Belästigungen 4/2022: Dein Held ist eine schrumpelige Zitrone!

Ohne Helden geht heutzutage gar nichts mehr. Das ist eigentlich schon ein bißchen verwunderlich, wenn man sich überlegt, wie das in unserer Jugend war: Wenn da einer mit einem „Sigurd“-Hefterl dahergekommen ist und sich im Rausch der Manipulationsverblödung mit seinem Holzschwert minutenweise selber für den germanischen Haudrauf gehalten hat, konnte es schon mal klingeln – im übertragenen Sinne: in den Ohren, von der mütterlichen Watschn.

Damals war es auch noch nicht sooo lange her, daß in praktisch jeder Familie einer oder zwei oder mehr Onkels und andere den „Heldentod“ gestorben sind. Wir Kindergartenbamsler (oder Erstklaßler, die die Sterbekärtchen im großmütterlichen Photoalbum lesen konnten) haben uns bisweilen vielleicht gefragt, wie das überhaupt geht oder wie man das macht: „etwas sterben“. Aber letztlich war das egal. Unsere Helden waren keine. Donald Duck, Obelix und Goofy waren uns näher als Gustav Gans, Micky und Asterix, und der Versuch, das Heldenbewußtsein deutscher Kinder mit „Superman“ zu wecken, stieß weitgehend auf gelangweiltes Desinteresse; lediglich das bürgerliche Alter ego des Alleskönners weckte hie und da vorsichtige Sympathie.

Wenn wir in der Trambahn von grummeligen Männern mit fehlendem Bein von den Schwerversehrtenplätzen verscheucht wurden, erhielten wir eine leise Ahnung, worum es bei diesem Heldentum in Wirklichkeit ging und was dabei herauskommt, wenn man es übertreibt. Diese Halbhelden verschwanden aber mit den Schaffnern aus den Bahnen, und dann war es mit den Helden lange Zeit tatsächlich ganz vorbei. Männer wurden zärtlich, Frauen natürlich, man demonstrierte gegen das Urhandwerk aller Helden, den Krieg, und übte Selbstlosigkeit lieber im Zivilen, wo sie ja auch viel besser aufgehoben ist als auf dem Schlachtfeld, weil sie da niemandem weh tut und vielleicht sogar bisweilen jemandem hilft.

Nun ist jedoch der Lauf der gesamtgesellschaftlichen Stimmungen eine Art Pendel oder Schaukel und bleibt nicht dort stehen, wo man das gerne hätte, wohl weil das langweilig oder unnatürlich und jedenfalls nicht zweckdienlich wäre, wenn sich der Zweck ändert.

Der „Zweck“ der deutschen Gesellschaft war lange Zeit scheinbar: ein friedliches Zusammenleben. Da braucht man keine Helden, im Gegenteil, die kann man da gar nicht brauchen. Denen wird unter solchen Umständen langweilig, und dann müssen sie irgendwann unbedingt wieder irgendwas und irgendwen zerschlagen, besiegen, stürzen, unterjochen und so weiter. Mit so was hatten die Deutschen nach dem letzten gescheiterten Versuch, in einem Aufwasch einfach alles zu unterjochen, nichts mehr am Hut. Sie produzierten zwar fleißig weiter Tötungsgerät, verkauften es aber vornehmlich in fremde Länder, in denen sich das Töten größerer Popularität erfreute.

Mit dem Menschen und dem Krieg ist es aber auch eine Schaukelei: Kaum sind die meisten, die das letzte Massenschlachten noch erlebt haben, ausgestorben und die Schwerversehrtenplätze in der Trambahn umgewidmet, scheint es gar nicht mehr so schlimm. Zwar liest man in Büchern von Millionen Toten, aber das sind ja andere, weil man selbst ja lebt und so was lesen kann, was dadurch irgendwie abstrakt wird – zumal man einen Krieg ja sowieso nicht anfängt, um ihn zu verlieren, sondern um ihn zu gewinnen, und wer gewinnt, der überlebt. Auf eine fremde Stadt eine Bombe draufzuschmeißen, wird unter diesem Gesichtspunkt vom Massenmord zum taktischen Akt oder Handy-Spiel-Move. Und irgendwann ist man dann soweit, daß man die absurde Idee, Krieg führe zum Frieden, nicht nur denken, sondern ganz eifrig verfechten (!) kann und wieder loszieht, um mit „Friedensmissionen“ den Krieg in die Welt zu tragen.

Daß die Deutschen gegen den Russen Krieg führen, um ihn zu unterwerfen oder auszurotten, hat wiederum Tradition, und Traditionen leben mit gewisser Regelmäßigkeit neu auf, gerne auch dann, wenn sie von anderen, die sich was davon versprechen und sie zu instrumentalisieren gedenken, angeheizt werden. Dem Ami, der seit mehr als hundert Jahren danach strebt, Rußland endgültig zu zerschlagen und zu unterjochen, kommt diese deutsche Tradition daher ganz recht. Vielleicht klappt’s ja im dritten Versuch, und wenn nicht, dann wird wenigstens nur Deutschland (samt seinen europäischen Anhängseln drum herum) zerbombt, weil Amerika zu weit weg und zu gut geschützt ist und ja sowieso „offiziell“ gar nicht mitmacht.

Dafür nun braucht man Helden, möglichst viele. Drum wird der Deutsche seit einigen Jahren mit Heldentum geradezu behagelt, wo es nur geht und selbst da, wo es eigentlich gar nicht geht: Vom Videospiel über Kinofilm, Fantasyroman, Zeitungsreportage, Reklame, TV-Serie, Berufsberatung, Comic, Popsong, Kinderbuch bis in die letzte Nische dessen, was man früher manchmal zu Recht „Kultur“ nannte, wimmelt es nur so von Helden, von denen schon den Allerkleinsten regierungsamtliche Broschüren vorschwärmen. Die Frisuren- und Klamottenmode tendiert seit Jahren immer mehr zur martialischen Glatzbürste in Tarn und Kampfleder; um Autos von Panzern zu unterscheiden, muß man fachlich ausgebildet sein, und selbst im Supermarkt wird man von schrumpeligen Zitronen angestrahlt, die laut Auskunft des Etiketts deshalb schrumpelig ausschauen dürfen, weil sie „Bio-Helden“ sind und als solche auch für irgendwas kämpfen.

Daß die letzte der jährlich wechselnden Generationen von Helden sich als heldenhaft erwies, indem sie gerade nicht kämpfte, sondern auf dem Sofa herumlümmelte, Glotze glotzte und Chips mampfte, wirkt auf den ersten Blick widersprüchlich, ist aber eigentlich logisch: Wen man einsperrt, der staut Energie auf, und wenn es danach ans Losmarschieren geht, reichen Überschwang und Puste vielleicht diesmal sogar bis über Stalingrad hinaus. Zudem wurden die Sofahelden zwei Jahre lang derart dauernd und ausdauernd gepiesackt, gequält, diszipliniert, angeherrscht, befehligt, gezügelt, mit Propaganda traktiert und den absurdesten Regeln unterworfen, daß der unmenschliche Widersinn militärischen Gehorsams ihnen als sozusagen natürliche Essenz menschlichen Umgangs zwischen Befehlshaber und Befehligtem in Fleisch und Blut übergegangen ist. Die stellen keine Fragen und geben keine Widerworte!

Na prima, dann kann’s ja losgehen. Wenn es danach noch Trambahnen gibt, kann man ja wieder die alten Schildchen hinschrauben („Dieser Platz ist auf Verlangen für Schwerversehrte freizugeben“). Wenn es danach überhaupt noch irgend etwas gibt außer toten „Helden“.

Oder? Oder wir besinnen uns auf eine Tugend, die die Deutschen in ihrer langen Geschichte leider nur eine ganz, gaaanz kurze Zeit pflegten: Helden mit Mißtrauen, Verachtung, Abscheu, Mitleid, schrumpeligen Zitronen … was auch immer zu begegnen, was uns davon abhält, welche sein zu wollen.

3 Antworten auf „Belästigungen 4/2022: Dein Held ist eine schrumpelige Zitrone!“

  1. Ob das wirklich alles vergessen ist?

    (Großartig die Verbindung von reservierten Trambahnsitzen, Sigurd-Heften, brummeligen einbeinigen Versehrten – da ist mit einem Fingerschnipser meine Ruinengeneration samt abendlichem Versteckspiel mit unseren Vätern auferstanden. Und ich höre unsere Mütter aus den Fenstern „Abendessen!“ ins Dunkle rufen und keiner ist heimgegangen).

    Oder ob es genau daran liegt, daß es so ist wie es ist?

    An den vielen Versehrten: Im Klassenzimmer (wenn es ans Abfragen ging, die Gegenfrage: „wie war das gleich nochmal in El Alamein?“ und der Tag war gerettet. Siegreiche Kriegserfahrungen aus allererstem Heldenmund, danach Einladung der Klasse zu einer NPD Versammlung). Zu Hause bei Freundinnen („Mein Vater lag jahrelang weinend auf der Couch, meine Mutter hat ihn verachtet, er hat sich das mit dem Judenjungen in Warschau nur eingebildet, sie haben ihm das völlig zu Unrecht anhängen wollen“). Am Reichtum („Meine Ehe war entsetzlich, aber seine Familie war sehr reich, warum sie reich waren weiß ich ehrlich gesagt nicht. Mein Schwiegervater war aus dem Krieg gekommen und da hatte sich seine Mutter mit den beiden Schwestern umgebracht, weil sie angeblich NS-belastet waren“).

    Oder vielleicht am Übernatürlichen?

    Auf einer Reise mit dem bayerischen Pilgerbüro läuft bei einer Wanderung durch die südfranzösischen Alpen neben mir eine ältere Frau, die mir unvermittelt erzählt, daß ihre Mutter auf der Flucht von Russen vergewaltigt worden sei und sie habe als 4-Jährige unter dem Bett versteckt alles miterlebt. Kürzlich hat ihre einzige Tochter aus London angerufen und ihr von einem ganz schrecklichen Traum erzählt: In dem ihre Mutter als Kind miterlebt wie ihre eigene Mutter vergewaltigt wird und mit ihrer Großmutter alleine weiter auf der Flucht ist, weil die Mutter es nicht überlebt hat.

    Was wissen wir schon?

    LG Josi

  2. Geschichte wiederholt sich nicht ganz.
    Die Abschiedsvorstellung des „Helden*“, wie man ihn von früher kennt, liefern derzeit „die Ukrainer“, denen man als keyboard West-Daumenhalteheld (z. B. auf twitter) feixend u. schadenfroh zusehn kann, beim Killen des Russen.

    (während sie selber, so wird vermittelt, so gut wie keine „Verluste“ erleiden & im Vergleich zum Russen enorme „Personalreserven“ haben, also „Menschenmaterial“, Humankapital & von uns laufend mit Verteidigungswaffen, also Kriegsmaterial, versorgt werden ! bis alles in Scherben fällt bis zum letzten Ukrainerheld)

    Der Übergang wird sehr kurz u. bequem sein, steht zu befürchten. Ist selbst die bedrohliche russ. Armee viel zu klein für die ihr zugetrauten Schandtaten (Schluckung der Ukraine & postwendend Angriff auf der tausende km breiten NATO Front zur Wiederherstellung des Warschauer Pakz oder was weiß ich. Was von „unserer“ Seite ja gradezu einen Präventivkrieg erheischt, wie nun ständig insinuiert, so wird sich dieser im Gegensatz zu 1941 oder 1812, – denn die NATO ist zu „raumgreifenden Operationen“ noch weniger in der Lage als der Russe, also gar nicht, nach bekanntem Schema von anno dunnemals darstellen, sondern

    …rasch zu einem Ende mit Schrecken nach Schema Druckknopfkrieg kulminieren (ganz bequem, man muß nur kurz aus dem Sitz hoch, um Knöpfe zu drücken und Schlüssel zu drehn.) Paßt auch besser zur Generation Sofakartoffel + Fernbedienung.

    Bitte sehr bitte gern:

    – No fly zone – Knopfdruck
    – Rrusse setzt dies und das illegales ein, wir Bestrafen – Knopfdruck
    – Regime change – Knopfdruck
    – Putin nach Den Haag – Knopfdruck

    „Wir“ sind bei Lichte besehn ohnehin am Ende mit unsrem Latein, die besten Jahre are gone, und überhaupt, suicide is painless, it brings on many changes – -Knopfdruck.

    Dazu muß nicht mehr Papi zum Bahnhof begleitet werden u. später kriegt man ihn als Krueppel zurück mit Extraplatz in der Straßenbahn.

    Manche Dinge ändern sich zwar im Prinzip nie, aber im Detail dann doch.

    (und, liebe Kinder, glaubt in der Zwischenzeit einfach dran, dass der nun wärmer werdende Kaltkrieg II auch diesmal wieder siegreich für „uns“ endet, denn wenn der Russe mit Schlimmerem droht, blöfft er nur, wie immer. – Wer was dawider sagt, wird demnächst als Kremlpropagandist ohnehin zum Schweigen gebracht, was denkt ihr, wozu ein „Internet“ alles gut ist. Die Party der Meinungksfreiheit ist bald OVER, wenn IHR euch nicht einreiht ! Was der Rrusse kann, können wir schon lang und dazu besser und gründlicher, wie üblich !)

    (* Held = nützlicher Idiot, ob nun Pizzabote Delivery Hero bei uns oder uki-Panzerknackerheld am Rande Europas)

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