Härte“. Zur Erinnerung: So nannte sich vor vielen Jahren ein „Trend“ oder „Genre“ der deutschen Kommerzmusik, das im nachhinein kaum mehr war als eine mentale Vorbereitung auf das Zeitalter des Krieges, in das wir nun hineingeraten sind, wieder mal ohne es bemerkt haben zu wollen. Daß es Zeitalter (oder, weniger prätentiös: Zeiten) ohne Krieg immer nur regional gegeben hat (nach dem Eintritt einer absoluten Erschöpfung, der manchmal die Empörung der mißbrauchten Opfer folgte), kann von der massentödlichen Wirkung dieser Entwicklung diesmal nicht mehr ablenken: Die logische Eskalation, die von den Führern des untergehenden Westens mit verbissener Ignoranz angestrebt wird, betrifft dann ja wohl wirklich alle.
Sie (die Eskalation) macht übrigens auch das ganze Klimagebimse zu einer dermaßen absurden Farce, daß man sich verzweifelt fragt, wie vor allem jene, denen es dabei nicht nur um Profite geht (i. e. die „Grünen“ und ihr mafiöser Unter- und Überbau), sondern um wirkliche „Anliegen“ (seien sie nun deppert oder nicht), auch nur eine Sekunde am Tag daran denken können, ohne eine sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen und Waffenlieferungen, ja der Herstellung von Waffen überhaupt zu fordern und sich notfalls an die Transporte von Tötungsgerät aus deutschen Fabriken und Depots dranzukleben.
Das wirkt so, als hätte jemand lebensbedrohlichen Hunger und forderte angesichts dessen die Regierung auf, dafür zu sorgen, daß Kaugummis mit Melonengeschmack einen Cent pro Packung billiger werden. Nein, es ist noch viel absurder, mir fällt aber kein angemessener Vergleich ein. Vielleicht weil es keinen gibt.
Apropos Hunger weist der US-amerikanische Präsidentschaftsbewerber Robert F. Kennedy junior darauf hin, daß sich die US-Regierung angesichts explodierender Lebensmittelpreise leider gezwungen sieht, Kürzungen bei den Bezugsscheinen für hungernde US-Bürger einzuführen, um den Krieg gegen Rußland (und China) weiterhin finanzieren zu können. Das sind halt Prioritäten, die sich auch „bei uns“ zeigen, wo dem Finanzminister zufolge kein Geld für die Unterstützung armer Kinder da ist, weil man ja Waffen bezahlen muß.
Daß ein solcher Präsidentschaftsbewerber eine Chance hätte, das amtierende Nickäffchen auch nur herauszufordern – geschweige denn seinen anderweitig ebenfalls notorisch kriminellen Rivalen –, ist leider kaum zu hoffen.
„Wahrer Sieger ist nicht, wer Menschen besiegt, sondern wer sie gewinnt.“ Das sei, ausnahmsweise belehrend, den Kriegsbefürwortern ebenso ans Herz gelegt wie den Musikern, Produzenten und Vermarktern der „neuen deutschen Härte“. Und vielleicht auch dem alten Bekannten, falls er es hören (lesen) kann.
Lieber Michael, Du bist aber nicht mit diesem entsetzlich hinter dem Mond gebliebenen Flatter von Feynsinn grob befreundet (oder vielmehr: locker)? Seine Kategorie „isso“ hat es in sich, eine seiner noch beliebteren Disziplinen (schreibt man das so?) ist das kurze und bündige „Nö“, rüde, ungehobelt, gemein, verletztend, beleidigend. Dabei knallt er gerne mit der Reitgerte gegen den Stiefelschaft, damit keiner draußen „an den Geräten“ merkt, daß der Herr Flatter, wenn er denn dann mal auf einem Podcast mit Robert Lapuente zu hören ist, piepst wie ein kleines Schulmädchen und vom vielen Schluckenmüssen (wegen trockenem Mund), kaum noch was zu hören ist außer diesen Schluckgeräuschen:
https://feynsinn.org/?p=9380
Am 21.04.2020 hat ein „R@iner“ dort gepostet, daß – wenn „er sich von der Pandemie etwas wünschen dürfe“ – und hier wiederhole ich mich in impertinentester Weise! – , dann würde es die „Steiners“ zuallererst wegputzen, die stünden ganz oben auf „der Liste“ derjenigen, um die es nicht schade wäre. Wieher, auf-die-Schenkel-klatsch, Applaus, Applaus und noch ein paar Homöpathenwitze hinterhergeschossen: Unerschrocken aus der verloren geglaubten radikal-linken Ecke rausgeschossen, mutig gegen die über die man schon immer Witze straflos hat reissen dürfen, im vollen Saft der intellektuellen Überheblichkeit, unübersehbar sexuell und auch sonst hoch-erregt. Da war klar, wohin die Reise geht und sie haben alle alles gehalten, was sich da schon als gutgelaunte Pogromstimmung abgezeichnet hat: Kai Sokolowski mit seinem Abfall aus der Warenwlet, war noch eine Zeitlang auf der Blogroll zu finden – bis er ein Gedicht zu den Pandemie-Kindern verfasst hat, das intensiver nicht hätte schildern können, welche Schäden hier in Kauf genommen werden, der dann grob ins Lächerliche gezogen wurde von Feynsinns-altautonomem Fanclub nach dem Motto:
Hach, die armen Kinderlein, was ein Kitschgeschwurbel und in Wirklichkeit springen die doch richtig munter auf dem Schulhof herum und scheissen sich wegen der Masken rein gar nichts: Oberwasser ist dafür gar kein Ausdruck….Gut, daß wir die Pandemie hatten, so wissen wir wo jeder steht.
Am 21.04.2020 hatte ich mir vorgenommen nicht vor dem 21.04.2021 wieder bei Feynsinn vorbeizuschauen, woraus jetzt 3 Jahre geworden sind: Grade eben den isso-Beitrag gegoogelt und ganz schnell wieder verschwunden, Zitat:
„Man muss die moralische Empörung nutzen,
solange die Faktenlage unsicher ist. isso.“ Grüsse Josi
Liebe Josi, nein, dieser Herr ist mir völlig unbekannt. Mein alter Bekannter mag manchmal etwas harsch, ungehalten und engstirnig sein, aber wenn es nötig wäre, täte ich ihn auch verteidigen …
Danke! Was Kennedy angeht – dieses Interview ist atemberaubend:
https://rumble.com/v2nermq-russell-and-rfk-jr-fauci-cia-secrets-and-running-for-president-128-stay-fre.html
Der Mann wird nie auch nur in die Nähe der Präsidentschaft kommen. Interessant ist, dass weder in Deutschland noch in den USA sein Bestseller über den wichtigsten Coronisten des Westens auch nur besprochen wurde. Mit einem Verriss hätte man ja auf das Buch aufmerksam gemacht. Zumindest in Deutschland ist auch seine Kandidatur bislang nur Connaisseuren bekannt. Sollte er jedoch Zulauf bekommen, wird sich das ändern. Ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir: Impfgegner, Verschwörungstheoretiker und Putin-Versteher will Präsident werden. Natürlich hat er sowieso keine Chance. Wir erwähnen den Spinner nur der Vollständigkeit halber. Sein Onkel soll seinerzeit sogar etwas über friedliche Koexistenz mit Russland schwadroniert haben…
Ansonsten:
„This was history. I had no power to change it.“ Derek Walcott
Tatsächlich ein erstaunliches Interview, das ich wärmstens empfehle.
Wie war eigentlich die Reaktion damals, als heraus kam, daß James Macpherson mit seinem „Ossian“ die gesamte europäische Intelligenz aufs Kreuz gelegt hatte?
Ein sehr guter Artikel! Eigentlich ist der gegenwertige Haß gegen Rußland ein Rätsel. Deutschland hat zu Frankreich eine viel problematischere Beziehung gehabt (vier große Kriege zwischen der Französischen Revolution und dem Zweiten Weltkrieg!), aber das scheint (Gott sei Dank!) kein Ressentiment mehr zu schüren. Die Angelsachsen, die Deutschland gründlich zerbombten, werden heiß geliebt und unterwürfig angebetet und bewundert. Rußland war in Zeiten Gorbatschows und in den unmittelbar daraufolgenden Jahren sogar modisch und beliebt… Noch erstaunlicher ist die Tatsache, daß die Russophobie nicht nur in Deutschland hysterisch wächst, sondern auch in anderen westeuropäischen Ländern, die nie einen Konflikt mit Rußland gehabt haben. Ein Fall für die Sozialpsychologie?
Die „Russofobie“ ist nun wirklich erst seit gestern bekannt (düstre Spuren gehn wohl auf das Schisma der Kirche, 11. Jh., zurück, vgl. Serbo-Phobie, hallo ?)
Außerdem, als „bogeyman“ eichnete sich der Ostmensch der Rrusse (aehnlich auch sein blaugelber Vetter, aber das ist jetzt nicht gfragt) nun mal gut, dazu der finstre Kreml, das Schlecht-Luegen-Können (viele Sehn beim Lügen wie Lügner aus usw.), die Freude auch am Feindeln, und da ist er z. B. für den zeihung irgendwie doch auch iwie arisch-nordischen Typ des Anglo Amerikaners der Briten ehrwürdige Tradition der Heilsprediger und Meister-Oberheuchler von Gad’s Gnaden fortgesetzt von GOC, gad’s own country, vulgo USA (WASPS) keine Konkurrenz (müssn wir jetzt noch den im Grunde immer bestehenden Respekt bereits von Führer 18 & dem doitschen Volk gegenüber „den Engländern“ anführen ?)