Belästigungen 01/2021: Die ganze Welt in einem rasenden Zug (nächster Halt … ähem)

In einem Lieblingsfilm meiner Spätjugend gibt es eine Szene, die symbolisch für so ziemlich die gesamte Menschheitsgeschichte stehen könnte. Entscheidend ist dabei allerdings nicht (oder weniger) die Szene selbst als ihre Entwicklung: Da rast ein Zug ohne Lokführer quer durch die Vereinigten Staaten von Amerika auf den Hauptbahnhof von Chicago zu, der ebenso wie sein Münchner Kollege ein Kopfbahnhof ist, also keine Möglichkeit des schadlosen Hindurchrasens bietet.

Während der Zug dahinrast, gehen die Insassen ihren kriminellen, komödiantischen und romantischen Beschäftigungen nach, und die Außenwelt versucht in zunehmend hysterischer Überforderung (und selbstverständlich vergeblich), der absehbaren Katastrophe durch diverse … nun ja, sozusagen Reformen, Eingriffe und Stellschraubendrehereien Einhalt zu gebieten.

Am Ende donnert die Lokomotive tatsächlich ungebremst in den Bahnhof, der dabei ziemlich eindrucksvoll verwüstet wird. Kein Vergleich mit heutigen Katastrophenfilmen, freilich. Selbst der mittlerweile schon recht antiquierte Einsturz des Höllenschlunds mitsamt der darauf erbauten Stadt Sunnydale am Ende von „Buffy, the Vampire Slayer“ ist um Klassen monströser und apokalyptischer.

Aber der Bahnhofscrash hat eine Eigenart. Selbst wenn man den Film zum fünften Mal sieht, erwischt man sich bei dem Gedanken: Ach, das wird schon nicht … da wird schon noch irgendwer …, während man sich gleichzeitig das Rummsfinale noch viel schlimmer ausmalt, als es dann tatsächlich eintritt. Und dann geht zum fünften Mal alles so schnell und so zwangsläufig, daß man mit gesträubten Haaren zuschaut und im selben Moment in spontanen Blitzgedanken resümiert, was an welcher Stelle in welchem Augenblick getan hätte werden müssen – in dem klaren Wissen, daß das jetzt absolut nichts mehr hilft.

Da ist die Verbindung zur Menschheitsgeschichte. Man kann jedes beliebige scheinbar schicksalhafte Unheil heranziehen – meinetwegen den Dreißigjährigen Krieg oder die politische Karriere von Karl Lauterbach und Markus Söder – und weiß nach kurzer Beschäftigung mit den Einzelheiten, was an welcher Stelle dumm, falsch, idiotisch gelaufen ist und mit welch minimalen Eingriffen von Verstand, Vernunft und Gespür man den Wahnsinn verhindern hätte können.

Nun wäre es eitel, zu behaupten, die Menschen, die die Verwüstung von Rom oder den zweiten Weltkrieg nicht verhindert haben, obwohl es so leicht gewesen wäre, seien alle einfach blöd gewesen oder böse oder hätten es damals halt nicht besser gewußt. Wir wissen ja auch, wie zum Beispiel die ökologische Katastrophe, in der die menschliche Zivilisation demnächst untergehen wird, zu verhindern wäre. Und was tun wir? Wir feuern sie an, beschleunigen sie, so sehr es nur geht, als sehnten wir den alles umfassenden Zusammenbruch geradezu herbei. Als wollten wir ihn so schnell wie möglich hinter uns bringen.

Wir sparen uns den Hinweis, daß „wir“ in diesem und vielen anderen Zusammenhängen ein höchst problematischer Begriff ist, weil es freilich nur ein Zehntelprozent der humanen und humanoiden Erdbevölkerung ist, das den ganzen Wahnsinn befiehlt, steuert und vorantreibt. Zumal das die Sache noch absurder macht, weil die „übrigen“ zahlenmäßig, politisch und in jeder anderen Hinsicht allemal kräftig genug wären, um sich den paar Irren, die sich an ihre Spitze gesetzt haben, in den Weg zu stellen – sie bräuchten, um mal auf „unserer Seite“ zu bleiben, ja nur Klaus Schwab und sein „World Economic Forum“, Bill Gates, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg, die Führungsriegen von NATO, EU, BlackRock und Konsorten, ein paar EU-Strippenzieher, diverse Regierungskabinette, eine Handvoll Lobbyisten von Konzernen und Banken und noch ein paar so Influencer in die überreichlich verfügbaren Hochsicherheitsgefängnisse schmeißen, ihre Netzwerke und Vermögensbestände zerdröseln und die Börsen schließen, schon hätte der Spuk ein wahrscheinlich überraschend schnelles Ende.

Ich vermute, das widersinnige Phänomen könnte mit der Phantasie und dem Vorstellungsvermögen zu tun haben, mit denen der Mensch begabt ist. Was nämlich tun wir statt dessen? Wir imaginieren die wildesten Apokalypsen und Dystopien herbei, hauen uns unfaßbare Schreckensszenarien um die Ohren, ergötzen uns in gelähmter Begeisterung an Weltuntergangsfilmen und -romanzyklen, erstellen Modelle und statistische Berechnungen, gegen die der schlimmste Covid-19-Horrorkarneval von Neil Ferguson und Christian Drosten wie ein harmloser Aprilscherz wirkt.

Derweil schauen wir ohnmächtig zu, wie dieselben Mächtigen, die wir eigentlich unschädlich machen müßten, wie wildgewordene Zuckmücken in der Weltgeschichte herumdüsen und auf allen möglichen Tagungen und Konferenzen irgendwas vereinbaren und verlautbaren, das alles nur noch schlimmer macht.

Daran ist die Phantasie schuld: Wir haben den Untergang schon erlebt, erleben ihn per Fernsehserie, Computerspiel und Zeitungsartikel jeden Tag aufs neue, suhlen uns in genüßlichem Grusel und malen uns gleichzeitig in heroischen Bildern aus, wie demnächst Super-Greta „Holdrioh!“ kräht und im Handstreich die Welt rettet.

Auf einer anderen, vermeintlich etwas realeren Stufe huldigen wir den Hohepriestern der technischen Welterlösung und ihren Prophezeiungen. Wir bauen Abermillionen Elektroautos, Windräder, Solarmodule, produzieren Milliarden Plastiktüten aus Mais, schwadronieren von künstlichen Wolken, ausgetauschten Atmosphären, Kartoffelanbau auf dem Mars, „Green New Deals“ und digitalen „Lösungen“ für alles und jedes, obwohl wir in der ausgeblendeten Abteilung unseres Gehirns (dem Verstand) genau wissen, daß auch dieser Circus alles nur noch schlimmer macht und sowieso demnächst genauso zusammenkracht wie der Rest des Wahnkonstrukts.

Und dann gibt es noch die dritte Stufe: die wirkliche Wirklichkeit. In der irren wir als Einzelwürstchen herum, schleppen jeden Tag mehr Plastikmüll zum Container, messen per App unsere Körperleistung und unseren individuellen „Klima-Fußabdruck“, verschlingen vegane Burger von internationalen Milliardenkonzernen, posten bunte Nachhaltigkeits-Memes auf Insta und Twitter und wissen ganz genau, wie lächerlich, sinnlos und idiotisch das alles ist. Bewußt wird uns das allerdings nur in den seltenen Sekunden, wenn zwischendurch mal die Projektionen, Manipulationen und Visionen, das Gebimse von Propaganda, Reklame und Unterhaltung aus technischen Gründen kurz schweigen oder wir uns aus Unachtsamkeit ihrer Reichweite entzogen haben.

Und die ganze Zeit wissen wir, wie gesagt, ganz genau, was zu tun wäre. Das wäre aber zu simpel, zu phantasielos, zu unpathetisch. So wie wenn die Wohnung unter Wasser steht und man einfach den Haupthahn zudreht, statt eine multilaterale Kommission oder eine weltumspannende NGO zu gründen und per „Campact“-Kampagne Unterstützer zu sammeln, um uns am Ende unter der wehenden Fahne im Sonnenuntergang zu küssen.

Vor allem wäre es zu viel verlangt von einem Einzelwürstchen, das ja doch nichts tun kann und deshalb lieber weiter mitrödelt, um nicht noch mehr soziale Nachteile zu erleiden.

Und derweil rast der Zug weiter, und irgend jemand wird dann schon …

Die Kolumne „Belästigungen“ erschien bis April 2020 alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN. Seitdem kann das Heft aufgrund der von Bundesregierung und bayerischer Staatsregierung verfügten „Maßnahmen“ nicht erscheinen, weil die Veranstaltungen, die darin angekündigt werden könnten, verboten sind. Daher gibt es die Kolumne bis auf weiteres nur hier (und auf der In-München-Seite).

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