(periphere Notate): Seit 5 Uhr 45 wird zurückgepreist!

Ich habe mich neulich über Preise (speziell) für Literatur geäußert, wohl etwas zu arg peripher. Eine (etwas) genauere Betrachtung zeigt: Diese ganze Preiserei ist nicht nur die übliche üble Betriebschmarotzschmalzklüngelei, sondern schon auch eine Art Indikator für „Zeitgeist“ (sorry). Den Literaturnobelpreis zum Beispiel erhielt heuer Annie Ernaux. Weil sie sich irgendwann „israelkritisch“ geäußert hatte, brandete umgehend ein Sturm los: Da sei eine Antisemitin „geehrt“ worden! Ob Ernaux das ist, weiß ich nicht. Ich habe nie eine Zeile von ihr gelesen, weil mein für gewöhnlich recht (!) treffsicheres Vorurteil mich stets warnte, das Zeug sei sicher todlangweilig (was der „Nobelpreis“ für gewöhnlich amtlich bestätigt).

Also: nichts gegen Ernaux; ich lese halt ungern Texte von Autoren, die mehr Preise gekriegt haben, als es Bücher von ihnen gibt, und Nobelpreiszeug ist meistens Quark (Rolland, Spitteler, Shaw, Pirandello, Russell, Laxness, Camus, Sartre, Beckett, Naipaul, Fo und Modiano sowie sowieso Handke mögen mir meinetwegen verzeihen; es gibt ja auch Zufälle), abgesehen davon, daß so gut wie sämtliche Schriftsteller, deren Werke ich schätze bis liebe, für so was nie in Frage kamen.

Gleichzeitig aber ergeht sich das „Feuilleton“ in Hymnen auf … darf ich „jemanden“ sagen?, der/die Sachen schreibt, die man früher als Büttenreden im rheinischen Karneval (geschlossene Kellersitzung) bekichert hätte. Nein, ich mag den rheinischen Karneval auch ganz und gar nicht, sorry. Das Feuilleton mag ich auch nicht, aber es mag meinetwegen plappern, was es will. Hört ja keiner zu, und gute Argumente dagegen habe ich auch nicht.

Dann kommt einer daher und kriegt den „Friedenspreis“ des deutschen Buchhandels. Und zwar für „literarische“ Aussagen, die man als Deutscher in leichter Paraphrasierung aus dem deutschen Standardwerk „Mein Kampf“ kennt. Und für einige, die man daraus noch nicht kennt, die aber den erwähnten „Zeitgeist“ wohl ziemlich gut treffen, „artistisch“ (um den „Tagesstürmer“ zu zitieren):

„Wir unterstützen unsere Armee nicht deshalb, weil wir Krieg wollen, sondern weil wir unbedingt Frieden wollen.“ (Ergänzend sei die deutsche Rußlandunterwerfungsministerin zitiert: „Wir unterstützen die Ukraine mit Waffen, nicht obwohl wir eine Menschenrechts- und Friedenspartei sind, sondern weil wir eine Menschenrechts- und Friedenspartei sind.“) Man könnte auch noch hinzufügen: „Seit fünf Uhr fünfundvierzig wird jetzt zurückgeschossen. Nicht obwohl wir Frieden mit Polen wollen, sondern weil wir Frieden in Polen wollen!“

Das ist aber nur der Anfang und sozusagen die historische Anknüpfung. Weil es in der Historie und insbesondere bei Wiederholung und Farce immer darum geht, das Original zu übertrumpfen, geht dem Preisträger der Mund jetzt erst richtig auf in seiner „Widerrede zu dem Pazifismus deutscher Herkunft“, der „zögerlichen Haltung der Bundesregierung (…), schwere Waffen in seine Heimat zu liefern“ (was ja tatsächlich noch praktisch gar nicht geschehen ist, gelt?) (alle Zitate aus dem „Tagesstürmer). Da muß jetzt mehr Dampf gemacht werden, weil:

Russen sind laut Preisträger „Tiere“, „Unrat“, „Barbaren“, „degeneriert“. Das kennen wir zum Teil schon aus unseren „Leitmedien“, drum noch einen Klotz drauf: „Brennt in der Hölle, ihr Schweine!“ Was soll man dafür anderes ausgeben als einen „Friedenspreis“? War nicht auch der Führer mal für den Friedensnobelpreis nominiert? Der „Sieg“, der „Ruhm“, die „wehenden Flaggen“, das ist der Friede der Neuzeit, Heil!

Am Ende der Rede dann – wir kennen das aus dem Sportpalast – „erhebt sich das Auditorium“, gibt „anhaltenden, zustimmenden Beifall wie lange nicht an dieser Stelle“. Berichtet der „Tagesstürmer“. Weil des Preisträgers Worte „ein Plädoyer“ seien „dafür, die Ukraine weiterhin und das noch viel intensiver und tatkräftiger denn je zu unterstützen“. Wir ergänzen: und wenn nötig totaler und radikaler, als wir uns das heute überhaupt noch vorstellen können.

Das war aber nur der „Friedenspreis“. Es gibt auch noch einen „Sacharow-Preis“ für „geistige Freiheit“, den das europäische Parlament verleiht und den man schon vor Jahren in „NATO-Preis“ umbenennen hätte können, weil damit zuletzt ausschließlich Erb- und Erzfeinde gepiesackt wurden (Rußland, China, Weißrußland, Venezuela).

Nun geht man einen Schritt weiter, springt vollends hinein in die völkische Ideologie und zeichnet nicht etwa irgendeinen „Aktivisten“ (wie den notorischen Nawalny) aus, sondern „das ukrainische Volk“, dem somit attestiert wird, nicht mehr zu einem Drittel oder Viertel oder zur Hälfte aus Multikulti-Ethnien von Russen bis Ungarn, Sinti und Roma zu bestehen, sondern ein homogener Volkskörper zu sein, der sich dem „Unrat“, den „Tieren“, den „degenerierten Barbaren“ in verzweifelter Selbstaufopferung entgegenwirft, um auch die „Freiheit“ Europas zu erfechten. Wer die Nazis plötzlich für „vergleichbar“ hält, muß sich nicht schämen.

Und um was zu erreichen? Profit für US-amerikanische Waffenproduzenten. So billig ist manchmal die Erklärung für die gegenseitige Ausrottungsgier der angeblichen Europäer. Man kann angesichts dieses Todestheaters, dieser kollektiven Zerfleischung nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte, und man kann sich nicht so sehr schämen wie man sollte für seine „Führer“ und die, die ihnen nachhecheln.

6 Antworten auf „(periphere Notate): Seit 5 Uhr 45 wird zurückgepreist!“

  1. „Sinn und Ziel des Geschwister-Scholl-Preises ist es, jährlich ein Buch jüngeren Datums auszuzeichnen, das von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen, intellektuellen und ästhetischen Mut zu fördern und dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben“.
    (https://geschwister-scholl-preis.de/geschwister-scholl-preis/)

    „Der Geschwister-Scholl-Preis 2022 geht an Andrej Kurkow“
    (https://geschwister-scholl-preis.de)

    Worte von Andrej Kurkow:

    „Ukrainer und Russen haben verschiedene Mentalitäten. Russen fühlen sich dem Kollektiv verpflichtet. Sie lieben ihren Zar und manchmal töten sie ihn, um einen neuen zu lieben. Die Ukrainer sind Individualisten und Anarchisten. Sie haben wenig Respekt vor der Regierung – auch wenn es zur Zeit anders ist. Freiheit ist ihnen wichtiger als Stabilität und Geld. Bei den Russen ist es genau umgekehrt: Stabilität und Geld sind ihnen wichtiger als Freiheit und Menschenrechte.“
    „Kulturschaffende sind keine Armee, sie nutzen andere Möglichkeiten. Die Leute in Europa und in Amerika sind frei, sie müssen selbst entscheiden, wie sie mit der russischen Kultur umgehen. In der Ukraine interessiert sich derzeit niemand für russische Literatur, das wird auch in näherer Zukunft so bleiben. Und im ukrainischen PEN ist die Mehrheit für einen totalen Boykott “
    (https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/andrej-kurkow-wer-in-russland-nicht-zum-widerstaendler-wird-hat-keine-lust-zu-widerstehen-91472952.html)

    „Ich habe mein Statement dazu gemacht. Die Mehrheit der ukrainischen Kulturschaffenden ist jetzt gegen alles Russische. “
    https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/ukraine-andrej-kurkow-interview

    „Weniger Waffen bedeutet mehr Gewalt“
    (https://www.spiegel.de/kultur/literatur/andrej-kurkow-schriftsteller-aus-der-ukraine-weniger-waffen-bedeutet-mehr-gewalt-gegen-ukrainer-taeglich-a-35e09243-1074-49da-b2b1-a89ac1d7e6f5)

    „Ich habe bisher keine Faschisten gesehen, nicht in Kiew und nicht im Westen der Ukraine. “
    „Es gibt in der Ukraine derzeit keine pro-amerikanischen Politiker.“
    „Die USA sind weit weg, zu viel Einfluss können sie in der Ukraine also gar nicht haben“
    (https://www.planet-interview.de/interviews/andrej-kurkow/44968/)

  2. Von Ernaux las ich viel, ja, das meiste, was in Deutschland auf Deutsch von ihr zu lesen ist. Dass sie oft über das schreibt, was ihr Leben gewesen sein könnte, machte sie ungefragt zur Begründerin eines überflüssigen Genres namens „Auto-Fiktion“, das viel langweiliges Zeug heranschwemmte. Ernauxs Texte sind das nicht, in ihnen findet sich vor allem nichts Antisemitisches. Dass sie ihre Unterschrift unter einige dumme Petitionen gesetzt hat, wird ihr vor allem vom deutschen Feuilleton übel genommen, wahrscheinlich, weil man dort mehr dem Martin Walser den Nobelpreis gönnt.

    1. Schöne hûbsche Hitlerbildchen haben Sie da hochgeladen. Dazwischen der übliche Blödsinn mit den üblichen Vergleichen mit dem Nationalsozialismus. Jeder hat so seine Strategie diesen zu verharmlosen.

  3. Wer ist „jeder“, und was für eine „Strategie“ soll einer dieser jeder haben, um den NS zu „verharmlosen“ – ??

    Mir scheint die öfter zu beobachtende Heranziehung von Bildern aus der Zeit des NS (svst. „Propagandabildern“) durch MS, womit er offenbar heutige Zustände hART kritisieren Will, auch nicht immer oder oft so treffend, aber man fragt sich echt, was dieser ihr Sager hier soll.

    (Übrigens, eine GesellSchaftsOrdnung, die Den Atomkrieg als im Zweifelsfall zu Bejahenden ja zu Begrüssenden Umstand in sich birgt wie Die Unsre – ach, ..was soll man sagen…Da scheinen Nazi Vergleiche fast ein bißchen Ein BISSC HEN EIN GANZ KLEIN BISSCHEN zu kurz gegriffen oder m. a. Worten schon fast ein BiSZERL ZU NETT, Gelle –

    …würd mich intressieren, was Sie Norbert, wenn es Sie überhaupt gibt, dazu inhaltlich ALS Meinung zu verlautbaren hätten, ausnahmsweise, als Großen Gimmick ! außerhalb ihrer wie hier schon ebenfalls richtig vermerkt wurde zu 90-100 Prozent Reinen Trollerey ! ? – Nun ?)

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