(periphere Notate): Gewehre richten auf wen?

Zum 150. „Jubiläum“ der Pariser Kommune, anläßlich dessen hier und da Brechts „Resolution der Kommunarden“ zitiert wird:

Als „alter“ Linksradikaler empfinde ich seit dem Ende der jugendlichen Hau-drauf-Phase Unbehagen bei der Vorstellung des simplen Umdrehens der Kanonen und Gewehrläufe, weil mich eigentlich schon damals die Ahnung plagte, daß der Kern (Keim) des Problems darin liegen könnte, daß überhaupt irgendwer Gewehre (oder Speere oder symbolische Kanonen) auf irgendwen richtet. (Davon unberührt bleibt, daß es zumindest für den Moment der Not höchst vernünftig wäre, zu deren Linderung übermäßigen Besitz den Besitzenden wegzunehmen.)

Möglicherweise läuft letztlich alles auf das alte Problem der Skala zusammen: Daß man mit 83 Millionen Teilnehmern keine Demokratie veranstalten kann, darf als erwiesen gelten. Es bliebe herauszufinden, bis zu welcher Zahl ein gewaltfreies, verständigtes Zusammenleben und -wirken möglich ist. Vielleicht helfen uns da die Soziologen? —

Erinnerungsbild (2020):

Der „ungeschützte Kontakt“, der zur (tödlichen) Infektion führt, die sich dann zwingend „exponentiell“ ausbreitet, ist als Wahnidee der „Modellier-Experten“ eine Art Gipfelpunkt eines viel weiter zurückreichenden Wahns der Moderne, der sich vielleicht als massenpsychologische Folge der unaufhaltsam zunehmenden Überbevölkerung recht simpel erklären läßt: Was wuchert und uns in seinem Wuchern zu nahe kommt, erregt in seinem Widerspruch zum gefühlten Naturgesetz des Werdens und Vergehens eine Art von existenziellem Angstekel, der in Panik mündet. „Krankheit“ ist dann ebenso wie die natürlichen Wanderungen des Menschen auf dem Planeten nicht mehr Schicksal, sondern eine aus dem Fremden heran (herein) flutende Seuche/Invasion, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt. Notfalls muß man sich  in einem symbolischen Akt der gesellschaftlichen (und möglicherweise individuellen) Anorexie selbst ausdünnen, um das verlorene Gleichgewicht wiederzufinden.

„Wir sind immer noch zu viel draußen, und wir sind immer noch nicht streng genug wahrscheinlich mit uns selbst.“ (Anja Martini, NDR)

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