Belästigungen 12/2021: Das Grundgesetz als Gummiball

Mit den Gesetzen ist das so eine Sache. Einerseits finden es die meisten von uns meistens recht angenehm und vernünftig, daß es welche gibt und daß sich die meisten Leute meistens dran halten. Weil das tägliche Leben sonst ziemlich ungemütlich wäre, wenn man zum Beispiel morgens zum Bäcker ginge und ein paar Brezen bestellt und das Geld hinlegt und der Bäcker sagt: „Danke für das Geld, aber ich habe plötzlich keine Lust mehr, Ihnen Brezen zu geben, weil ich sie lieber behalten mag. Statt dessen werde ich jetzt meinen Brotschieber holen und Ihnen mal so richtig den Hintern versohlen, weil das bestimmt Spaß macht, ho ho!“

Andererseits wandelt auf Erden kaum ein Mensch, dem es im Hergang seiner Lebzeit gelungen wäre, sich immer an alle Gesetze und Vorschriften zu halten. Das fängt (spätestens) damit an, daß man als vorjugendlicher Mittelstürmer mangels Zielwasser das sowieso zu leichte Gummigelumpe über den Zaun schießt und verbotenermaßen selbigen überklettern oder unten durchschlüpfen muß, um in den Parkplatz oder das Nachbargrundstück einzubrechen und das Spielgerät zurückzuholen. Ein anständiges Räuber-und-Schandi-Szenario ist ohne Bruch bürgerlicher und hausmeisterlicher Regeln ebensowenig denkbar wie die meisten anderen Kinderunternehmungen, später kommen Vergehen wie Unterschleif, unentschuldigtes Fernbleiben vom Unterricht, die Fälschung entsprechender Dokumente, Beleidigung von Respektspersonen, die Stiftung von Bagatellbränden, Mülldiebstahl, Vandalismus, Nichtachtung von Verkehrsregeln, exzessives Lärmen und der Genuß illegaler Pflanzen oder gar deren Anbau hinzu.

Zudem gibt es so einige Gesetze, die ein ziemlicher Schmarrn sind beziehungsweise so wirr, konfus und wild verschachtelt, daß sie kein Mensch je verstanden hat oder verstehen könnte. Das fängt mit den Steuern an und endet beim Infektionsschutzgesetz, das alle paar Wochen umgeschrieben wird, ohne daß es die Umschreiber ganz gelesen hätten, und dessen inhaltliche Logik deswegen inzwischen einem jahrzehntelang wild wuchernden Brombeergestrüpp ähnelt – mit dem Unterschied, daß das Brombeergestrüpp an sich eine Logik hat, die allerdings in dem Moment belanglos wird, wo man unbedacht hineinstapft, um Stunden später zerschunden und blutüberströmt wieder herauszukriechen.

Das Beispiel war zufällig, weil aktuell. Tatsächlich gibt es vom Bauen bis zum Sparen, vom Sellerieanbau bis zur Mofafrisur, vom Bankraub bis zu Hausstaub, vom Frühjahrsputz bis zum Datenschutz, vom Renteneintrittsalter bis zum Fassadengestalter, vom Laub- bis zum Posaunenbläser, vom Beton bis zum Schulgong, von der Erziehung bis zur Beziehung (m/w oder wie auch immer) jede Menge Gesetze und Regelungen, derer sich Schlitzohren rückhaltlos bedienen können, um armen, aufrichtigen Würstchen die Haut über den Zipfel zu ziehen (o ja, es gibt auch sprachliche Sünden), und die wahrscheinlich irgendwann mal aus redlichem Anlaß entstanden sind, damit aber noch so viel zu tun haben wie ein Glas Brombeermarmelade mit dem armen Kerl in der Notaufnahme, der beim Versuch, heimlich (und gesetzeswidrig) Wasser zu lassen, von dessen mütterlichem Gestrüpp erfaßt worden ist.

Mittendrin in dem legalistischen Ungewitter (von dem manch einer mutmaßt, es sei in Deutschland besonders schlimm, weil der Deutsche nun mal ein Deutscher ist) ragt indes ein Leuchtturm, dessen durchdringende Vernunft und Eleganz fast makellos wirkt: das Grundgesetz und insbesondere die in den Artikeln 1 bis 19 festgeschriebenen Grundrechte, die jedem Menschen quasi angeboren sind und (anders als in den meisten Verfassungen) absichtlich allen anderen Artikeln vorangestellt sind. Durch diese Rechte, so könnte man sagen, wird der Mensch erst zum Mensch und unterscheidet sich zum Beispiel von Getreide, Obstbaum und Schlachtvieh, denen zwar wohlwollende Behandlung zugebilligt wird, die sich aber nicht auf ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, Versammlungsfreiheit, freie Berufswahl oder Freizügigkeit im gesamten Bundesgebiet berufen können.

Obwohl kaum eine Verfassung auf diesem Planeten so oft geändert wurde wie das Grundgesetz, blieben die Grundrechte im wesentlichen erhalten und wurden selbst mit dem „Corona“-Ausnahmezustand offiziell lediglich „eingeschränkt“ und nicht aufgehoben. Daß dies so ist und sie dem Deutschen so wichtig sind, liegt daran, daß es zuvor anders war: Da konnte sich der Staat gegen den Menschen so ziemlich alles herausnehmen und erlauben, was schließlich in der totalen, historisch einzigartigen Katastrophe endete.

Die CSU und die von ihr geführte bayerische Landesregierung stimmten übrigens gegen das Grundgesetz, fügten sich aber letztlich in dessen Gültigkeit. Wie gültig es war, bekam der Verteidigungsminister und Oberste Demokrator Franz Josef Strauß zu spüren, als er 1962 die Pressefreiheit in die Tonne treten zu können glaubte und wegen eines Artikels die halbe „Spiegel“-Redaktion ins Gefängnis sperren ließ. Da tobte die Republik, Konrad Adenauer flog seine Regierung um die Ohren, und Strauß’ Führerkarriere stockte vier Jahre lang. Schon zuvor war der ehemalige Offizier für wehrgeistige Führung so unzimperlich mit Gesetzen umgegangen (und tat dies auch weiterhin), daß die Berichte über seine Affären ganze Regale füllen. Aber bei der Verfassung und den Grundrechten hört der Spaß halt auf.

Um so befremdlicher mag es wirken, daß nun dem Strauß-Apostel und aktuellen irdischen Statthalter Söder bescheinigt wurde, er habe Recht und Grundgesetz gebrochen, indem er im Frühjahr 2020 nicht etwa eine halbe Redaktion, sondern eine ganze Bevölkerung einsperren ließ (und zur Begründung nicht einmal eine einzige Akte vorlegen konnte) – und kaum ein Hahn und schon gar kein Leit- und Massenmedium danach krähte oder auch nur ein Zeigefingerlein erhob.

Woran liegt das? Ist der Bürger von seinem Regierungspersonal inzwischen so viel gewohnt, daß ihm derlei Sperenzchen kaum noch bemerkenswerter erscheinen als ein über den Zaun gekickter Gummiball? Oder ist er so von Söders aufrichtiger Menschenliebe und Gutherzigkeit überzeugt, daß er ihm vom Hühnerdiebstahl bis zum Postkutschenraub alles durchgehen läßt, weil es ja nur zu seinem besten geschieht? Beides wäre höchst bedenklich und zugleich, nun ja, irgendwie auch nachvollziehbar, leider.

Die Kolumne „Belästigungen“ erschien bis April 2020 alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN. Dann konnte das Heft aufgrund der von Bundesregierung und bayerischer Staatsregierung verfügten „Corona“-Sanktionen nicht erscheinen, weil kulturelle Veranstaltungen und Vergnügungen verboten waren. Inzwischen sind einige für „Geimpfte“, „Genesene“ und (vorläufig) „Getestete“ wieder erlaubt, und das Heft erscheint vorläufig monatlich. Diese Folge erschien in der November-Ausgabe.

5 Antworten auf „Belästigungen 12/2021: Das Grundgesetz als Gummiball“

  1. das Grundgesetz wird schon länger und konsequent ausgehebelt…….
    ich habe das erfahren, nachdem ich die GEZ-Zwangsgebühr nach den Maidan-Ereignissen 2014 verweigert hatte, da die deutschen Medien hierüber grausigste Lügen verbreiteten. Nach dem üblichen Procedere kam die Gerichtsvollziehernummer dran und ich wollte vor einem deutschen Gericht meine Begründung dafür artikulieren, daß ich das nicht bzahlen werde, ich könnte schließlich nicht gegen mein Gewissen diese Lügen mitfinanzieren. Doch soweit kommt es gar nicht. Stillschweigend hat man mir Schuldnereinträge bei der SchuFa verpasst und das war es dann auch. Kein Widerspruchsrecht, gar kein Recht. Daß hier etwas nicht mehr stimmt, ist seit Obamas Friedensnobelpreis offensichtlich.

  2. Dafür daß der Bäcker einen nicht versohlt, brauchts kein Gesetz. Darauf kommt so schnell kein Bäcker, und falls doch, hilft dagegen auch kein Gesetz. Anders ists, wenn jemand die Brezen mitnimmt ohne Geld dazulassen; dann stehen sehr schnell zwei komisch gefärbte und puffmäßig beleuchtete Autos vor der Tür. Dafür gibts das Gesetz.
    Bei dem Grundgesetz mit seinen Grund- und Menschenrechten mag man sich ja vorstellen, daß sie von Natur aus da wären (und nicht nur im Sozialkundeunterricht wird so ein Bapp verbreitet). Man wird aber an keinem Baum und an keinem Neugeborenen so etwas finden, die Natur kennt so ein Menschenwerk wie Recht nicht. Und selbst die im Grundgesetz gnädigst vom Staat (von wem denn sonst ? vom Papst ?) verliehenen Rechte dürfen laut ebendem Grundgesetz „nicht ihrem Wesen nach eingeschränkt“ werden, ansonsten doch recht weitgehend. Einen Ungeimpften einfach so wegsperren geht nicht, da muß man ihn erst als eine Riesengefahr für die Volksgesundheit ausmalen und eine Horde demokratisch korrekt gewählter Nullen eine Epidemische Lage von nationaler Tragweite ausrufen lassen.
    Auch Franz Josef sel. Andenkens bekam das Grundgesetz nicht zu spüren, sondern den Unwillen der FDP, dabei mitzumachen – die dann mit demselben Adenauer (ein Abgrund von Landesverrat …) eine neue Regierung bildete. Weder wurde Strauß rechtlich belangt noch konnte sich der Karlsuher rote Kostümverein dazu durchringen, das Vorgehen als unrechtmäßig zu erklären (erinnert durchaus an heute).
    Und eine planmäßig hysterisch gemachte Schafherde wird an eher an ihrem Verstand zweifeln als an ihrem guten Hirten St. Markus.

      1. es hätte besser berechnend gewähren als gnädigst verleihen heißen sollen. Der Neue Brockhaus von 1937 meint dazu:
        „Grundrechte, Verfassungsbestimmungen zur Sicherung bestimmter Rechte des einzelnen … Solche Rechte waren eines der Ziele des in 18. Jahrh. einsetzenden Kampfes gegen Bedrückung durch Fürstenwillkür … Der Grundgedanke, daß der einzelne unentziehbare Rechte gegenüber dem Staat habe, wurzelt im Geiste der Aufklärung und der Franz. Revolution; er trägt den Keim zu individualistischer Überspannung in sich, die den Bestand des Staates gefährden kann.
        Im Deutschen Reich seit 1933 … nationalsoz. Volksgemeinschaft … das Reich beruht auf Gefolgschaftstreue, Pflicht und Opfer. Neben Achtung und Schutz der Rechte der Einzelpersönlichkeit treten die Pflichten des einzelnen gegenüber der Gemeinschaft. Der einzelne hat nur solange Rechte, wie er seine Pflichtengegenüber der Gesamtheit des Volkes erfüllt.“

        Der Staat – nicht so ein Unfug wie „das sind wir alle“ (nur die härtestgesottenen Untertanen stellen sich selbst einen Bußgeldbescheid wegen Mißachtung eines Rotlichts aus) -, diese Ansammlung aus zivilen Schreibtisch- und meist uniformierten Gewalttätern soll („Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, Artikel 1) die Grundrechte vor sich selbst (!) schützen. ich weiß von keinem Staat, der nicht, wenn er es für nötig hält, die Grundrechte mit seiner Gewalt zurücknimmt, (mit oder ohne Zustimmung späterer Freidemokraten).
        Vor jedem nicht nur imaginierten Recht kommt die Gewalt, die es garantiert oder auch nicht. Und vor einer zur Abstimmung gestellten bayerischen Verfassung eine amerikanische Militärregierung, die das ganze veranstaltet.
        Die Vorstellung vom auf einem Gesellschaftsvertrag (ist so einer jemals irgendwo zustandegekommen?) beruhenden Staat, der die Grundrechte nicht nehmen kann, ist sympathischer als das, was man in diesem unserem Lande vorfindet. Ein Fußvolk, das seine Grundrechte behalten will, muß selbst wie der Teufel dahinterhersein, in einem Ausmaß, das dann als individualistische Überspannung nicht nutr von der Qualitätsjournaille gegeißelt wird.

  3. Ihr quatscht da immer von Grundrechten, idealisiert auf quasi unantastbarem Podest, gespickt mit Warnungen vom Dräuen einer Art neuen Nazizeit (na klar, das, was umfassend historisch Gebildeten halt so an Vergleichen zur Verfügung steht).

    Gehts noch kindischer ? Aus dem Greinen und Quengeln kaum noch rauskommen, weil „die Regierung“ oder der oder die angeblich oder tatsächlich das & das „versprochen “ haben usw., z. B. das Absehn von Impfpflicht oder weiß der Geier.

    Wisst Ihr was ? Keiner kann in einer modern(d)en Gesellschaft, die so organisiert ist wie unsre, mit all ihrem Vernichtungs- und Zerstörungspotenzial und den ständig laufenden latenten Risiken, irgendwas „garantieren“.

    Was macht ihr, wenn z. B. die Bombe einschlägt, der große Knall * ? Geht ihr dann „nach Karlsruhe“, wg. Grundrechzverletzung. Ihr Deppen.

    (*z. B. der dann selbstverständlich gegebne V-Fall, Also rechtmässig. Könnt aber auch ein Ebola-Einschlag oder sonstwas sein)

Kommentar verfassen