Belästigungen 12/2020: Demodies, Demodas, Demodideldumdidei … (ein Text, der ohne diese Vorsilbe halb so lang wäre)

In letzter Zeit reden wir so viel über Demokratie, daß mir ganz schwindlig wird. Plötzlich ist alles „Demokratie“ und Demokratie alles, hallo?! Das Seltsame daran ist: Plötzlich ist alles mögliche nicht mehr „Demokratie“. Zum Beispiel Trump: Der ist ganz bestimmt nicht Demokratie, right? Boris Johnson? Null demokratisch! Gewählt worden sind beide zwar irgendwie streng genommen demokratisch, aber ein „Demokrat“ sind sie nicht, right? Weil sie ja undemokratisch sind, right?

Das gleiche mit Putin, und fange niemand mit dem Iran an: alles nicht „demokratisch“, zwar irgendwie demokratisch, mit Wahlen und Parlament und so, aber nein. Und jetzt kommt auch noch die AfD daher und läßt sich demokratisch wählen, ist aber undemokratisch, right? Hingegen Friedrich „Blackrock“ Merz ist freilich demokratisch, wenn auch nicht gewählt oder noch nicht oder irgendwie so. Und sowieso gilt für den wahrscheinlich das Diktum des Demokranten Seehofer: „Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt, und diejenigen, die gewählt werden, haben nichts zu entscheiden.“

Vielleicht haben wir ein Wahrnehmungsproblem. Vielleicht haben sich da ein paar Kategorien verschoben. Vielleicht hat sich insgesamt was verschoben. Daß die sogenannte repräsentative Demokratie ein Riesenfake ist, wissen wir spätestens seit Johannes Agnoli. Drum waren wir früher, als noch alles Demokratie war, irgendwie immer dagegen, gegen diese sogenannte Demokratie. Wir wollten lieber eine echte, zumindest eine echtere Demokratie. Hat aber nichts geholfen, gekriegt haben wir trotzdem weiterhin nur die repräsentative Pseudodemokratie, über die wir irgendwann sogar froh sein mußten. Zum Beispiel als der Strauß drohte, den damals noch etwas mehr gefiederten, weil noch nicht so dauerhaft gerupften komischen Vogel in der Geschichte der deutschen Herrschaftssysteme mit dem eisernen Besen hinauszufegen.

Und dann, einige Zeit nach dem Strauß, war ja sowieso wieder Krieg, und wenn Krieg ist, streitet man nicht über solche Kinkerlitzchen. Sondern da steht man zusammen, weil sonst der Feind, den man angegriffen hat, sich ins Fäustchen lacht. Dumm, daß Deutschland seit 1999 Krieg führen muß, also schon so lange wie seit 1648 nicht mehr. Und damals gab es noch gar kein Deutschland und sowieso keine Demokratie, sondern da flog den ehedem gemütlichen deutschen Kleinstaaten gerade ihre Lehnsordnung um die Ohren. Wegen einer Religion übrigens, die zumindest als Vorwand diente und nicht Islam hieß.

Und jetzt auf einmal, nach einundzwanzig Jahren Krieg, ist diese repräsentative Demokratie total wertvoll und muß geschützt werden. Das finden sogar und zuvorderst die sogenannten „Grünen“, die sich einst in die Parlamente wählen ließen, um eine richtige Demokratie herbeizuführen, inzwischen aber lieber noch viel mehr Krieg führen möchten, am liebsten gleich gegen Rußland, weil da noch eine Rechnung offen ist.

Geschützt werden muß diese Demokratie vor den Gegnern der Demokratie. Die dummerweise daran teilnehmen, indem sie sich wählen lassen und gewählt werden. Das kennt man vom Hitler: Der hat sich und seine Banditen ja auch erst ganz demokratisch in die Parlamente hineinwählen lassen und dann den Scherbenhaufen von Rudimentärdemokratie, den seine Vorgänger hinterlassen hatten, mit einem Vorläufer des Straußschen Besens hinausgefegt.

Diese Gefahr droht in der Demokratie immer, weil sie gewissermaßen eingebaut ist. Also müssen wir die Demokratie umbauen: In Zukunft gilt sie nur noch für „Demokraten“, also für die AfD zum Beispiel nicht. Und für die Linkspartei auch nicht, plärren die „Demokraten“ von der anderen Seite. Und für esoterische Hippies, die derzeit gerne auf Marktplätzen stehen und zu spirituellem Kauderwelsch bunte „Frieden“-Fahnen schwenken, gilt sie auch nicht. Vielleicht auch nicht für die Schwarzhemden von der ganz anderen Seite, die dagegen „aufstehen“ und ihre eigenen, schwarzroten Fahnen so intensiv schwenken, daß sie die bunten Fahnen für Reichskriegsfahnen halten.

Gesamtchoral: Wir wollen unsere Demokratie wiederhaben, in der es nur Demokraten gibt, also CDU/CSU, SPD, FDP und notfalls die Grünen! Und plötzlich ist die Demokratie keine Demokratie mehr, zumindest in Gegenden, wo zwanzig Prozent die Linken, zwanzig Prozent die AfD und vierzig Prozent gar nicht wählen. Da haben wir dann eine Demokratie von ein paar zuvor in Zentralen ausgewählten Pappkameraden, die bestimmen wollen, was passiert, obwohl sie kaum einer gewählt hat. Und die alle das gleiche wollen: Demokratie! ohne Undemokraten! Daß sie selber eine winzige Minderheit sind, die sich herausnimmt, die Geschicke der Gesamtheit zu bestimmen, ist … na ja, total „demokratisch“.

Ja hm. Ich verstehe das alles nicht mehr so ganz. Selbstverständlich weiß ich, daß Teile gewisser Parteien (AfD, CSU, CDU, FDP, NPD; nennen wir aus historischen Gründen noch ihre Vorgänger- und Schwesterorganisationen BHE, DRP, SRP, DVU, Republikaner, Stattpartei, DSU, FAP und was weiß ich) alles andere als „demokratisch“ sind. Oder sagen wir: Sie sind alles andere als freundlich, versöhnlich, friedlich, tolerant und auf einen Ausgleich zwischen gesellschaftlichen Gegensätzen aus (die übrigens immer auf arm und reich zurückgehen, was man, wenn man es großschreibt, leicht halbfalsch und halbrichtig verstehen kann).

Übrigens waren die (Teile gewisser Parteien) das noch nie. Daß in Bayern seit über 60 Jahren die CSU überwiegend mit absoluter Mehrheit herrscht, verdankt sie einer richtigen Nazipartei, dem „Bund der Heimatlosen und Entrechteten“, der ab 1950 mit Wahlergebnissen zwischen 5 und 32 Prozent in die Parlamente einzog, dort dafür sorgte, daß die alten Kameraden straffrei ausgingen, sogar noch Entschädigungen in Milliardenhöhe in den Hintern geschoben bekamen und stracks wieder die Führungsposten in Justiz, Industrie und Medien besetzten, die man ihnen im Mai 1945 schändlicherweise entrissen hatte. Als das erledigt war, hatte der BHE nicht mehr viel zu tun, und seine Mitglieder, die statt im Gefängnis nun an den politischen Schaltstellen saßen, schlüpften karrierebewußt bei CSU, CDU, FDP und teilweise sogar der SPD unter. Und wurden „Demokraten“.

Demokraten wurden sie nicht, wurden auch ihre Nachfolger in den C- und F-Parteien nicht, sowieso nicht in noch weiter draußen rechts herumwesenden Gruppierungen. Aber eine Demokratie, die von vornherein erklärt, daß ein Teil von ihr keine Demokratie, sondern eine Undemokratie ist, wie will die eine Demokratie sein? Als notgedrungen vorübergehende Undemokratie, bis die Undemokraten sich wieder besonnen haben oder verschwunden sind?

Oder ist dies das neue Motto: Wir müssen die Gesellschaft spalten! und zwar in die, die die Gesellschaft spalten wollen, und die, die sie nicht spalten wollen! Dann nehmen wir den abgespaltenen Teil der Gesellschaft, der die Gesellschaft spalten will, und werfen ihn … nun gut, das geht nicht, weil es einen Müllhaufen für abgespaltene Gesellschaftsteile nicht gibt und unsere europäischen Nachbarn und erst recht noch fernere Unbeteiligte sich bedanken täten, wenn wir ihnen so was auch noch aufhalsen. Aber zumindest spalten wir diesen Teil so gründlich ab, daß wir ihm ein für allemal deutlich sagen und zeigen können: Wir wollen euch nicht!

Oder überlegen wir uns das alles vielleicht mal wieder ein bisserl grundsätzlicher oder am besten gleich ganz grundsätzlich? Fragen wir mal wieder, wieso wir dauernd über Sachen nachdenken sollen, die uns gar nichts angehen, während über das, was uns angeht, wir nicht mal informiert werden und andere entscheiden, die wir nicht kennen? Fragen wir, ob eine Demokratie ab einer gewissen Anzahl von Beteiligten überhaupt noch eine solche sein kann, wenn gleichzeitig automatisch die Mechanismen von Reklame, Propaganda, Führerkult und Massenwahn zu rattern beginnen?

Könnten wir. Dazu müssen wir uns wohl geistig erst mal ziemlich nackt ausziehen. Aber nachdem man das körperlich in diesem Sommer bislang kaum kann, könnte das ganz amüsant sein; etwas innere Sonnenbräune schadet nicht. Außerdem haben wir ja Zeit, solange das Zeug, mit dem wir uns offiziellerseits beschäftigen sollen, weiterhin so langweilig bleibt.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint normalerweise alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN. Derzeit kann das Heft nicht erscheinen, weil alle Veranstaltungen, die darin angekündigt werden könnten, aufgrund der Coronapanik abgesagt wurden. Daher gibt es die Kolumne vorübergehend nur hier (und auf der In-München-Seite).

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