Belästigungen 14/2020: Das Grundgesetz in der Fleischfabrik (und andere wirre Meldungen aus einem wirren Sommer)

Die Geschehnisse, die in diesem Sommer so geschehen, sind überwiegend seltsam.

Es gibt, so höre ich, jetzt Demonstrationen für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, wo Menschen für das Grundgesetz demonstrieren, denen das Grundgesetz vor kurzem noch schnurz war, weil sie die Bundesrepublik Deutschland für eine GmbH ohne gültige Verfassung halten und neulich noch deren sofortige Insolvenz und Umwandlung in ein Reichsbürgertum forderten. Solche Dinge erfährt man aus Medien, die diese Demonstranten samt und sonders peinlich genau befragt haben und daher zu vermelden wissen, es handle sich bei ihnen ausnahmslos um „verschwörungsideologische Impfgegner“, was das momentan gängige Synonym für Kasperl Larifari ist, allerdings die gefährliche Variante, die auch noch homöopathische Globuli schluckt und hinterher die AfD wählt.

Im Biergarten ist das Pfand – in den letzten Jahren von solcher Bedeutung, daß nur ganz angestammte Stammgäste stillschweigend davon befreit waren (man erkannte sie wohl an den beschlagenen, weil gekühlten Krügen) – ebenso problemlos wieder abgeschafft worden wie im allgemeinen das Vermummungsverbot, das so übergangslos dem Vermummungszwang wich, daß man an die Menschen gar nicht denkt, die zuvor Arbeitstage damit verbracht haben müssen, die Bilder von Überwachungskameras auf öffentlichen Plätzen und an besonders (wodurch?) gefährdeten Plätzen zu studieren. Was tun die jetzt?

Andererseits spricht außer den in der öffentlichen Darstellung neuerdings an die Stelle des Kasperl Larifari getretenen Leuten niemand in ganz Deutschland über das Grundgesetz, schon gar nicht über so schulstoffrelevante Phänomene wie die Gewaltenteilung, hinter der der Durchschnittsdeutsche irgendwas mit Feuerwehr, Polizei und Bundeswehr vermutet. Nein, man spricht statt dessen über Kranke und Sterbende, die in Wirklichkeit wahrscheinlich nicht mal „Neuinfizierte“ sind, sondern lediglich Leute, die auf einen einigermaßen wackeligen Test positiv reagiert haben und von denen es angeblich immer mehr gibt, weil immer mehr Leute dem wackeligen Test unterzogen werden. Sucht dann jemand nach einem echten Infizierten oder gar Kranken – etwa die Pharmaindustrie, die solche Fälle für ihre Impfstofftestungen braucht, oder die „Arbeitsgruppe Influenza“ am Robert-Koch-Institut, das eine Statistik führen soll –, findet er keinen. In Italien, so hört man, findet man nicht einmal mehr Tote, sondern nur Lastwagenfahrer, die bezeugen, die LKWs, die Hekatomben selbiger Toter mangels Krematorien gelagert und in der Gegend herumgefahren hätten, seien leer gewesen.

Die bayerische Staatsregierung („der Freistaat“) möchte derweil, so liest man im Biergarten im amtlichen Vermeldungsblatt der Transatlantiker, „mit dem Ausbau der Prüfkapazitäten die Pandemie weiter eindämmen“[1] – wo doch inzwischen jeder Kindergartenbamsler weiß, daß man durch noch mehr Tests noch mehr „Positive“, aber trotzdem keine Seuche finden wird. Weil diese renitenten „Positiven“ halt einfach nicht krank werden wollen, wenn sie es nicht sowieso schon sind. Zwei Tage darauf weist eine Kleinstmeldung im „Münchner Merkur“ darauf hin, daß das Interesse an den Tests verschwindend gering sei.

Andererseits stirbt in Hollywood ein Star an – nein, „nach einer Corona-Infektion“, die laut „Welt“[2] damit begann, daß er am 30. März „eine Reihe von kleinen Schlaganfällen, Blutgerinnseln und septischen Infektionen erlitten, einen Luftröhrenschnitt und zeitweise einen Herzschrittmacher bekommen“ hatte. „Sein rechtes Bein mußte amputiert werden. Eine Lungentransplantation wurde erwogen.“ Wer ab und zu einen Blick in die aktuelle offizielle Liste der „Corona-Symptome“ wirft, dem wird schwindlig. Falls er noch ein Hirn hat, fragt er sich, für was es bei dem armen Mann auch noch einen Husten gebraucht hat. Auf den ersten Fall zu warten, bei dem jemand „infolge einer Corona-Infektion“ an Haarausfall erkrankt oder mit dem Hubschrauber in einen Vulkan stürzt, wäre sicherlich pietätlos.

Im Biergarten muß man jetzt „einchecken“. Das heißt: Man kritzelt entweder irgendeinen Namen und irgendeine Nummer auf einen Zettel, der irgendwo landet, oder man benutzt die entsprechende App. Diese wiederum meldet mir, ich sei für (oder seit?) 64 Stunden und 40 Minuten eingecheckt. Was mir erst einige Zeit später am Tisch als ziemlich abstrus auffällt. Da aber, beim Nachschauen, bin ich plötzlich ausgecheckt. Wieso ist mir das, während ich noch zwei Stunden da sitze, ein kleines bißchen peinlich, und wem gegenüber?

Andererseits höre ich von einer Freundin, die samt Familie zwei Wochen lang das Haus nicht mehr verlassen darf, weil eine Tante so ungeschickt war, mit einer schweren Erkältung zum Arzt zu gehen, und dort sofort dem wackeligen Test unterzogen wurde. Immerhin darf nun das Robert-Koch-Institut möglicherweise den ersten echten SARS-Cov-2-Fall in Deutschland seit dem 10. April vermelden. Allerdings nur, wenn sich in der eingeschickten Probe tatsächlich SARS-Cov-2-Viren finden, was bei den positiven Ergebnissen des wackeligen Tests wohl nur äußerst selten passiert und seit dem 10. April eben gar nicht mehr passiert ist.

Im Biergarten sitzt ein Mann mittleren Alters allein am Tisch, hält etwas Eßbares in der Hand, liest etwas und achtet nicht auf seinen Hund, der eifrig versucht, seine Aufmerksamkeit zu erringen, weil er haben möchte, was der Mann in der Hand hält. Eine voluminöse Frau mittleren Alters nähert sich, mehr oder weniger gezogen von ihrem angeleinten Hund, und fragt, ob sich die Hunde kurz kennenlernen dürfen. Der Mann nickt; die Frau verhindert das Kennenlernen, indem sie ihren Hund mit der Leine etwa vier Zentimeter von dem anderen Hund entfernt hält, was beide Hunde offensichtlich als sehr unbefriedigend empfinden. Es entwickelt sich, während die Frau am Tisch steht, ein kurzes Gespräch über die Hunde, vorangetrieben durch die Frau, die nach Alter und Namen fragt und ihrerseits ungefragt Auskunft gibt. Etwa dreißig Meter entfernt erhebt sich ein älterer Mann mit weißem Hemd von seinem Tisch und nähert sich, hält drei Meter von der Frau entfernt inne und ruft: wenn sie stehenbleiben wolle, müsse sie eine Maske aufsetzen, ansonsten solle sie sofort Platz nehmen oder sich entfernen. Er verzieht sich eilends; die Frau verharrt kurz, schweigend, geht dann ebenfalls, grußlos.

Andererseits hört man von mehr als eintausend Menschen, die in einer Fleischfabrik arbeiten müssen und bei denen der wackelige Test positiv ausgefallen sei. Daß die Fleischfabrik einem (inzwischen zurückgetretenen) Fußballmanager gehört und ein anderer Fußballmanager Millionen mit der Produktion eines Impfstoffs gegen den in der Fleischfabrik angeblich virulenten Virus verdienen möchte, ist sicherlich reiner Zufall. Daß der wackelige Test auch auf Viren positiv reagiert, die ihr Wesen hauptsächlich in Tieren treiben und den Menschen höchstens zufällig und ohne große Folgen bespringen, ist hingegen eher kein Zufall, sondern Pech. Immerhin drohte die zuständige Landesregierung nach dem Vorfall an, in Zukunft im Umgang mit der Fleischfabrik Recht und Gesetz walten zu lassen. Daß sie das bislang nicht getan hat und die erbärmliche Lage der Menschen, die dort ausgebeutet werden, bislang auch niemanden interessiert hat, ist sicher kein Zufall. Der Deutsche mag eben sein Fleisch, und wenn ihn schon das arme Tier, dem es von den Knochen geschnitten wird, nicht interessiert, wieso sollte ihn dann der arme Kerl interessieren, der das Fleisch von den Knochen schneidet? (Einige Tage später: sind die positiv Getesteten wieder aus der Statistik verschwunden.)

Andererseits läuft in unserem Land, wo es ebenfalls Fleischfabriken gibt, in denen man mit dem wackeligen Test einen ordentlichen Aufruhr verursachen könnte, ein Ministerpräsident herum, der als Hypochonder bekannt ist und Bayern hin und wieder öffentlich für ein Kulturland hält oder vielmehr hielt. Der will sein Volk vor Krankheit schützen, nimmt von seinem Schutz die Ausbeutungsarbeit jedoch ausdrücklich aus, weil sie schließlich wichtiger ist als die krankeste Krankheit. Andererseits verbietet er sämtlichen kulturell Tätigen seit Monaten ihre Arbeit, weigert sich aber, die von ihm wider besseres Wissen und ohne jede Notwendigkeit in die Armut Getriebenen angemessen zu entschädigen, obwohl er dies vor ein paar Monaten vollmundig versprach und die Medien es brav vermeldeten. Daß das Geld, das der Kultur fehlt, nun statt dessen in die Kassen von Lufthansa, Amazon, Facebook, Tesla, Zoom und Curevac fließt, werden diese dem Hypochonder wahrscheinlich nicht vergessen, wenn er nach gescheiterter Kanzlerkandidatur eine neue „Funktion“ braucht.

Im Biergarten fällt mir beim müßigen Herumscrollen in Facebook auf, daß niemand mehr das Wort „Verschwörungstheorie“ verwenden mag – auch nicht in den kurzzeitig aufgeflammten Eskalationsstufen „Verschwörungsideologien“ und „Verschwörungsmythen“ – außer ein paar Tapferen, die emsig Fakten und Hinweise zusammenklauben, vor einer Woche noch als „Verschwörungstheoretiker“ bloßgestellt wurden und den Begriff nun ironisch einsetzen: Wieder habe sich eine „Verschwörungstheorie“ als wahr erwiesen, vermelden sie, und die eben noch hysterisch geifernden Angehörigen der Panik- und Gehorsamsfraktion schweigen so auffällig, daß man fast vermuten möchte, ihre vielfach dokumentierten Rezitationen von Parolen wie „Das kostet Menschenleben!“ seien ihnen nun ein wenig peinlich. Ich frage mich, ob die für das Einhegen und Ersticken von „Fake News“ Zuständigen wohl demnächst dazu übergehen werden, derartige Sprüche in den Chroniken aus Fürsorge (oder anderen Motiven?) stillschweigend zu löschen, als wären sie nie dagewesen.

An den Nebentischen fällt in den gestelzten, gestellten Gesprächen immer wieder eine Bemerkung wie „Und dann kam Corona!“, aber die Frage, ob diese Leute aus dem zweiten Weltkrieg, der ja auch einfach so „kam“, nichts gelernt haben, erübrigt sich, weil sie ihn ja nicht erlebt und nur gelernt haben, daß man ihn mit nichts vergleichen darf.

Zwischendurch erreicht mich beim weiteren Scrollen eine Reklame der WHO, die empfiehlt, bei schönem Wetter nicht in die Öffentlichkeit zu gehen, sondern in der dunklen Wohnung zu verharren. Ich melde die Anzeige bei den Facebook-Instanzen als „Falschmeldung“. Es geschieht: nichts.

 

[1] Süddeutsche Zeitung vom 29. Juni 2020: „Corona-Tests für alle in Bayern“

[2] Bericht vom 6. Juli 2020: „Broadway-Star stirbt nach Martyrium mit 41 Jahren an Corona-Virus“; der Name des Stars war Nick Cordero.

 

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint normalerweise alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN. Derzeit kann das Heft nicht erscheinen, weil alle Veranstaltungen, die darin angekündigt werden könnten, aufgrund der Coronapanik abgesagt wurden. Daher gibt es die Kolumne vorübergehend nur hier (und auf der In-München-Seite).

 

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