Das ist eine Zufallsidee: Ein Leser hat mich gefragt, ob ich nicht noch eine alte Rezension zu (sagen wir) den Go-Betweens habe. Wir leben im Zeitalter der Daten, daher konnte ich feststellen, daß ich u. a. „16 Lovers Lane“ seit Oktober 2011 genau vierzigmal gehört habe. Das hätte ich nicht gedacht. Hingegen war ich überzeugt, daß ich „Here Comes A City“ (von „Oceans Apart“) bestimmt tausendmal gehört habe (in tausend Nächten in einer bestimmten Kneipe, die keine tausend Nächte waren, sondern ungefähr fünftausend). Der iTunes-Zähler hat aber nur 32 registriert.
Alles völlig uninteressant. Tatsächlich war ich überzeugt, nie ein Wort über die Go-Betweens geschrieben zu haben. Habe ich aber doch. Und zwar im August 2004 dies für den Musikexpreß (über die Wiederveröffentlichung des fünften, sechsten und siebten Albums):
In den 80er Jahren hat es immer geregnet. Weil in den Kneipen die Yuppies ihren plärrenden Hysteriekarneval abzogen, saß man in halbverdunkelten Buden zusammen, hörte Smiths, Pale Fountains und Echo & The Bunnymen und sträubte das poetische Gefieder, damit einem ein bißchen warm würde. Und wenn jemand mal auf die Idee kam, eine nichtdepressive, unpathetische, sonnige etc. Platte aufzulegen, dann war die im Zweifelsfall von vor 1974. Kurz gesagt: Es schien plausibel, Heroin zu nehmen, sich die Pulsader aufzuschlitzen und eine Band wie Guns N’ Roses zu gründen, um ein, of all things, Hardrockrevival einzuläuten.
Aber dann kamen die Go-Betweens daher. Und zwar so: „Guten Tag! Wir sind Robert Forster und Grant McLennan und würden Ihnen gerne ein Lied vorsingen, um etwas Sonne in ihr Leben zu bringen und ein kleines Lächeln auf Ihr Gesicht zu zaubern. Wie wäre das? Effektgeräte? Monsterverstärker? Danke, brauchen wir nicht. Vorab sollten wir Ihnen vielleicht kurz erklären, wie das funktioniert; möglicherweise spüren Sie eines Tages auch das Bedürfnis, ein wenig Sonne in das Leben Ihrer Mitmenschen zu bringen und ein kleines Lächeln auf Ihre Gesichter zu zaubern. Wenn Sie dann gerade eine Gitarre zur Hand haben, könnten Sie zum Beispiel vier Akkorde spielen – so etwa. Daß die ganze Sache schön schwingt. Dann brauchen Sie nur noch eine hübsche kleine Geschichte, die auf eine hübsche kleine Melodie draufpaßt. Vielleicht finden Sie eine in Ihren alten Tagebüchern? oder wenn Sie aus dem Fenster sehen? oder einfach so? Singen, werden Sie feststellen, kann eigentlich ein jeder, der ein gutes Herz hat. Wenn es ein bißchen so klingt wie Lou Reed in den frühen Tagen von Velvet Underground, dann müssen Sie sich nicht grämen: Viele schöne Dinge erinnern an die frühen Tage von Velvet Underground. Vermeiden sollten Sie lediglich Großmannssucht, Brunftgeschrei, pyrotechnisches Brimborium, weltumarmerische Pathosduseligkeit, Ruckizucki-Hektik, Grusel-Häme, Elektro-Klimbim und dieses ganze Zeug.“
Die Go-Betweens waren 1981 von Australien nach London gezogen, hatten drei Alben veröffentlicht, die kaum jemand bemerkte außer ein paar Kritikern in halbverdunkelten Räumen, und dann noch mal drei (nämlich die vorliegenden), denen es kaum besser ging, die aber viel zu schön waren, um ein anderes Schicksal zu erleiden als die Alben von Velvet Underground: Kaum war die Band aufgelöst (am 31.12.1989, wie passend!), schwoll schon das „Kult“-Geschrei an, und plötzlich behaupteten mehr Leute (und Bandgründer sowieso), die Go-Betweens schon immer geliebt zu haben, als die Band je Platten verkauft hatte. MacLennan und Forster machten Soloalben, die kaum jemand bemerkte, taten sich 1999 wieder zusammen und machten als Go-Betweens weiter.
Was, wir ahnen es, kaum jemand bemerkte. Aber jetzt regnet es wieder, und weil man, während draußen die Yuppies ihren plärrenden Hysteriekarneval abziehen, am besten in halbverdunkelten Räumen in alten Platten wühlt, hat jemand in staubigen Archiven die Go-Betweens gefunden und beschlossen, diese drei Platten neu aufzulegen (die anderen auch, aber nicht für Rezensenten). Samt je einer Extra-CD mit Bonustracks, was löblich ist, denn die Demos, Out-takes, Alternativ-Versionen etc. hätten auch auf die eine CD mit draufgepaßt, aber so bleiben die Alben intakt. Und dann setzt man sich hin und lauscht und lächelt, und ich schwöre, ich scha-wöhre: „The Wrong Road“ ist, zumindest für ein paar Minuten, der schönste Song aller Zeiten. Oder „You Tell Me“? Oder „Someone Else’s Wife“? Oder … ach, sie sind alle kaum weniger schön, schwerelos, luftig-melancholisch, klug, bescheiden, verträumt und zeitlos. Tja, so war das in den 80er Jahren: Da hat es immerzu geregnet. So schlimm, dass man Heroin nehmen und sich in Guns N’ Roses verwandeln mußte. Hätte müssen. Wenn nicht rechtzeitig die Go-Betweens dahergekommen wären.
Das ist ein ganz schöner Schmarrn (Betonung nach Belieben) und hat wenig mit Musikjournalismus zu tun, aber beim Lesen mußte ich spontan „Bright Yellow Bright Orange“ auflegen und weitersuchen. Ungefähr im Januar 2003 schrieb ich dies (über eben diese Platte):
So läßt man sich nieder am Feuer und lacht freien Herzens, denn man weiß: Es ist das Schöne am Frühling, daß er nicht plötzend Einzug hält, dem Herbst gleich, der anbricht über die Nacht, wenn das zage Herz gewiß ist, daß am Morgen der Regen die warme Hand des Sommers ein für alle Mal aus den Wiesen gewaschen haben wird und bitteren Tau an ihre Stelle gesprüht und getränkt in Trauer vergebene Hoffnung, sondern der Frühling vielmal sein zartes Band durch helle Lüfte wehen läßt; erhobenen Gemüts man dann durch verkommene Inseln von Restschnee streift und selbiges nicht mehr drücken läßt von letztem vergeblichem Andrängen des alten Winters, mag er auch noch so wütend sich geben. Der Frühling kommt tageweise, mal ein letzter Dezembersonntag, dann ein früher Februarfreitag, doch ist er sicher da, wenn das Feuer nicht mehr grimm brüllt, vielmehr seine Flammen froh lodern und die Männer mit den Holzgitarren zur Musik laden … (tüdeldadeldü!) … ja Herrgott, was ist denn?
„Guten Tag! Ich bin Robert Forster und würde Ihnen gerne das Lied von Caroline und mir selbst vorsingen, um etwas Sonne in ihr Leben zu bringen. Wie wäre das? Effektgeräte? Monsterverstärker? Danke, brauche ich nicht. Wenn Sie vielleicht ein bißchen trommeln könnten. Ach so, und wo ist eigentlich mein Freund Grant McLennan? Den brauche ich natürlich schon, ohne den bin ich genauso halb, lahm und lau wie er ohne mich.“
(Tüdeldadeldü!) Ja nun. Wo sind denn die wehenden Schneeschleier hin? Warum braust der Sturm auf einmal so brausenlos?
„Guten Tag! Ich bin Grant McLennan und würde Ihnen gerne das Lied von Mrs. Morgan vorsingen, um ein kleines Lächeln in Ihr Gesicht zu zaubern. Ist mein Freund Robert Forster schon da? Sei mir gegrüßt, lieber Robert!“
„Vorab sollten wir Ihnen vielleicht kurz erklären, wie das funktioniert; möglicherweise spüren Sie eines Tages auch das Bedürfnis, ein wenig Sonne in das Leben Ihrer Mitmenschen zu bringen und ein kleines Lächeln auf Ihre Gesichter zu zaubern. Wenn Sie dann gerade eine Gitarre zur Hand haben, könnten Sie zum Beispiel vier Akkorde spielen, so etwa, daß die ganze Sache schön schwingt.“
„Dann brauchen Sie nur noch eine hübsche kleine Geschichte, die auf eine hübsche kleine Melodie draufpaßt. Vielleicht finden Sie eine in Ihren alten Tagebüchern? oder wenn Sie aus dem Fenster sehen? oder einfach so?“
„Singen, werden Sie feststellen, kann eigentlich ein jeder, der ein gutes Herz hat. Wenn es so klingt wie Lou Reed in jenen frühen Tagen von Velvet Underground, dann müssen Sie sich nicht grämen: Viele schöne Dinge erinnern an die frühen Tage von Velvet Underground.“
„Vermeiden sollten Sie lediglich Großmannssucht, Brunftgeschrei, pyrotechnisches Brimborium, weltumarmerische Pathosduseligkeit, Ruckizucki-Hektik, Grusel-Häme, Elektro-Klimbim und dieses ganze Zeug. Und singen bitte nur, wenn Ihnen wirklich was einfällt!“
„Genau, und das war’s weitgehend. Nun fangen wir einfach mal an: Rattled through our teenage years / Battled and loved who we fought / The first time you left home on your own I knew / A little bit of you is gone when you do …“
„You’re tired and bit frost / Tattoos and snapshots / Then lose your way / Unfinished business / Are you gonna make it?“
Da ist es wieder, weit hinter den schweren Wolken und doch so nah, dieses sanfte Lächeln. Und wir wissen: Es mögen noch dunkle Tage ihre Schneetücher übers Land breiten und horren mit finsterer Fratze, allein schrecken sie uns nicht mehr; die Kohlen gehen zur Neige, und neue kauft man nicht mehr, denn prächtig gelb und orange blüht das bescheidene Feuer des Frühlings und der Go-Betweens und wärmt das Gemüt, hei! wie schön.
So wird der Schmarrn größer und auch meine Ahnung, wieso ich nie Musikjournalist werden wollte, selbst als ich es schon elf Jahre war. Das mag eine dumme Idee gewesen sein, aber ich kann damit leben und bin angesichts des Zustands des Musikjournalismus (und der Musik) seit 2010 eigentlich ganz froh. Im April 2005 dann (diesmal hieß das Album „Oceans Apart“ und enthielt „Here Comes A City“) schrieb ich dies:
„Das Geld“, sagt Robert Forster, und damit ist es heraus und wir haben das doofe Thema hinter uns, „wäre vielleicht schon nett gewesen.“
Meinen tut er: das Geld, das die Go-Betweens nicht verdient haben, damals, als sie fast ganz riesengroß geworden wären, so wie The Smiths und der eine oder andere andere, den und die man heute noch mit einem bestimmten Jahr verbindet, mit einem einzigen ganz großen Song oder vielleicht nur der Hauptmelodie oder dem Titel oder einem Bild. Das wäre schon nett gewesen: sich schimmernde Villen in Hollywood zu kaufen, wo man müßig auf der Terrasse neben dem Pool dunzelt, ab und zu seufzend einen Schluck aus dem Champagnerkelch nimmt, in die Sonne blinzelt und in schweinsteuren Edelmusiklexika blättert, die sich bloß mit den gaaaanz Riesengroßen befassen: Beatles, Beach Boys, Byrds, Go-Betweens …
Aber wir wollten das Thema ja hinter uns bringen. Also schnell die andere Seite: The Triffids, Felt, Lloyd Cole & The Commotions – wer spricht von denen noch, und was machen sie zur Zeit so? Sollen wir mal die alte Phrasenlatte vom „better to burn out than to fade away“ schwingen und klugscheißen, daß es noch viel besser ist, slow zu burnen, weil man dann vielleicht zwischendurch mal awayfadet, aber halt auch immer wieder daherspazieren kann, freundlich lächeln und mit einem zeitvergessenen Zwinkern ein Album auf den Tisch legen, das so schön ist, daß niemand in Versuchung gerät, nach einer Jahreszahl zu suchen? Könnten wir. Machen wir aber nicht, weil das vielleicht nett wäre, aber dem Gegenstand nicht recht angemessen.
Gut 27 Jahre nach ihrer Gründung funktionieren die Go-Betweens laut Robert Forster (in etwas interpretierter Form) so: Links ist die Freundschaft, rechts die Arbeitsbeziehung, und in der Mitte entsteht ein weiches Feld. „Here we are, bouncing ideas like we always did.“ Forster, der viele Jahre in Regensburg gewohnt hat, ist jetzt wieder zu den anderen ins australische Brisbane gezogen – dorthin, wo damals alles begann und wo es nach elf Jahren auch endete, an Weihnachten 1989. Da waren Forster, Grant McLennan und ihre Freunde (deren Anonymität nicht als Diskriminierung gemeint ist, aber außer Schlagzeugerin Lindy Morrison war halt keiner bis zum Ende dabei, und die ersten zwei Jahre war überhaupt keiner dabei außer den beiden) müde geworden und wollten mal was anderes machen. Ein bißchen die Welt sehen zum Beispiel (nicht nur Garderoben, Bühnen und Hotelzimmerklos). Und Soloalben aufnehmen, um sich künstlerisch auszuleben: Forster seine Post-New-Wave-Anwandlungen, McLennan seine samtig-luftigen Spätsixties-Goldmelodien. Als sie sich 1999 wieder zusammentaten, grummelte kein Mensch was von Abzocke und Greatest-Hits-Komödienstadel, weil es keine Hits gab und Geld auch nicht. Na gut, damit hätten wir das aber endgültig.
„Oceans Apart“ ist das dritte Album der „neuen“ Go-Betweens. Es ist, sagen wir’s gleich, genauso schön wie die zwei davor und – weil nicht mehr so zickig produziert wie im Zeitalter der Noise-gates und „innovativen“ Hallgeräte – fast noch schöner als die Alben der „alten“ Go-Betweens. Aber, fragt der freche Peripher-Musikhörer dazwischen, was ist denn daran so besonders: glockenklare, filigran verwobene Gitarren, ein sanft bis flink dahingleitender Fluß von simpler Baß-Schlagzeug-Begleitung und unaufgeregter Erzählgesang? Genau das. Und vor allem das Erzählen. Das geht beim Titel los, der die letzten Jahre meinen könnte oder den Aufnahmeort (London) oder dies oder das, und im ersten Song geht es weiter: „Here Comes A City“ ist die Geschichte von Robert Forsters letzter Bahnreise von Regensburg zum Frankfurter Flughafen. Der Titel sagt viel über die Art, wie er erzählt. In der Literatur würden dumme Popleute dazu ihr „Lakonie“-Gefasel abplappern. Wir sagen: Es ist Poesie Punkt
Es macht aber nichts, wenn man nicht auf die Texte achtet. Dann trägt einen einfach die Musik, die so einfach scheint und doch einfach so schön ist, viel schöner als alles, was einfach scheinen will und doch einfach bloß belanglos ist. Daß die Go-Betweens nach 27 Jahren immer noch genauso klingen wie sie selbst, findet Robert Forster übrigens „großartig“. „Man sollte sich bewußt sein, daß jeder Tag ein Neubeginn ist, und man sollte kühn sein, aber nie die Vergangenheit abschneiden oder sich ‚neu erfinden’ wollen.“ Genau.
Und das soll für heute genügen. Über Alex Chilton sprechen wir ein andermal, auch über meinen Song „Liberty Belle“ und Robyn Hitchcocks „Black Snake Diamond Role“.
Danke für die Erinnerung. (Und ja: Für so etwas hat man früher mal Geld bekommen. Nicht viel, aber ein bißchen; lange her.)
Lieber Michael Sailer, ich suche vergeblich nach einem Auftritt im Vereinsheim mit den Schaumschlägern und finde nichts: Gibt es keine Auftritte mehr? Warum? Josi
Da zaubern Sie mir tatsächlich ein Lächeln über das Gesicht, lieber Michael Sailer. Danke!
Seien Sie nicht so streng mit sich. Ich glaube zwar zu verstehen, was Sie mit „Schmarrn“ meinen, aber die Schilderung des Angebots, das die Herren McLennan und Forster der Welt unterbreiteten, ist sehr schön und treffend.
Kennen Sie „A Long Short Story“, Robert Christgaus grundsätzlichsten Go-Betweens-Text? Lesenswert.
„Caroline and I“… Was für ein Song!
Ich war in Köln dabei, als Forster ihn einige Jahre vor „Bright Yellow, Bright Orange“, damals noch solo, zum ersten Mal in Deutschland vorstellte. Wie ich auch dabei war, als…. Aber lassen wir das.
Ich bin gespannt auf Ihre Anmerkungen zu „Liberty Belle“ und zu Robyn Hitchcock, den ich aus irgendeinem Grund nie für mich entdeckt habe.
Wenn ich noch einen Wunsch äußern dürfte, wäre das natürlich der nach einem Archivtext über Jonathan Richman…