Das Würstchen und der schlimme Professor

In den sechziger Jahren protestierten die deutschen Studenten. Einem Slogan zufolge ging es gegen den „Muff von tausend Jahren“, der unter den Talaren vor sich hin müffelte – gemeint waren nicht die Ausdünstungen der Zeit seit anno domini 967, sondern jene „tausend Jahre“, die 1945 mit ihrem großdeutschen Reich zusammengeschlagen und -geschossen worden waren und von denen man feststellen mußte, daß sie nicht etwa im Gulli der Geschichte verschwunden, sondern durch tausend Hintertüren wieder in die Gegenwart hereingekrochen waren.

Den Helfershelfern der auferstandenen Ruinen – in erster Linie der Springerpresse, einigen Figuren im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, vielen Fieslingen in gewissen Parteien und einem Großteil des Polizeiapparats – schäumte das Maul, und sie schmissen sich mit Inbrunst, Wort- und Waffengewalt allen Ansätzen von Emanzipation, Aufklärung, Aufarbeitung, Befreiung entgegen. Geheimdienste und Konsumindustrie taten das ihre dazu. Erfolgreich, wie wir wissen: So wie 1919 aus dem Kadaver der verratenen Revolution die Nazis herausgeschlüpft waren, so schlüpften 1979 aus dem Kadaver der verkauften Revolte die „Grünen“ heraus.

Was wir heute erleben, könnte man als farcische Neuaufführung des Dramas deuten, das sich ungefähr in der Mitte der beiden Tragödie abspielte: als Deutschlands Studenten im Bund mit dem Mob der neuen Staatsmacht ihre jüdischen, kommunistischen und allzu bürgerlichen Dozenten davonjagten, um auch an den Universitäten den Ungeist der neuen Zeit einziehen und sich von ihm und einer Abart „akademischer Bildung“ stählen zu lassen.

Auch heute nämlich begehren Deutschlands Studenten auf – und eben nicht gegen die totalitären Anwandlungen ihrer Staatsführer, sondern gegen die wenigen kritischen Geister, die sich auf unerfindliche Weise bis heute in den verschlankten und optimierten Drillkasernen des Großkapitals gehalten haben, die in der Epoche des Neoliberalismus die Universitäten entkernt und mit dem Stahlbeton des Profitfaschismus und seinen Abrichtungsstrukturen gefüllt haben.

Um diese Generationen von Menschenmaterial zu motivieren und zu „empowern“ (also „ermächtigen“ – so nennen die das wirklich!), gibt es „junge Magazine“ wie das der transatlantischen Propagandamaschine „Die Zeit“, die hierfür eine Art Nebenniere gebildet hat: „Zeit Campus“ heißt das Machwerk, in dem die Auszubildenden („Young Professionals“) in den Drillpausen blättern und rechtsextremes Gedankengut inhalieren dürfen. Da lesen sie dann zum Beispiel einen Text des diesbezüglich erfahrenen Texters Paul-Jonas Hildebrandt mit dem Titel „Ein Prof driftet ab“ und der Anprangerung: „Ein Münchner Medienwissenschaftler verbreitet Verschwörungsmythen – Warum darf er immer noch lehren?“

Das mit den „Verschwörungsmythen“ ist selbstverständlich gelogen, wie das mit den „Verschwörungsmythen“ fast immer gelogen ist, weshalb in dem ganzen Text dann auch kein einziger solcher „Verschwörungsmythos“ erläutert oder auch nur erwähnt wird. Dafür geht es so reißerisch los, wie man das (wenn man es ausgehalten hat, sich mit solchem Zeug zu beschäftigen) von derartigen Hetz- und Schmähschriften gewohnt ist: „Die eine Seite des Michael Meyen zeigt sich im Hörsaal B001 der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der drahtige Mann mit angegrauten Haaren steht im November 2021 vor der Tafel und referiert zum Mediensystem der DDR, etwa zwanzig Studierende sitzen auf den obersten Rängen und hören zu.“

Schon damit ist eigentlich alles klar: Der Mann hat eine andere, ganz finstere Seite (Mister Hyde!), er ist ein Wolf im Schafspelz (drahtig! angegraut!), und zuhören mag ihm zum Glück fast niemand. „Radikalisiert“ hat er sich, indem er Feindsendern Interviews gab, kluge Artikel für sinistre Medien wie Multipolar und ein kluges Buch schrieb, das zwar zu Recht ein Bestseller ist, aber in einem sinistren Verlag (Rubikon) erschien, weshalb man anständige deutsche Buchhandlungen vergeblich danach absucht. Zudem kritisiert er (auch noch wissenschaftlich fundiert) das Propagandanetzwerk der „Faktenchecker!“ Und sowieso kommt er aus der DDR, diesem zwielichtigen Laden, dessen Widerständler notorischerweise „rechtsoffen“ waren! So einen Abweichler und Zersetzer muß der deutsche Volkskörper aussondern!

Im Ernst gesprochen ließe sich sagen: Man sieht förmlich vor sich, wie sich die Säuberungspolizisten in den deutschen Kampfmedien die Haare raufen und ausrupfen, weil sie so einem weder argumentativ gewachsen sind noch beikommen können. Also wird das gesamte Arsenal der Diffamierungsvokabeln („Verschwörungsmythen! Querdenker! und so weiter!“) aufgefahren und ein juveniler Draufgänger engagiert, der daraus einen scharfen Riemen schmiedet, mit dem man das aufmüpfige Professorchen vielleicht doch kleinkriegt oder zumindest seinen Ruf und Beruf ruinieren kann.

Mag sein, daß das gelingt. Ob sich genug Studenten aufwiegeln lassen, die sofortige Entsetzung des nonkonformen Geisteswissenschaftlers und seine sofortige Ersetzung durch einen linientreuen Parolennachbeter zu fordern, um die Kampagne zum Erfolg zu befördern, weiß ich (noch) nicht. Es steht zu befürchten, nachdem kritische Denker seit zwei Jahren einer nach dem anderen weggekegelt und per „Wikipedia“ diskreditiert werden, während fachfremde Dummköpfe idiotische Verschwörungstheorien über „Verschwörungsmythen“ zusammenwursteln und damit zu „Tagesthemen“-„Experten“ werden.

Eine absolut lächerliche Komödie. Aber in einem Land in dem Zustand, in den Deutschland sich hineinmanövriert und von rechtsextremen Wahnsinnigen hineinmanövrieren hat lassen, sind selbst solche Kasperlspiele gefährlich. Mir fallen dazu unwillkürlich der Oberschwurbler Martin Heidegger und seine Denunziations- und Ruinierungskampagnen nicht nur gegen jüdische Kollegen, sondern auch gegen solche, denen man vorwerfen konnte, sie seien nicht nationalsozialistisch genug gesinnt, ein. Die „Größe und Herrlichkeit dieses Aufbruchs“, die Heidegger in seiner flammenden Antrittsrede als Rektor der Freiburger Universität beschwor, endete nach einem Jahr mit seinem Rücktritt – weil ihm inzwischen selbst die Nazis nicht mehr nationalsozialistisch genug waren.

Die Dynamik der Selbstüberbietung, die in Heideggers intellektuellem Amoklauf zum Ausdruck kam, läßt sich derzeit in den anschwellenden Hetzkampagnen gegen Abweichler wiedererkennen. Sie scheint ein Grundproblem des Faschismus zu sein, an dem er letztlich immer zugrundegeht: Je mehr von ihren Gegnern die Hetzer in ihrem Furor kleinkriegen, zur Unterwerfung, ins Exil oder ins Schweigen zwingen, desto wütender werden sie. Zugleich scheinen sie in den Feinden sich selbst zu bekämpfen – das brutale Vorwärtsdrängen mag ein Ziel haben, das aber immer von vornherein unerreichbar ist. Offenbar soll es das auch bleiben, um den Wesenskern des Glaubens (eine diffuse Sehnsucht) erhalten zu können. So kommt es zu dem Eindruck, daß die Niederlage oder das Nachgeben des Gegners den Faschisten nicht etwa freut, sondern erst recht wütend macht, weil er letztlich nach einem Gegner sucht, der ihn bezwingt und ihm den Heldentod gönnt.

Darüber ist wahrscheinlich schon mehr nachgedacht und geschrieben worden als über die meisten anderen menschlichen Phänomene und Machenschaften, aber der Gedanke drängt sich immer wieder auf: Der Faschismus will gar nicht siegen, weil er mit dem, was er erobert, nichts anzufangen weiß als es zu vernichten, um etwas neues zum Erobern zu finden. Und irgendwann ermüdet ihn das so und ödet ihn derart an, daß er einen übermächtigen Gegner geradezu herbeisehnt.

Selbst einem Würstchen wie Paul-Jonas Hildebrandt scheint es (im ganz kleinen) so zu gehen: Sein Portfolio umfaßt neben Hetzartikeln gegen Menschen, die ihm geistig weit überlegen sind (aber nicht was die mächtigen Kumpane, Förderer und Gönner angeht), hauptsächlich Sensationskitsch über bizarre Kriminalfälle und heldische Abenteuerkolportagen, hier und da mit zeitgeistigen „Themen“ (Rassismus und so) berüscht. „Der tote Körper war aufgedunsen wie ein Ballon, die Leiche roch nach Verwesung. Ihr aufgeblähter Bauch ragte weiß aus dem Wasser, sanfte Wellen trieben sie gegen die Staumauer des Schluchsees im südlichen Schwarzwald.“ Karl May und Edgar Wallace rotieren synchron.

Nachgefragt (etwa bei dem Diffamierten selbst) wird in solchen Machwerken nie, „nachgedacht“ erst recht nicht, und wenn doch mal, dann nur über die gaaaanz großen … na ja, „Themen“ und auf dem Niveau stumpfster Kolportage. Daß so einen ein Gelehrter, der analysieren, reflektieren und debattieren kann, der auch noch Erfahrung, Witz und Scharfsinn hat und sich von solchem Scheinriesengehabe nicht beeindrucken läßt, zur Weißglut treiben kann, ist eventuell nachvollziehbar. Aber nur wenn man auch nachvollziehen kann, daß ein Neunzigjähriger im Rollstuhl sich sämtliche Bundesligaspiele nicht nur anschaut, sondern lauthals und öffentlich kommentiert und ihr sofortiges Verbot fordert, weil es ihn zur Weißglut bringt, daß er da nicht mithalten kann.

Eigentlich ist das viel zu viel gedacht. Es hätte genügt, die Überschrift zu zitieren: Die Selbstgefälligkeit, neidische Verächtlichkeit, die vorlaute Würstchenhaftigkeit, das zugleich anbiedernde und überhebliche Parvenu-Getue, das sich in „Ein Prof driftet ab“ niederschlägt, genügt jedem einfühlsamen Menschen, um zu wissen, womit man es zu tun hat. Und wem das nicht genügt, dem kann ich nicht helfen. Der muß dann halt da durch, notfalls bis nach Stalingrad. Ach so, das gibt es ja nicht mehr.

2 Antworten auf „Das Würstchen und der schlimme Professor“

  1. Danke für die klaren und mutigen Worte. Mutig ist das ja heutzutage wieder, seine Meinung klar zu sagen, weil es dazu führen kann, dass man von einem medialen Shitstorm überrannt wird, der versucht, einen stumm zu machen und zu vernichten.

    Und die Medien und das Volk sind auch heute so klug und dumm, wie sie immer gewesen sind. Sie glauben, es diene vor allem dem Guten sie kämpfen für die angeblich richtige Sache. Doch sie verstehen nicht, was passiert, und sie sorgen am Ende zur Vernichtung der eigenen Kultur, der eigenen Moral und am Ende der eigenen Existenz.

    Es ist bald wieder an der Zeit, dass die Intelligenz auswandern muss.

  2. „anständige deutsche Buchhandlungen“

    prägnanter und entlarvender kann eine so kurze Sentenz kaum sein: wir haben wieder die Einteilung in „anständig“ und „störend.“

    Dass die Sündenbock-Zuweisung, ja nach Mode, politischem Wind und geostrategischem Ziel angepasst wird, ist kaum verwunderlich bei einer wissenschaftlich (Soziologie, Psychologie, Verhaltensforschung, PsyOp, PR) geführten, offenen Gloabalverschwörung der „obersten Zehntausend“. Wer aktuell „Störer“ ist, ob Jude, ob Arbeitsloser, ob willkürlich so bezeichneter „Nazi“ oder „Antisemit“ (ganze Denkfabriken si9tzen daran, wie man unliebsamen Geistern mit viel Wortschwall und Theorie-Krach diese Markierungen zuweisen kann) wird in den Zentralorganen für alle verbindlich ausgegeben. Die Büttel, Schergen und verdeckt arbeitenden Influenzer brauchen doch Orientierung.

    Zu meinem Vorkommentator eine Frage: auf welchen Planeten könnte die Intelligenz denn auswandern? Vorschläge?

    Von welcher Ecke der Milchstraße geht denn aktuell der „Braindrain“ aus?

    (auf der Erde seh ich da nichts. USA? China? Russland? Alles das WEF-Gleiche.)

    Nein. Wenn wir nicht jeder an seinem Ort alles tun, dann ist es vorbei, mit dieser unserer Welt.

    Sichrlich lässt sich irgendwo noch eine Höhle finden (in Qumran sollen ein paar leer stehen, Kappadokien hätte auchw as zu bieten wenn es eine nicht stört, dass täglich Touristen durch sein Wohnzimmer geführt werden) wo der WEF-Arm in absehbarer Zeit noch nicht hinreicht – aber auf Dauer?

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