Belästigungen 02/2021: Wir wollen sein ein einig Volk von Geißlern!

In der momentan so virulenten Verteufelung von „Querdenkern“, „Maskenverweigerern“, „Impfgegnern“, „Coronaleugnern“ und anderen Abweichlern tritt der Urfehler der Aufklärung neu zutage: die Unterscheidung zwischen dem „Volk“ (das als Ideal erst noch richtig entstehen muß) und dem „Pöbel“ (der sich durch standhafte Verweigerung von Einsicht und Einordnung der Volkwerdung entzieht).

Mit einem anständigen Volk nämlich könnte man eine Demokratie inszenieren, mit dem Pöbel hingegen nicht, solange er sich weigert, durch Disziplin, Gehorsam, Reinlichkeit und Leistung Volk zu werden. Erst dann auch ist es denkbar, mit ihm und nicht mehr ausschließlich über ihn zu sprechen; erst dann kann er (gleich-)berechtigt am gesellschaftlichen (d. h. wirtschaftlichen) Prozeß mitwirken.

Bis dahin muß der Pöbel diszipliniert und gemaßregelt werden, weil sonst nichts weitergeht und alles in Trümmer fällt. Man muß ihn schimpfen und strafen, piesacken und mit allen Mitteln an der Entfaltung seiner pöbelüblichen Schädlichkeit hindern. Man darf nicht in die Versuchung geraten, ihm irgendwas erklären, erläutern oder verdeutlichen zu wollen, weil der Pöbel sowieso nichts kapiert und immer gleich den ganzen Arm will, wenn man ihm den kleinen Finger reicht. Außerdem dreht er in seiner Verschlagenheit alles um und wendet Großzügigkeit, Milde und Entgegenkommen gewohnheitsmäßig gegen den großzügig-milde Entgegenkommenden. Und schon hat man den gesellschaftlichen Salat: Anarchie und Zügellosigkeit.

Deswegen muß man den Pöbel an die Kandare nehmen, ins Joch spannen und mit einem dauerhaften Donnerwetter von Maßnahmen, Einschnitten, Reformen traktieren und mobilisieren. Sonst wird er frech und bequem, muckt auf und will am Ende noch sein Leben genießen, weil er meint, das sei ihm geschenkt und sein eigenes. Ist es nicht! muß man ihm einschärfen: Was immer du an Erleichterungen und Boni kriegst, gestehen wir dir zu, und zu fordern hast du gar nichts, sonst werden wir grimmig!

Früher gab es für solche Fälle einen Gott. Der grimmte gerne, und wenn er so richtig sauer wurde, dann wackelte die Hütte, walzten Krieg, Pest und Jammer durch die Lande, und manchmal regnete es gar Blut, Maikäfer und Frösche.

Heute ist für derlei die Staatsführung zuständig, die in einer illusionären Demokratie dazu da ist, die Rechte der Bürger zu garantieren und zu sichern, und die wir im Istzustand über ein selbstkastriertes Parlament akklamieren dürfen, damit sie uns eventuell (wenn wir brav sind) ein paar … na ja, nicht direkt Rechte, aber Gnaden gewährt.

Dazu gibt es „Masterplans“ von „Masterminds“, die von den „Masters“, die die Regierung aussuchen, küren und mit Aufträgen ausstatten, vorgeschickt werden, um zu beraten. Das liest sich dann etwa so:

„Standardmaßnahmen auf individueller Ebene wie Isolierung, Kontaktverfolgung und Überwachung sind (…) schnell (rechnerisch) überfordert (…). Multiskalige Populationsansätze, einschließlich der drastischen Beschneidung von Kontaktnetzwerken durch kollektive Grenzen und soziale Verhaltensänderungen sowie die Selbstüberwachung der Gemeinschaft, sind unerläßlich. Zusammengenommen führen diese Beobachtungen zu der Notwendigkeit eines vorsorglichen Ansatzes für aktuelle und potentielle Pandemieausbrüche, der die Einschränkung von Mobilitätsmustern (…) beinhalten muß (…). Es wird etwas kosten, die Mobilität kurzfristig einzuschränken, aber dies nicht zu tun, wird letztendlich alles kosten – wenn nicht von diesem Ereignis, dann von einem in der Zukunft.“[1]

Die „Masters“ selbst reagieren zunehmend ungehalten, wenn das Pöbel-Menschenmaterial, dem sie ihren himmlischen Reichtum abgeluchst und abgepreßt haben, nicht spurt: „Es ist schrecklich, dass wir immer noch Menschen bitten müssen, diese Opfer zu bringen!“ klagt Bill Gates.[2] Und da hat er recht! Wieso bringt der aufmüpfige Pöbel die Opfer nicht von selber?

Schließlich gibt es leuchtende historische Vorbilder. Zum Beispiel die Geißler oder Flagellanten: Die zogen ab dem Jahr 1260 in anschwellenden Rotten von Perugia aus durch die italischen Lande und peitschten, prügelten, schnitten, stachen, schlugen und knüppelten sich selbst, um den Zorn Gottes abzuwenden, der durch einen Engel angekündet hatte, die Stadt und wahrscheinlich die Welt zu vernichten, wenn nicht Buße getan werde (weil die Menschen, wie es hieß, „den Freitag und den Sonntag mißachteten“). Gegen Ende des Jahres erreichte der jaulende, johlende, blutende, Hymnen abgrölende Massenstrom die Alpen und ergoß sich weiterhin anschwellend in die Steiermark, Kärnten, Böhmen, Mähren, Ungarn, Bayern, Schlesien, Polen, Franken und Schwaben hinein. Und siehe da: Die Welt blieb unvernichtet – nach eineinhalb Jahren Maso-Karneval war #ZeroApocalypse erreicht!

Weil sich das „Hammer yourself and Dance“-Rezept als so erfolgreich erwiesen hatte, ging das vagabundierende Selbstgeißeln kaum achtzig Jahre später erneut los. Nunmehr nämlich grassierte die Pest, und da galt es, die Curve zu flatten und Europa zu retten. Diesmal wurden auch Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Frankreich, die Niederlande und England von den Umzügen erfaßt, bei denen man zum wirksamen Selbstgeißeln den Rücken entblößte und das Gesicht mit Kapuzen und Masken verschleierte, auf Strohballen nächtigte und Keuschheit gelobte. Nebenbei meuchelte und verbrannte man noch die jüdische Bevölkerung oder ersäufte sie in den Brunnen, deren Vergiftung man ihnen durch Vorläufer heutiger „PCR-Tests“ zweifelsfrei nachgewiesen hatte. In kaum vier Jahren ward der Schwarze Tod durch intensivste Selbstgeißelung niedergerungen und Gottes Zorn besänftigt. #ZeroPlague!

Und heute? Heute sind wir so verweichlicht, daß wir keinerlei Opfer mehr bringen möchten! Heute lassen wir uns von zwielichtigen Wissenschaftlern einreden, der „Lockdown“ sei ebenso wirkungslos wie dazumal die rituelle Selbstpeinigung! Dabei sind die Beweise doch eindeutig: Die Welt wurde 1261 nicht zerstört, die Pest 1353 besiegt, und ohne „Lockdown“ wären längst Milliarden Menschen dem satanischen Höllenkeim „Corona“ zum Opfer gefallen!

So kann das nicht weitergehen. So wird aus dem Pöbel nie ein mündiges Volk, und so müssen wir uns auch nicht wundern, wenn die „Masters“ zürnen, uns mit Verachtung strafen und die Regierungsführung die Zügel stetig straffer anzieht. Weil wir immer noch jammern über 50 Millionen „Lockdown“-Tote, eine Generation verstörter Kinder und zerstörter Biographien, kaputte Volkswirtschaften, Heerscharen von Depressiven, psychisch Zerrütteten, Suizide und mangels Versorgung Siechende, über unser asozial-isoliertes Dahinvegetieren, anstatt uns zusammenzureißen, den „Masters“ zu huldigen, ihnen unser elendes Dasein zum Opfer zu kredenzen und gemeinsam uns selbst züchtigend ins Licht der vierten industriellen Revolution zu streben.

Drum lasset uns beten: Wir wollen – nein: müssen wollen sein ein einig Volk von Geißlern, von leeren Gefäßen für den Willen und Wohlstand der „Masters“, in keiner Not uns wehren noch klagen, sondern uns hingeben für das Große Ganze der göttlichen Elite, das da sein muß immerdar.

Und dann harren wir eifrig der nächsten Pandemie, dem nächsten Krieg, dem nächsten Weltuntergang. Werden schon noch ein paar übrig sein, um sich auch dann zu opfern und das Unheil zu bannen.

[1] So äußerte sich der US-amerikanische Physiker Yaneer Bar-Yam von einem „ New England Complex Systems Institute* (NECSI), das u. a. von Weltbank, Dell, Air Force Office of Scientific Research (AFOSR), Boeing und Microsoft Research finanziert wird, bereits am 26. Januar 2020, als es weltweit 2.014 „Covid-19-Fälle“ gab, davon 1.985 in China. https://necsi.edu/systemic-risk-of-pandemic-via-novel-pathogens-coronavirus-a-note

[2] am 28. Januar 2021 in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung

Die Kolumne „Belästigungen“ erschien bis April 2020 alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN. Seitdem kann das Heft aufgrund der von Bundesregierung und bayerischer Staatsregierung verfügten „Maßnahmen“ nicht erscheinen, weil die Veranstaltungen, die darin angekündigt werden könnten, verboten sind. Daher gibt es die „Belästigungen“ bis auf weiteres nur hier (und auf der In-München-Seite).

Kommentar verfassen