(periphere Notate): Sucht und Dogma

„Bei einer hohen Inzidenz in der Bevölkerung ist auch das Risiko für Geimpfte und Genesene höher, sich (trotz Impfung oder überstandener Infektion) anzustecken und die Infektion weiterzugeben.“ Das schreibt die kommissarisch amtierende Bundesregierung in ihren „Eckpunkten für die MPK“ (so heißen die virtuellen „Treffen“ dieser selbsternannten Herrscherriege) „zur Vorbereitung der Rechtsverordnung nach §28c des Infektionsschutzgesetztes“. (Es müßte „des Gesetzten“ heißen, aber wo die Logik und der Verstand aus dem Haus sind, hilft die Grammatik auch nicht mehr viel.)

Es könnte übrigens sein, daß es sich bei den „Eckpunkten“ um eine Fälschung handelt. Originale der MPK nämlich erkennt man normalerweise an einem „Eckpunkt“, der grundsätzlich immer drinstehen muß: „Alternativen: keine.“

Aber zurück zu dem zitierten Satz: Der nämlich stellt die bislang schon so kultisch gefeierte „Inzidenz“ nun endgültig heilig: Sie ist der einzige Anhaltspunkt für das Wohlergehen der Menschen. Impfungen sind nutzlos, auch eine überstandene Erkrankung schützt nicht vor der nächsten, die „Inzidenz“ wird unerbittlich jeden treffen. Und besiegen kann man sie – so lautet das zentrale Dogma – nur mit dem Lockdown.

Daß bislang festgelegt war, die „Schutzmaßnahmen“ würden gelockert oder aufgehoben, wenn jeder Bürger ein „Impfangebot“ erhalten habe, und daß es nun heißt, dies geschehe erst nach Erreichen einer „Gemeinschaftsimmunität“, könnte man für ein „Umdenken“ halten. Daß auch die „Herdenimmunität“, von der bislang die Rede war und die von der WHO eigens umdefiniert wurde, jetzt nichts mehr nützen soll, könnte man für ein erneutes „Umdenken“ halten, galt bislang doch die „Herdenimmunität“ als beste Waffe gegen die „Inzidenz“. Aber „das Bundeskanzleramt“ (meldet die „Welt“) „weist zurück, daß hier ein Umdenken im Gange ist. ‚Es ist kein Strategiewechsel geplant’, sagte eine Sprecherin.“ Was nur heißen kann, daß das von Anfang an so vorgesehen war, auch wenn die Herrschenden sich anders äußerten.

Karl Lauterbach mußte sich selbstverständlich als erster ans Mikrophon drängen, um diese Verschwörungsvermutung zu bestätigen und dabei, wie es seine Art ist, nicht  nur sich selbst, sondern auch der Regierung, dem gesunden Menschenverstand und von ihm selbst zitierten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu widersprechen: „Angenommen, die Herdenimmunität läge bei 70 Prozent. Der Laie denkt dann häufig, wenn sich 70 Prozent impfen lassen, kann sich der Rest nicht mehr infizieren. Das ist aber falsch. Die Pandemie wird Einzelne nicht verschonen, man wird entweder krank oder geimpft.“ Was aber beides, wie wir gerade erst gelernt haben, nichts nützt, solange die „Inzidenz“ sich nicht verflüchtigt. Man wird also entweder ungeimpft krank oder geimpft krank.

Worauf Lauterbach hinauswill, ist bei aller Unsinnigkeit und Widersprüchlichkeit seines Geplappers klar: totale Kontrolle über jede Lebensregung, und zwar für immer. „Wenn allen Menschen ein Impfangebot gemacht wurde, heißt das noch nicht, daß die Bars so offen sein können wie vor der Pandemie. Ich rechne damit, daß Menschen Impfpässe oder Antigentests zeigen werden müssen. Zumindest in Lokalitäten, wo das Risiko sehr hoch ist.“ Woran man diese „Lokalitäten“ erkennt? Vermutlich daran, daß sich dort Modellierungen zufolge gerne „Impfverweigerer“ versammeln täten, wenn sie dürften. Weil das einer solchen „Bar“ eine böse Aura, nein: eine „hohe Inzidenz“ verleiht.

Was auch immer Lauterbach plappert: Eine Aufhebung der „Schutzmaßnahmen“ ist mit den „Eckpunkten“ jedenfalls für sehr lange Zeit ausgeschlossen. Trotz allen Bemühungen, die „Impfquoten“ anzukurbeln, wird es ja weiterhin hartleibige Verweigerer geben. Momentan sind das Umfragen zufolge etwa 35 Prozent der Bevölkerung (mehr als ein Drittel davon jedoch Kinder unter 16 Jahren, die man früher oder später schon „überzeugen“ wird). Deshalb hebt Bayern jetzt den Testzwang für Geimpfte auf (obwohl diese sich und andere ja weiterhin „anstecken“ können, siehe oben): „Dadurch werden auch Anreize für eine erhöhte Impfbereitschaft geschaffen.“ Was aber, wie erwähnt, gegen die „Inzidenz“ nichts hilft … und so dreht sich der Wirrwarr der Widersinnigkeit weiterhin im Kreis.

Oder hat der Bayernminister Blume hier zufällig den Kern des Problems getroffen? Schließlich hängt die „Inzidenz“ bekanntermaßen ausschließlich an der Zahl der Tests, weshalb bösartige Coronagegner ja seit Monaten fordern, endlich die sinnlose, milliardenteure Massentestung gesunder Menschen einzustellen. Ob man nun die Gesunden oder die Geimpften vom Testzwang befreit, ist ja eigentlich egal, solange es nur weniger Tests gibt und somit die „Inzidenz“ sinkt. Aber keine Sorge, da fällt Herrn Lauterbach schon was ein …

Traum vom Sommer: Eine Gruppe von Freunden verabredet sich im Biergarten, trifft sich am elektronischen Eincheck-Schalter. Einer ist ungeimpft, darf den geschützten Bereich aufgrund fehlenden Eintrags in der App nicht betreten. Man nimmt einen Tisch am Zaun, reicht ihm einen Stuhl und eine Maß nach draußen, so nimmt er eben als „Außensitzender“ teil. Das erregt Aufsehen. Andere Biergartenbenutzer beschweren sich, das Wachpersonal greift ein. Der draußen Sitzende meint, er sitze ja nicht im geschützten Bereich. Es ist aber nicht zulässig, den geschützten Bereich von außen in Infektionsgefahr zu bringen. Die vermummte Polizei rückt in Kampfmontur an, entfernt den Gefährder und entläßt ihn anderntags nach eingehender Behandlung und Aufnahme aller verfügbaren Daten. Bei einer Wiederholung des Gefährdungsversuchs droht ihm eine Gefängnisstrafe bis zu fünf Jahren.

Die Vorsitzende des „Deutschen Ethikrats“, der diesen Namen deshalb trägt, weil er raten soll, was das Wort „Ethik“ eventuell bedeuten könnte, heißt Alena Buyx. Diese Dame meint, „eine zukünftige Gleichstellung von Getesteten, Geimpften und gegebenenfalls auch Genesenen etwa beim Zugang zu Restaurants oder Geschäften“ wäre „aus ethischer Sicht unproblematisch“.

Ebenso unproblematisch wie Restaurants oder Geschäfte, zu denen nur alte, weiße Männer Zutritt haben, vermutlich. Wobei dieser Fall „aus ethischer Sicht“ noch „unproblematischer“ wäre, weil dem Abschaum ja andere Restaurants und Geschäfte zur Verfügung stünden. Das geht bei der „Corona“-Apartheid selbstverständlich nicht.

Nachtrag: Das Konzept „Jeder Sonntag ist Totensonntag!“ kommt jetzt auch bei Nazis in Mode. Es wäre unfair, dem Steinmeier vorzuwerfen, er marschiere mit seiner epochalen Schwarzkitsch-Peinlichkeitsübung da mit. Konnte er ja nicht ahnen:

„Das Ziel der dogmatischen Arbeit bringt es mit sich, daß bei ihr noch stärker als bei der historischen Darstellung die Persönlichkeit des Dogmatikers die Beobachtung und das Urteil bestimmt. (…) Für die Leser entsteht daraus die Versuchung, sich nur mit dem Dogmatiker, seiner Originalität, Gelehrsamkeit und religiösen Eigenart zu beschäftigen, und für unsere Zeit hat diese Versuchung eine besondere Stärke; denn sie hat nicht an der Wahrheitsregel das sie bewegende Gesetz.“ (Adolf Schlatter, Das christliche Dogma, 1911)

Um das Jahr 335 schrieb Basil, Bischof von Caesarea, ein Traktat, in dem er empfahl, die Jugend möge sich zu ihrer Ausbildung auch die heidnische Literatur zumuten (Platon, Homer, Euripides, Hesiod u. a.). Diese niedrige Stufe der geistig-moralischen Erkenntnis und Reife muß die orthodoxe Konsensreligion der regierungsamtlichen Medizinpriester unserer Tage erst erreichen, von unten her. Es wird ein langer Weg mit vielen Rückschlägen (vgl. Mittelalter) und wenig Hoffnung auf Erfolg.

Eine Antwort auf „(periphere Notate): Sucht und Dogma“

  1. Sedisvakanz „bezeichnet Zeit und Zustand der Erledigung des päpstlichen oder des bischöflichen oder quasibischöflichen Stuhles.“(Wikipedia). Mit dem Bruch der Verfassung handelt es sich m.E. auch bei einer gewählten Regierung um eine solche Sedisvakanz, denn sie selbst hat ja „den Vertrag“ FDGO außerordentlich gekündigt.

    Ein Begriff von Orlov scheint mir zudem bemerkenswert: den der Zusammenbruchsbereitschaft. Er bedeutet wohl im Wesentlichen, sich keine Illusionen mehr zu machen, sondern sich auf die neue Situation und ihre Auswirkungen einzustellen:
    https://www.gunnarkaiser.de/post/die-fünf-stufen-des-zusammenbruchs 1

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