Das passiert einem nicht nur in München, dort aber auch und immer öfter: Man findet sich beim müßigen Herumspazieren und -radeln plötzlich vor wuchernden, monströsen, dystopisch häßlichen Betongebirgen wieder, die wie Ameisenhaufen dort stehen, wo einst Landschaften, Biotope, Quartiere, Idyllen, wohnliche Straßenzüge und gewachsene menschliche Siedlungen standen und alles, worauf sie stehen und was um sie ist, zerfressen wie rauchende Salpetersäure. Fast immer denkt man beim Anblick dieser Horror-Moloche: Das war doch letztes Jahr noch nicht?!
Es gibt fast kein Eck, keine Nische der Stadt mehr, wo das nicht so ist. Wo nicht die immer gleichen, lebensfeindlichen Monstren sich aufstapeln wie technokratische Giftpilze, durchzogen von öden „Grünflächen“, die aussehen und wirken wie die Plastikteppichböden, die man einst aufs Parkett klebte, um Wohnungen in sterile Unterbringungszellen zu verwandeln, in denen die moderne Existenz aus Arbeit, Fernsehen und Fertignahrung ihren erbärmlichen Nährboden fand. Selbst dort, wo sich das Leben noch wehrt oder wenigstens zu schlummern versucht, ragen die Boten des zivilisatorischen Kollapses schon am Horizont oder werden in die Hinterhöfe geklotzt.
Dann fragt man sich verzweifelt: Wie konnte das geschehen? Wer kann das wollen? Haben wir nicht Vertreter entsandt in Bezirks- und Stadträte, Land- und Bundestage, damit sie verhindern, was da passiert? Wieso schreitet die Vernichtung unserer Lebenswelt nicht nur ungebremst voran, sondern beschleunigt sich auch noch unaufhaltsam, als wollte sie den totalen Zusammenbruch, in dem sie zwangsläufig enden wird, so schnell wie möglich herbeiführen?
Haben wir nicht seit fünfzig Jahren – seitdem uns klar ist, wo der Krebs der Profitmaximierung, der hemmungslosen Ausbeutung der Welt, hinführt – Widerstandsgruppen, Bürgerinitiativen und sogar eine ganze „grüne Partei“ gegründet, damit das ein für allemal aufhört?
Ja, haben wir. Allerdings haben wir die Rechnung ohne den „Wirt“ gemacht, der in diesem Fall der vielbeschworene „Erreger“ ist, der sich ins Gewebe des Wirts (in diesem Fall der Stadt) hineinsetzt, es infiziert und zerstört und damit am Ende auch seine eigene Auslöschung herbeiführt, was ihm aber wurst ist, weil er dann einfach woanders weitermacht.
Aber was ist denn nun mit denen, die das verhindern könnten und sollten, ja: auch im eigenen Interesse müßten? Die wir damit beauftragt und eigens dafür gewählt haben?
Um das zu erklären, bedarf es einer Verschwörungstheorie, die – das sei betont! – eine solche nur in dem Sinn ist, daß sie beschreibt, was tatsächlich passiert. Die Verschwörung selbst ist real, gegenwärtig und massiv, davon kann sich jeder überzeugen, notfalls mit einem einfachen Blick ins Internet. Die Verschwörer haben es nämlich offensichtlich gar nicht mehr nötig, etwas zu vertuschen, zu verbrämen oder auch nur zu beschönigen. Ihr Reichtum an Geld und Macht ist mittlerweile so unfaßbar ungeheuer, daß sie sich als eine Art Götter fühlen, für die die Gesetze der Natur nur insofern gelten, als sie sie selbst schreiben.
Da sind einmal die Bauspekulanten und Immobilienkonzerne. Was die wollen, ist klar: betonieren, so viel wie geht, überall. Das bringt Milliarden zu den Milliarden, über die sie schon verfügen.
Auf der anderen Seite stehen Politiker, die sich seit hundert Jahren von dem Irrglauben hypnotisieren lassen, der durch das Herbeilocken von Konzernen mit stetig steigendem Bedarf an Menschenmaterial entstandene Mangel an günstigem Wohnraum lasse sich dadurch beseitigen, daß man mehr Unterbringungsstätten schafft und noch mehr Konzerne herbeilockt. Und zweitens sei eine Stadt oder Region nicht räumlich begrenzt, sondern der darin verfügbare Raum beliebig und ins Unendliche erweiterbar. Was lange Zeit scheinbar stimmte: Mit jedem neuen Betongebirge verwandelte sich außenrum eine Landschaft in eine tote Wüste, die man ebenfalls bebauen bzw. (falls sie schon bebaut war) „verdichten“ konnte. Theoretisch kann man das weitertreiben, bis (zum Beispiel) ganz München ein einziger, hundert Meter hoher Betonklotz mit Zwei-Kubikmeter-Zellen für die Einzelwesen ist. Aber irgendwann ist Schluß, und wann Schluß ist, sollten die Politiker entscheiden und nicht die Profiteure, weil es denen eben wurst ist, wo ihr Wahn hinführt und endet.
Daß die Politiker im Sinne der Konzerne und Spekulanten entscheiden und nicht im Sinne der Bürger, Bewohner und Menschen, hat einen ganz simplen Grund: Macht.
Diese Macht schlägt sich in „Agenturen“ nieder, die einfädeln, steuern und zwingen, was geschieht. Und dabei kein Blatt vor den Mund nehmen – es kann ihnen ja, wie gesagt, vermeintlich nichts passieren.
Ein Beispiel: Ein von einem verurteilten Verbrecher mitgegründeter Baukonzern verschafft sich durch Korruption, Tricks und Mauscheleien das Eigentumsrecht an einem Areal im Münchner Norden. Da möchte er nun betonieren. Leider stehen dem allerlei Interessen entgegen: Bewohner müssen vertrieben, Tiere und Pflanzen ausgerottet werden, zudem schneidet das geplante Projekt der Stadt ihre Luftzufuhr ab, schädigt also die Gesundheit von hunderttausenden Menschen und bringt viele davon um. Und das sind nur einige der gravierendsten Folgen.
Das kann (eigentlich) niemand wollen, drum ist Propaganda und Überzeugungsarbeit nötig. Die Menschen müssen glauben, daß die Zerstörung ihrer (Um-)Welt nützlich ist, und die Politiker müssen die Zerstörung genehmigen.
Nun kommt die Agentur ins Spiel, die ihrem Kunden allerhand zusichert: Sie kann, trumpft sie auf: erstens „politische Regulierungsverfahren mitgestalten“ – sich also in vermeintlich demokratische Prozesse hineinmanövrieren, ohne in irgendeiner Form demokratisch gewählt oder ermächtigt zu sein, und deren Verlauf steuern oder wenigstens beeinflussen. Sie kann zweitens: „Anwohnerinteressen adäquat integrieren“ – das heißt, sie kann Gegenargumente und vitale Interessen der Betroffenen durch Propaganda, Schönfärberei, Rabulistik und die pure Macht der Macht mundtot machen und ausschalten, notfalls sogar die Opfer überzeugen, alles geschehe zu ihrem Besten. Falls das noch nicht hilft, diffamiert man sie als rücksichtslose „Besitzstandswahrer“ und ewiggestrige Fortschrittsbremsen und wiegelt die anderen gegen sie auf.
Sie kann drittens: „Genehmigungsverfahren beschleunigen“ – wo sie schon mal die ursprünglich demokratischen Prozesse zu Kommandoaktionen umfunktioniert und die Gegenstimmen zum Schweigen gebracht hat, muß sie nun nur noch ein paar amtliche Hindernisse, Hürden und Bedenkenträger aus dem Weg räumen, was erfahrungsgemäß mit ein bißchen monetärem Schmierstoff, Pressalien, „Pflege“ einschlägiger Kontakte und Abhängigkeiten sowie noch mehr Propaganda ein Leichtes ist.
Sie kann viertens: „Neue Technologien positiv vermitteln“ – das ist die einfachste Übung, weil sich der Mensch aufgrund seiner natürlichen Neugier mit einem anständigen Reklamebombardement für den dümmsten, schädlichsten Unfug gewinnen läßt; man denke an Atombomben, Drohnen, Lohnarbeit, private Rentenversicherungen und Corona-Impfungen. Die Reklame kann gar nicht blödsinnig genug sein, und sie kostet nichts außer Geld. Davon haben die Auftraggeber genug, um Zeitungen und Fernsehen „ins Boot zu holen“, damit sie die Kunde von der alternativlosen Betoniererei per Gebetsmühle in die Köpfe hämmern.
Sie kann fünftens: „Immobilienprojekte reibungslos realisieren“ – damit sind wir beim Kern der Sache, auf den alle anderen Strategien zulaufen. „Reibung“ nämlich ist nichts anderes als die beschriebene Mischung aus demokratischen Strukturen, Natur, Umwelt, Menschen mit ihren Lebensinteressen, Argumenten, Bedenken, Nöten und den notwendigen Bollwerken gegen die Vernichtung der Welt. Damit all das nicht mehr „reibt“ und Beton und Milliarden ungehindert fließen können, braucht es mächtige „Strategen“, die spezialisiert sind auf die „Positionierung von Unternehmen und Projekten sowie das aktive Management der relevanten Stakeholder aus Politik und Verwaltung, Markt und Wettbewerb, Medien, Wissenschaft und betroffener Öffentlichkeit“.
Diese schlagkräftigen „Strategen“ (zu deutsch: Kriegsplaner, Feldherren) stellen zunächst „den Gesprächsfaden zu staatlichen oder kommunalen Entscheidern her“, der freilich kein Faden ist, sondern ein Strick, mit dem man fesseln, knebeln und noch anderes kann. Ist das erledigt, „verleihen“ sie „Ihrem Anliegen gegenüber der Öffentlichkeit Nachdruck, moderieren zwischen den beteiligten Anspruchsgruppen und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Realisierung geplanter Vorhaben und zur Absicherung existierender Aktivitäten unserer Mandanten“. Man nennt das „eine fortlaufende operative Begleitung bei der Vertretung Ihrer strategischen Geschäftsinteressen“.
Wie gesagt: verheimlicht, vertuscht, verbrämt, beschönigt wird hier nichts. Es handelt sich um einen Krieg von Macht und Geld gegen die Menschen, die Natur und die Welt. Man könnte den ganzen Vorgang, der sich nicht nur in München „fortlaufend“, ständig und an allen Orten abspielt, als faschistisch bezeichnen, weil letztlich Staat und Gesellschaft korporatistisch nach den Prinzipien eines hierarchisch gegliederten, allein abstrakten Interessen dienendem Konzern organisiert, alle demokratischen Strukturen beseitigt und das betroffene Menschenmaterial mit Totalitätsanspruch auf Unterwerfung unter die Konzerninteressen zugerichtet werden soll.
Aber „faschistisch“ ist nur ein Begriff, ebenso wie „kriminell“ (was diese Vorgehensweise streng genommen wohl nicht oder nur in Teilbereichen der Korruption ist). Begriffe helfen nicht weiter, wenn es um alles, um vitale Notwendigkeiten, um Bedrohungen solchen Ausmaßes geht. Dann gilt es, Widerstand zu leisten.
Es gibt nämlich – das darf man im Dauergewitter der Propaganda nicht vergessen – für jedes Problem (mindestens) eine andere Lösung als die fatale Scheinlösung, die die Geldmacht uns aufdrängen möchte. Und manchmal gibt es bei näherem Hinschauen nicht mal die angeblichen Probleme. Sondern nur eines: die Geldmacht selbst.
Die Kolumne „Belästigungen“ erschien bis April 2020 alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN. Seitdem kann das Heft aufgrund der von Bundesregierung und bayerischer Staatsregierung verfügten „Maßnahmen“ nicht erscheinen, weil die Veranstaltungen, die darin angekündigt werden könnten, verboten sind. Daher gibt es die „Belästigungen“ bis auf weiteres nur hier (und auf der In-München-Seite).