(periphere Notate): Spiralen, Kochsalz, Steinmeier

Ich erinnere mich an ein Spielzeug aus meiner Kindheit, das im Grunde ein Spielzeug für Erwachsene war: eine Spirale aus flachem Metalldraht, ungefähr von der Größe eines Frischkäsebechers. Wenn man diese Spirale auf die oberste Stufe einer Treppe setzte und ihren oberen Ring hob, nach vorne kippte und auf die Stufe darunter fallen ließ, bewegte sich die Spirale wie eine robotische Raupe die ganze Treppe hinab.

Ein Spielzeug für Erwachsene war das, weil nur Erwachsene in der Lage waren, das Spiel auf den vorgesehenen Spielplan zu beschränken. Wir Kinder fanden sehr schnell andere Spielmöglichkeiten: Man konnte die Spirale auseinanderziehen und zusammenschnellen lassen wie eine Ziehharmonika, horizontal und vertikal; man konnte sie auch in der Gegend herumschmeißen, was sie zu einer Art ungelenkem Wurm machte und sehr lustig aussah. Und noch manches andere. Der Nachteil war, daß die Spirale sich dabei gerne mal verknotete und dadurch insgesamt (auch für das biedere Spiel der Erwachsenen) unbrauchbar wurde.

Wenn man die unbrauchbar verknotete Spirale am Anfang und Ende (die weitgehend identisch waren) festhielt und gegenläufig zusammendrehte, wurde sie an manchen Stellen schlanker, machte seltsame Geräusche, bog sich und verschlang sich, und wenn man dann noch Anfang und Ende (hierbei nicht mehr identisch) ineinander drehte, war das Chaos perfekt und das Spiel zu Ende. Die Erwachsenen schimpften (die Spirale war ein Vorläufer heutiger „Designerstücke“ und daher absurd teuer), das Ding landete im Müll und verschwand – wohl wegen häufigen Mißbrauchs – irgendwann vom Markt.

Die Logik der „Corona-Maßnahmen“ hat gewisse Ähnlichkeiten mit dieser Spirale. Neuerdings fordert das RKI aufgrund der (sicherlich „exponentiell“) steigenden Zahl von „Impfdurchbrüchen“, auch Geimpfte (und sowieso Kinder) müßten regelmäßig einem PCR-Test unterzogen werden. Die Gedankenfolge ist bestechend: Man läßt sich spritzen, um endlich dem nervigen Testzwang zu entgehen (und vielleicht sogar „Grundrechte gewährt“ zu kriegen). Dafür kriegt man: eine Bratwurst, aber kein „Grundrecht“ und statt dessen einen neuen Testzwang (und sowieso nie aufgehobenen Maskenzwang). Möglicherweise kann man sich dem durch die „Booster-Impfung“ und weitere regelmäßige Spritzungen entziehen, mit jedesmal neuen „Nebenwirkungen“ und jedesmal kumulativ (oder exponentiell?) steigendem Risiko von Spät- und Langzeitschäden („Long Vax“). Und Bratwürsten.

Wie lange macht ein Mensch so etwas mit? Oder: wie lange muß man es erzwingen, bevor er sich gewöhnt hat und es mitmacht, weil er es gar nicht mehr anders kennt?

Die Spirale wird noch verwickelter: Eine Krankenschwester in der Gemeinde Schortens im Landkreis Friedland soll 10.186 von 20.483 Einwohnern mit Kochsalzlösung statt mit mRNA-Zeug geimpft haben. Das ist – je nach Sichtweise – hilfreich beziehungsweise verwerflich. Es könnte auch Quell der wissenschaftlichen Erkenntnis sein, daß Kochsalzlösung gegen SARS-CoV-2 schützt: Im ganzen Landkreis (98.971 Einwohner) gibt es derzeit (die Sache ist schon einige Wochen her) 12 positiv getestete Personen, von denen keine einzige stationär behandelt wird. Die „Inzidenz“ dürfte angesichts einer Quarantänezeit für positiv Getestete von 14 Tagen also etwa bei 6 liegen. Ob die Zahl der „Nebenwirkungen“ dort signifikant niedriger ist als anderswo, ist allerdings auch nicht bekannt, weil danach niemand fragt und forscht und „Nebenwirkungen“ in Deutschland sowieso keinen Menschen und keine Institution groß interessieren.

Eine Präzisierung: Die Krankenschwester selbst gibt an, sie habe „keineswegs nur Kochsalzlösung verabreicht. Sie habe lediglich versucht, verschütteten Impfstoff mit Resten aus anderen Ampullen auszugleichen. Dabei sei es bei den bekannten sechs Vorfällen geblieben.“ Dies teilt ihr Anwalt mit. „Diese Aussage sei jedoch von den Behörden bisher nie erwähnt worden. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Oldenburg bestätigte, ‚daß das in der ersten Vernehmung tatsächlich angeklungen ist’“. Die deutsche Justiz geht derzeit auch seltsame Wege.

Ein Leitmedium „titelt“ heute: „Hier lockern, dort verschärfen“. Ich finde es immer noch erstaunlich, daß dieser Jargon niemanden mehr erstaunt. Beide Begriffe stammen aus dem Strafvollzug.

Der Schlüssel ist: die Sprache. Der Schlüssel zum Verständnis dessen, was passiert und was sich verändert. Victor Klemperer wußte das und hat es für die scheinbare Ewigkeit in seinen Tagebüchern (die Veränderungen) und in „LTI – Lingua Tertii Imperii“ (die Sprache) dokumentiert. Mir will scheinen, solche Erkenntnisse brauchen genau ein Lebensalter („LTI“ erschien vor 74 Jahren), um sich in nichts aufzulösen oder nicht mehr verständlich zu sein.

Ach so, aber Klemperer war ja auch DDRler und mit einer 45 Jahre jüngeren Frau verheiratet. Was soll denn das für einer sein, heutzutage? Ich zitiere ausnahmsweise ausführlich aus dem „Wikipedia“-Blog, weil das Geschwurbel in seiner geistesfremden Vermischung von Tatsachen, Unverständnis und Bildungsjargon sehr typisch ist:

„Im ausführlichen Tagebuch zeigt sich Klemperer als genauer und kritischer, aber auch selbstkritischer Beobachter seiner Zeit und seines Milieus. (…) Weiter schrieb er viel über die Beziehung zu seiner ersten, oft kränklichen Frau Eva, beschrieb Personen und Landschaften, notierte auch eifrig die häufigen Kinobesuche. Aufmerksam verfolgte er sein eigenes gesundheitliches Befinden und die Fortschritte seines wissenschaftlichen Schreibens. Häufig wurde er von Selbstzweifeln heimgesucht. Klemperer äußerte sich offen über die Probleme seiner Existenz als konvertierter Jude und vermerkte den nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs im Zusammenhang mit der Dolchstoßlegende und den Wirren um die bayrische Räterepublik virulent um sich greifenden Antisemitismus. Ab 1933 läßt sich mitverfolgen, wie Klemperer langsam und systematisch ausgegrenzt wurde, zunächst in der Wissenschaft, später auch im privaten Leben. Seine Tagebücher aus der Zeit des Nationalsozialismus sind Zeugnis einer Atmosphäre großer und immer größer werdender Angst, in der Klemperer und die anderen Bewohner des ‚Judenhauses‘ lebten: vor allem Angst vor der Gestapo. Vor diesem Hintergrund berichtete er von etlichen Selbstmorden und Opfern des Völkermordes an den Juden durch die Nationalsozialisten in seinem persönlichen Umfeld. Gegenüber den häufigen Notizen über antisemitische Äußerungen während der Weimarer Republik vermerkte Klemperers Tagebuch aber eine trotz oder wegen der offiziellen antisemitischen Politik zunehmende Höflichkeit der nichtjüdischen Bevölkerung gegenüber den durch den gelben Stern stigmatisierten Juden – eine Höflichkeit, die in Bezug auf die Vernichtungspolitik folgenlos blieb.“ (Bitte die automatisch eingebauten Links mißachten oder ansonsten jedenfalls verläßliche Quellen konsultieren.)

Mein Lieblingsschwurbel des Tages stammt heute von Bundespräsident Steinmeier. Für Menschen mit Interesse an der Pathologie des Neusprech (und starken Nerven) ist die ganze Rede empfehlenswert. Der Satz „Am Anfang stand die Lüge“ (bekannt als Titel zahlreicher Beiträge zum Krieg der USA gegen den Irak und der Rolle der Medien bei dessen propagandistischer Vorbereitung und Rechtfertigung) kommt darin vor, der Satz „Niemand hat die Absicht, eine Impfpflicht einzuführen“ jedoch nicht. Darum geht es ja auch nicht, sondern um den Bau der berühmten Mauer, zu dem auch niemand die Absicht hatte.

„Inzwischen ist die Mauer fast vollständig aus dem Stadtbild Berlins verschwunden“, schwurbelt Steinmeier weiter. Die „Freiheit“, in die so viele flüchten wollten, allerdings auch, was er dann wieder nicht erwähnt. Aber zählen wir keine Erbsen, amüsieren wir uns lieber: „Es ist das ganz Alltägliche, in dem wir unsere Freiheit leben und friedlich leben möchten. Es ist ja nicht mehr als das Selbstverständliche, das Kommen und Gehen, das Leben, wie und wo wir möchten, das wir uns wünschen.“

Zwischenfrage: Was soll daran amüsant sein? Antwort: Daß er nicht merkt, was er da sagt. Er merkt es nicht mal bei diesem – durchaus bemerkenswerten – Schlußsatz:

„Daß das Selbstverständliche aber nie von selbst geschieht, daß wir alle dazu beitragen müssen, daß es erhalten und geschützt wird, daß Geschichte von uns Menschen gemacht wird – zum Guten wie zum Bösen: Daran erinnert uns der 13. August.“

Ich hätte nie gedacht, daß ich Herrn Steinmeier mal zustimmen würde oder auch nur könnte. Aber das: ist wahr gesprochen.

(„einer“, o ja)

In gewisser Weise wahr sind auch die „Fakten“: „Geimpfte“ werden genauso oft positiv getestet, infiziert und krank wie nicht „Geimpfte“ – so gut wie nie. Im Winter wird sich das ändern, aber daran können wir nichts ändern. Bleiben wir gelassen, es geht vorüber.

 

 

(Ein persönlicher Nachtrag: Ich danke sehr für die Aufmerksamkeit von circa 300 Lesern am Tag, ich danke noch mehr für die bislang eingegangenen Spenden – die Summe bewegt sich immer noch im niedrigen dreistelligen Bereich, aber das alles ist ja auch nur ein Experiment zu der Frage, wie wir zukünftig leben und existieren können und wollen. Und, wie heute ein Leser bemerkte: Ich (also: ich) kann sowieso nicht anders. Daher schlicht: danke!)

Eine Antwort auf „(periphere Notate): Spiralen, Kochsalz, Steinmeier“

  1. „Die Krankenschwester selbst gibt an, sie habe „keineswegs nur Kochsalzlösung verabreicht“
    4.1.2023: Besitz und Handel von Kochsalzlösung werden strengstens verboten. Ausnahmegenehmigungen sind beim zuständigen Gesundheitsamt bzw. Sanitätsgefreiten zu beantragen und werden ausschließlich Neunfach-Geimpften mit Hygiene-Diplom erteilt.

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