(periphere Notate): Zwei Minuten Haß auf der Streeckbank

Ich habe so lange keinen Virologen mehr zitiert, daß das jetzt doch mal wieder sein muß. Weil sich der planetarische Obervirologe derzeit nicht äußern kann (er hat seinen NDR-Podcast eingestellt, um sich nach acht Jahren endlich mal die Haare waschen zu können; hoffe ich), nehmen wir Hendrik Streeck. Der sieht meistens einigermaßen geduscht aus, ist dem durchschnittlichen deutschen TV-Glotzer folglich verdächtig („Ist das ein Russe? Jedenfalls Mafiosi!“) und sagte neulich auf n-tv (laut „Münchner Merkur“), „die hohen Inzidenzen in Deutschland seien keine große Überraschung. Schließlich habe es im vergangenen Jahr ebenso eine solche Doppelspitze in den Infektionszahlen gegeben.“

„Ebenso eine solche Doppelspitze“? Lassen wir die Grammatik mal ungesühnt, bleibt die Erkenntnis: Da hat ein Virologe ein ganzes Jahr gebraucht, um zu kapieren, daß sich Coronaviren seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte in zwei Wellen pro Winter ausbreiten und wieder verzupfen. Daß man das seit vielen Jahren weiß, weiß er noch nicht, schließlich ist er Virologe und hat von Epidemiologie so viel Ahnung wie ich von Klickeradomstik.

Okay, er hätte vielleicht in den letzten zwei Jahren mal Zeitung oder gar die Statistiken des RKI lesen können, dann wüßte er das. Muß er aber nicht, klar. Die wichtigen Fragen sind doch: 1) wieso die Burschen bei n-tv und die Nachplapperer beim „Merkur“ das nicht wissen (schließlich nennen sie sich „Journalismus“), 2) wieso sie über so was mit einem Virologen reden und nicht mit einem Schäffler oder Kupferschmied oder einer Modistin, 3) wieso sie überhaupt über irgendwas reden und nicht lieber Nachhilfeunterricht in Tuten und Blasen nehmen.

„Diese“ (die Doppelspitze), schreibt der „Merkur“ in unnachahmlicher Legasthenie weiter, „würden [sic] ‚dann auch wieder runtergehen und sehr stark auch runtergehen‘[.] Einen Termin möchte der Virologe nicht nennen: ‚Wann das genau so ist, kann man natürlich nicht vorhersagen, aber wir hatten das ja genau auch im letzten Jahr.‘“

Also: wir hatten es „genau“. Und können aber „natürlich“ nicht „vorhersagen“, wann es „genau so“ ist. Weil das wichtig ist. Weil wir im Irrenhaus leben.

Aber es geht ja noch weiter: „Bezüglich der möglicherweise bald endenden Corona-Maßnahmen merkt Streeck an, daß es zunächst jedem selbst überlassen sei, beispielsweise eine FFP2-Maske zu tragen.“ Beispielsweise also. Und „zunächst“. Bis es Herbst wird und es wieder niemandem „selbst überlassen“ bleibt, was er trägt.

Diese Staubschutzmaske „sei – so seine Einschätzung – ‚wirklich auch mehr ein Eigenschutz‘.“ Richtig: gegen Staub nämlich; das wissen wir nun auch schon seit Jahren.

„Bei einigen Bundesländern verweist er auf sehr hohe Inzidenzen, ‚wo man gerade nicht wirklich auf die Maske verzichten will‘.“ Wer diesen Satz versteht, darf ihn mir gerne erklären – dann „verweise“ ich ebenso gerne auf die hohe Blödsinnsdichte, wo man gerade nicht wirklich auf ein herzhaftes Lachen verzichten will.

„Die 2G- beziehungsweise 3G-Regelung stellt Streeck als schwierig zu bewerten dar. Hier wisse man nicht genau, wie effektiv diese bei der Eindämmung des Virus tatsächlich helfen.“ Doch, das weiß man: null. Sie helfen null bei einer „Eindämmung“, die es überhaupt nicht geben kann und nie geben wird. Sie helfen hingegen bei der Demütigung und Entwürdigung von 83 Millionen Menschen, die sich von der ganzen Welt auslachen lassen müssen, weil sie so dumm sind und ein solches Affentheater mitmachen, ohne wenigstens mal „äh …?“ zu sagen.

Spätestens hier sind dann bei Interviewer und Interviewtem Hopfen und Malz endgültig verloren: „Angesichts der Option der Bundesländer, die Maßnahmen im Fall der Fälle zu verlängern, meint er: ‚Einige Länder haben ja auch mittlerweile angekündigt, daß sie das Maske Tragen [sic] oder auch einige der Maßnahmen bis zum 2. April verlängern – was möglich ist. Also ich glaube da auch ein bißchen mit unterschiedlichen Vorgehen zu arbeiten, ist gar nicht so falsch in diesem Moment.‘“

Im nächsten oder einem anderen Moment ist dann aber ein Arbeiten mit gleichen „Vorgehen“ (Singular: „der Vorgeh“?) doch „so falsch“, verstehe ich das richtig? Und dürfen wir den Herrn Virologen künftig bei ähnlichen verfassungsrechtlichen Problemen „im Fall der Fälle“ auch zu Rate ziehen und uns auf ihn berufen? Und fragen wir den Herrn Virologen nächsten Samstag in der „Sportschau“, ob der Ball jetzt drin war oder nicht? Und ob Teebaumöl gegen Nagelpilz hilft? Jessas, was ist aus dieser Welt geworden!

Das neue „Infektionsschutzgesetz“, mit dem der herrschende Ausnahmezustand ad infinitum verlängert werden soll, paßt vielen nicht so recht in den Kram, vor allem den Autokraten in den Bundesländern, die sich so daran gewöhnt hatten, sich alle paar Monate mal kurz zusammenzuzoomen und mit dem Machthaber in Berlin ein paar neue Verwirrungen und „Verschärfungen“ auszuklamüsern. Jetzt sollen sie das zumindest in Teilen irgendwie selber hinkriegen und haben verständlicherweise Angst, daß man ihnen ihre „Maßnahmen“ um die Ohren haut, weil die dann nicht mehr von einer anonymen Junta, sondern vom Landespapa beziehungsweise der Landesmama selbst kommen. Der/die (und die dazugehörigen Parteien) schließlich wieder gewählt werden müssen.

Drum erschallt nun aus allen Sendern die beliebte Vokabel „handwerklich schlecht gemacht“. Was mich an die alte Regel erinnert: Wenn man einen Hammer hat, schaut die ganze Welt aus wie ein Nagel. Sagen wir in diesem Fall: vernagelt, nach einer „handwerklich schlecht gemachten“ … (darf man in diesem Zusammenhang noch „Maßnahme“ sagen?)

Welches Handwerk man beherrschen muß, um irgendeine saudumme Vorschrift zusammenzuschludern, wüßte ich aber doch gerne. Vermutlich keines, sonst täte man sich mit vernünftigeren Dingen beschäftigen.

„Handwerklich gut gemacht“ (nämlich urig, erdig und im übertragenen Sinne handgreiflich) sind die neuen Vorschriften, mit denen der ukrainische Präsidentendarsteller Selenskij sein sinkendes Staatsschiff vor der Flut von Zersetzung aus dem Osten bewahren möchte: Er ließ nicht nur sämtliche nichtkonformen Parteien (darunter die größte Oppositionsfraktion im sogenannten Parlament) per Führerbefehl verbieten, sondern gleich auch noch sämtliche Medien gleichschalten – künftig gibt es nur noch einen Kanal, der „United News“ heißen und „die Wahrheit über den Krieg“ verkünden soll.

Da schlackert Herr Kretschmann, der die deutschen Verbote und Gleichschaltungen für „handwerklich schlecht gemacht“ befindet, mit den Ohren und kommt auf Ideen. Für was brauchen wir eigentlich Parteien (außer den „Grünen“)? Für was brauchen wir eigentlich Medien, die was anderes verkünden als „die Wahrheit“? Oder halt: Das dürfen sie ja sowieso nicht mehr, abgesehen von ein paar so windigen Bloggern und Filmchenmachern, die sich immer wieder schnell genug wegducken, Löschungen, Blockaden und „Shadow-bans“ klaglos hinnehmen. Die dürfen das zwar auch nicht, aber er kriegt sie halt einfach nicht klein, der „Handwerker“, gn! gn! gn!

Wie „die Wahrheit über den Krieg“ ausschaut, kann man täglich in unseren eigenen „United News“ besichtigen. Da werden dann grauenhafte Bilder von Leichen gezeigt, die in Kiew einem russischen Luftangriff zum Opfer gefallen sein sollen, obwohl sie in Mariupol dem Amokbeschuß durch die Asow-Brigade zum Opfer gefallen sind, die dort die letzten Bewohner, die sie bislang an der Flucht hindern konnte, als „menschliche Schutzschilde“ mißbraucht.

Schon das Wort „Mißbrauch“ (als gäbe es einen korrekten „Gebrauch“ in diesem Sinne) zeigt, wie wir alle durch die Dauerbeharkung mit Krieg, Mord, Tod und Haß verrohen. Ich bitte daher um Nachsicht, daß ich auf Quellen verzichte. Es geschieht aus gutem Grund. Auch was Lynchjustiz, politische Morde und Pogrome in der westlichen Ukraine angeht, mag ich mich nicht äußern. Das tun andere ausführlich genug, und wer die nicht hören will, will mich auch nicht hören.

Indes sind die Rufe der Jubelperser, die wähnen, in der Ukraine gehe es um „Freiheit“ und „Demokratie“, merklich leiser geworden. Vielleicht ist ihnen aufgegangen, daß sie gar nicht wissen, was diese antiquarischen Begriffe bedeuten könnten.

Hingegen wissen wir im Grunde sehr genau, was am Ende des Kriegs herauskommen wird: ziemlich genau das, was Rußland seit acht Jahren und länger fordert. Es ist dem modernen Krieg eigen, daß er immer dort endet, wo er begonnen hat. Nur nicht für die Toten, die Verletzten, die Vertriebenen und Geflüchteten.

Aber die vergißt die rotierende Welthistorie schnell und schlägt das nächste Kapitel auf. Wie das heißt, kann man sich überlegen, während man einer US-amerikanischen Fernsehkrähe zuschaut und -hört, wie sie im Stil einer tollwütigen Bulldogge, die sich für Goebbels hält, den chinesischen Botschafter in Grund und Boden plärrt, weil er nicht „Putin verdammen“ mag, wie man das jetzt halt zu tun hat. Man beachte die Kopfhaltung der Dame.

Das ist nicht mehr Propaganda, das ist „zwei Minuten Haß“ – das Ritual, von dem George Orwell dachte, er habe es erfunden, ohne zu ahnen, daß er damit heute als Verharmloser dastünde.

Die nostalgische Sehnsucht nach einer sehr fernen Vergangenheit mag daher rühren, daß es einmal Zeiten ganz ohne Krieg gab, und wenn’s nur ein paar Jahre waren. An so etwas können sich heute lebende Menschen nicht erinnern.

Mehr ist nicht zu sagen, heute. In anderer Stimmung: dann doch.


3 Antworten auf „(periphere Notate): Zwei Minuten Haß auf der Streeckbank“

  1. Früher gabe es mal die „Schandmaske“. Die musste jemand zur öffentlichen Demütigung tragen.

    Heute haben wir die Angst-Maske. Sie dient dazu der Umwelt zu signalisieren: „Ich habe Angst!“ (ob vor Virus oder vor sozialer oder juristischer Betrafung spielt da keine Rolle).
    Also, da laufen zB in einem Geschäft lauter Leute herum, und jeder signalisiert allen anderen: „Ich habe Angst!“

    „Mission accomplished“ für die Menschen-Bedrücker-Büttel, man nennt sie auch PR-Fachleute oder Medien-Schaffende.

  2. Herr Streek arbeitet an der Nachfolge von Herrn Drosten. Grammatikalisch und inhaltlich hat er bereits das gleiche Niveau erreicht. Das einzige was abhülfe wäre ein neuer Straftatbestand mit der neu einzuführenden Strafe ,,immerwährendes Sprechverbot in der Öffentlichkeit“: Virologe

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