The Monkees: Das anarchistische Marionettentheater

Die Beatles waren an allem schuld: Ihr kometenhafter Erfolg und vor allem Richard Lesters Film „A Hard Day’s Night“ brachten die Hirne der US-amerikanischen Musik- und Filmindustrie zum Rattern. Daß sich dann ausgerechnet die Durchgeknalltesten davon sammelten, war Zufall und führte zur vielleicht irrsten, wirrsten, genialischsten und schrägsten Geschichte, die die Popwelt je erlebt hat. Bob Rafelson, ehemaliger Trommler einer mexikanischen Jazzband, und Bert Schneider, Sohn des Präsidenten der mächtigen Filmfirma Columbia Pictures, waren von Lesters chaotischer Beatkomödie so angetörnt, daß sie ihre lukrativen Jobs im Filmgeschäft hinwarfen und Raybert Productions gründeten – mit dem einzigen Ziel, eine TV-Serie um eine Band zu produzieren, die anders als alles andere sein sollte: „eine New-Wave-Show, total far out“, wie Schneider erklärte.

Das Personal, das die – gelinde gesagt – ungewöhnlichen Castings (Frage: „Stell dir vor, du bist auf dem Mars. Wo würdest du einen Hamburger essen gehen?“) überstand, war ein Garant für Unkonventionalität: Micky Dolenz (21), Ex-TV-Kinderstar (in der Serie „Circus Boy“), der bei der Band The Missing Links schon mal ein bißchen Gitarre gespielt und zuletzt Architektur studiert hatte, bekam die Rolle, indem er Schneider und Rafelson half, einen Turm aus Gläsern, Pappbechern und Flaschen zu bauen. Peter Halsten Thorkelson alias Tork (22), zu aufgeregt, um irgendwas zu sagen, wurde erwählt, weil er aussah wie Harpo Marx. Tork hatte zuletzt als Penner in Greenwich Village ein bißchen Geld verdient, indem er in Cafés den Hut rumgehen ließ. Schon so was wie ein Teenageridol war Davy Jones (20), der die beiden Tycoons mit unverschämten Fragen in breitem nordenglischen Akzent überzeugte. Mike Nesmith (25) schließlich wählten sie aus, weil er zwar verheiratet und Vater war, aber als einziger der vier eine nennenswerte musikalische Reputation vorweisen konnte: Er hatte (unter dem Pseudonym Michael Blessing) mit Linda Ronstadt und späteren Mitgliedern der Byrds und Eagles gespielt und war zu den Auditions nur gegangen, weil ihn sein Kumpel Stephen Stills (der wegen seiner schlechten Zähne abgelehnt worden war) zum Spaß hingeschickt hatte.

Nach einer seltsamen Art von Schauspielunterricht, in dem die vier sich stundenlang in Zeitlupe bewegen und so tun mußten, als wären sie Krabben, Teekessel und Giraffen, und einer im November 1965 produzierten Pilotfolge (die nie im Fernsehen ausgestrahlt wurde) begannen am 7. Juni 1966 die Dreharbeiten zu „The Monkees“. Die ersten Ergebnisse waren frappierend: Kameras liefen ohne Regisseur, Darsteller unterhielten sich mit Personen hinter der Kamera, Filme wurden unter- oder überentwickelt, umgedreht, liefen rückwärts, die Szenerie verlagerte sich binnen Sekunden von Palm Beach in die Sahara. „Sie ließen uns Szenen so lange spielen, bis sie perfekt waren“, erinnerte sich Dolenz später. „Dann nahmen sie die Outtakes.“

Die benebelte Mittsechziger-Filmindustrie war begeistert und drehte den Geldhahn auf. Keinen Tag zu früh: Dolenz war inzwischen arbeitslos, Tork Tellerwäscher, und Nesmith stand auf der Straße, nachdem sein Bauwagen beschlagnahmt worden war.

Der sowieso nur halbherzige Versuch, die Monkees ihre Musik selbst schreiben zu lassen, erwies sich als fröhliches Desaster: „Das klang so richtig nach Garagenband“, meint Nesmith. Der als musikalischer Direktor hinzugezogene Don Kirshner brachte ein schillerndes Team von Komponisten, Arrangeuren und Produzenten (von denen der erste nach sechs Stunden an der „Verrücktheit“ der vier Hauptdarsteller scheiterte) zusammen, sorgte für renommierte Studiomusiker, und nun brach die Hysterie los: Angeheizt durch eine gigantische Werbekampagne, waren die Monkees Ende September 1966 unter Amerikas Teenagern das neue Ding.

Die TV-Serie, wohl doch ein bißchen zu unorthodox und verrückt, wurde allerdings nie ein solcher Renner wie die Musik: Das erste Album, eine quirlige Sammlung von Beatknallern, ausgeflippten Experimenten und Teenieromantik, führte 15 Wochen lang die US-Charts an und wurde erst vom Nachfolger „More Of The Monkees“ von der Spitze vertrieben, der sich wiederum 18 Wochen ganz oben hielt. Dieser Nachfolger führte zu ersten Unstimmigkeiten: „Wir waren auf Tour, als das Album erschien“, erzählt Tork. „Niemand hatte uns was gesagt; wir mußten die Platte im Laden kaufen, um sie zu hören!“ Die Folge war eine Sensation: Mit angedrohten Vertragsbrüchen und Prügeln wegen der nicht autorisierten Single „Valleri“ (laut Mike Nesmith „der schlechteste Song aller Zeiten“) schafften es die Monkees, nicht etwa selbst rauszufliegen, sondern den Supermagnaten Kirshner abzuservieren und die Single zurückzuziehen.

Ein erster Versuch, die Zügel des Projekts selbst in die Hand zu nehmen, war kurz zuvor gescheitert: Die Jimi Hendrix Experience, auf Betreiben der Monkees ins Vorprogramm ihrer ersten US-Tournee gebucht, schied nach einigen Gigs wieder aus, und Hendrix mußte bis Monterey auf seinen Durchbruch warten. Die LP „Headquarters“ war die Antwort der vier auf die Vorwürfe, sie seien nur Marionetten, die nicht mal eine Gitarre halten können: Nach intensivem Proben spielten die Monkees auf dem Album tatsächlich (fast) alles selbst, was nicht nur zu Evergreens wie „Shades Of Gray“ führte, sondern auch zu dem völlig entgleisten Versuch, eine Filmmelodie nachzuspielen („Band 6“), – und zu einem monumentalen Gemälde, weil Micky sich die Langeweile im Tonstudio damit vertrieb, die Trennscheibe zwischen Aufnahme- und Kontrollraum mit Ölfarben zu bemalen. „Headquarters“ hatte Pech und mußte sich nach einer Woche an der Chartsspitze elf weitere Wochen lang mit dem zweiten Platz hinter dem Beatles-Album „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ begnügen.

Der kollektive Enthusiasmus, in dem Davy Jones während eines Auftritts Tork zurief: „He, Mann, wir gründen eine Band!“ hielt nicht lange, steigerte aber das Selbstbewußtsein der vier enorm: Den penetranten Vorwürfen der seriösen Rockpresse, sie seien keine richtige Band, begegneten sie nun souveräner: „Wir waren natürlich nie eine Rockband“, sagte Nesmith rückblickend. „Wir waren Schauspieler, wir wußten, was los war, und hatten die Dinge trotzdem einigermaßen unter Kontrolle. Wer was anderes von uns erwartete, ist ein Blödmann.“

Die Aufnahmen zum nächsten Album beginnen im Mai 1967 (mit der Harry-Nilsson-Nummer „Cuddly Toy“, einer sehr gewagten Gangbang-Geschichte) noch gemeinsam, dann jedoch trennen sich mehr und mehr die Wege, und jedes der vier Mitglieder der zu dieser Zeit erfolgreichsten Band der Welt arbeitet für sich mit Freunden, Kollegen, Studiomusikern und hie und da einem oder zwei Mit-Monkees. Noch chaotischer werden die Produktionen durch gleichzeitige Dreharbeiten, die Sommertournee durch die USA, massenhaft Interviews, eine Europareise, Partys, Festival- und Konzertbesuche und andere Termine.

Die Ergebnisse jedoch reichen für mehr als ein Album – „Pisces, Aquarius, Capricorn & Jones Ltd.“ erscheint im November 1967 als vierte Monkees-LP innerhalb eines Jahres, erntet begeisterte Kritiken und zeigt die vier vordem gerne verspotteten Schauspiel-Musiker auf dem Höhepunkt ihrer Kreativität und ihres Wahnsinns: Sex-, Drogen-, Polit- und Science-Fiction-Anspielungen in den psychedelischen Texten, ein stilistisches Panorama von Soul und Beat über Bossa nova und „Spoken-word“ bis Countryrock, abenteuerliches Instrumentarium (elektrische Banjos, Hammondorgeln, Orchester und der erste Moog-Synthesizer auf einem Pop-Album überhaupt) und Effekte – mit „Another Pleasant Valley Sunday“ enthielt die Platte außerdem einen der größten Hits der Band (sogar die B-Seite „Words“ kam auf Platz 11 der US-Charts).

Für den zweiten, noch größeren Hit „Daydream Believer“ war kein Platz mehr, er kam aufs nächste Album, das im April 1968 folgte und unter noch abenteuerlicheren Bedingungen entstand: Da krochen Tontechniker für „Lady’s Baby“ zehn Studiotage lang mit einem Mikro hinter einem Baby her, weil sich Peter Tork (dessen Leben inzwischen hauptsächlich aus Hare Krishna, Naturreis, Wasserbetten und seiner Familie bestand) weigerte, das Kieksen und Blubbern seines neugeborenen Kinds durch eine Geräuscheplatte zu ersetzen. Nachdem die TV-Serie gerade abgesetzt worden war, blieb „The Birds, The Bees & The Monkees“ das letzte vergoldete Monkees-Album.

Schon im Sommer 1967 indes keimten die ersten Pläne für das, was eine Zeitung hinterher den „geglückten Versuch, eine Karriere zu ermorden“ nannte: Der Kinofilm „Head“, dessen (ungefähr) zwanzig verquirlte Handlungsstränge die Monkees mit einem jungen Schauspielrenegaten namens Jack Nicholson entwarfen, war so wirr und ausgeflippt, daß selbst der als Darsteller engagierte Frank Zappa wie ein Fels der Normalität inmitten von Vietnamkriegszenen, inszeniertem Selbstmord der Bandmitglieder und einem Sammelsurium weiterer Absurditäten wirkte.

Die LSD-Schickeria von Hollywood war von der zynisch-chaotischen Selbstentlarvung begeistert: Die Frage „Ist hier jemand, der ‚Head’ verstanden hat?“ wurde zum beliebten Partygag. An den Kassen ein katastrophaler Mißerfolg, wurde der wild zusammengeschnipselte Film erst viele Jahre später als Meilenstein der Psychedelic-Ära wiederentdeckt, nicht zuletzt dank dem von der Band produzierten Soundtrack: Atemraubende Hippiehymnen („Porpoise Song“, „As We Go Along“), wunderhübsche Kleinodien (Peter Torks „Can You Dig It?“), Jack Nicholsons „Entlarvungs-Rap“ „Ditty Diego – War Chant“ und der Country-Punk-Vorläufer „Circle Sky“ aus der Feder von Mike Nesmith machen das Album zu einem zeitlosen, fast alles überragenden Meisterwerk.

Daß davon 1968 fast niemand etwas mitbekam, ist jedoch kein Wunder: „Head“ war einfach zu „far out“ – der Titel übrigens hat mit Platte und Film (der ursprünglich „Untitled“ heißen sollte) nichts zu tun; er sollte lediglich den Gag ermöglichen, auf die Plakate eines eventuellen Nachfolgers den Slogan „From the People who gave you Head“ (wörtlich: „von den Leuten, die euch einen geblasen haben“) zu drucken, ohne dafür ins Gefängnis zu kommen.

Was folgte, war eine einzige große Implosion in Zeitlupe: Peter Tork („Ich hatte eigentlich schon die Schnauze voll, als ich bei den ersten Aufnahmen ‚Last Train To Clarksville’ spielen wollte und die Produzenten sagten: Was willst du Depp mit der Gitarre?“) stieg aus, ein kurz zuvor aufgezeichnetes TV-Special („33 1/3 Revolutions Per Monkee“), nicht weniger bizarr als der Kinofilm, wurde gleichzeitig mit der Oscar-Verleihung ausgestrahlt, weshalb es nicht einmal auf den Fernsehern der Monkees lief (Nesmith: „Wir kannten’s ja schon.“). Die vier, die zu Beginn der Dreharbeiten in einer dem Beatles-Haus aus „Help“ nachempfundenen Wohnung zusammengelebt hatten, gingen schon lange getrennte Wege, jetzt hinderte sie niemand mehr daran. Plattenfirmen, Produzenten und Filmbusiness hatten ihr Interesse an den Monkees vollständig verloren.

„Instant Replay“, im Februar 1969 veröffentlicht, bestand hauptsächlich aus Resten früherer Sessions, litt unter fehlenden Hitsingles und dem gescheiterten Versuch der drei verbliebenen Monkees, mit Ike und Tina Turners Begleitband Sam & The Goodtimers auf Tournee ein neues Publikum zu finden. „Es war eine tolle Tour, ein Riesenspaß“, erinnert sich Nesmith. „Aber die Monkees als Hardcore-Rhythm-’n’-Blues-Band mit schwarzen Musikern, das war den Leuten zuviel.“ Es war das letzte Top-40-Album der Band (Platz 32). „Die Party war vorbei. Niemand spielte mehr unsere Platten, die Presse tanzte auf unseren Gräbern“, sagt Nesmith. „Eigentlich wollte ich auch aussteigen, aber da waren noch Dinge, die wir nicht getan hatten. Es gab noch ein paar Sachen zu sagen.“

Die sagten Nesmith, Jones und Dolenz auf „The Monkees Present“, aber obwohl Micky Dolenz erstmals als wirklich kompetenter Songwriter auftrat und selbst Jones mit »If I Knew« einen kreativen Höhepunkt erreichte, den dem hübschen Jüngling niemand zugetraut hatte, war der Mißerfolg vorprogrammiert: Nesmiths zynische Single „Good Clean Fun“ (in deren Text es um etwas ganz anderes ging) blieb ebenso erfolglos wie seine mit großen Hoffnungen beladene Hymne „Listen To The Band“. Der 14wöchige Chartsaufenthalt des Albums führte nicht über Platz 100 hinaus, Nesmith kaufte sich aus seinem Vertrag frei (und ruinierte sich damit vorübergehend, bis er als Erbe der Tipp-Ex-Millionen ein finanzielles Ruhekissen fand). „Wir waren nur noch damit beschäftigt, Prozesse zu führen“, sagt Dolenz. „Vielleicht hätten wir zusammenbleiben und weitermachen sollen, aber damals schien uns das einfach unmöglich.“

Für das letzte Album „Changes“ schaltete sich der einst gefeuerte Don Kirshner wieder ein: Er setzte Dolenz und Jones den Produzenten Jeff Barry vor, mit dem er inzwischen die Monkees-Nachfolger in der Gunst amerikanischer Teenager, die Zeichentrickband The Archies, kreiert hatte. Deren „Sugar Sugar“, eine der erfolgreichsten Singles aller Zeiten, hatten sich die Monkees einst aufzunehmen geweigert; jetzt galt es, die verbleibenden vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen: „Die nahmen irgendwelche Songs mit Bobby Bloom auf, löschten die Stimmen wieder und ließen uns singen“, lautet Davy Jones‘ Kommentar zu dem Bubblegum-Soul-Album, das trotz einigen Stärken und Höhepunkten (etwa der Flopsingle „Oh My My“) an nichts herankam, was die Monkees zuvor produziert hatten.

Die Charts sah das Album erst, als es 1986 wiederveröffentlicht wurde. Die Presse prophezeite boshaft, das nächste Album werde (nach dem Abgang eines weiteren Bandmitglieds) „The Monkee“ heißen, aber die Geschichte war definitiv zu Ende. Dolenz und Jones arbeiteten noch einige Zeit zusammen, Tork war zwischenzeitlich wegen Drogenbesitzes im Knast gelandet und hatte einen Job als Lehrer, ehe er Ende der siebziger Jahre als gefeiertes Idol der ersten Punkbands für einige Soloauftritte auf die Bühne des CBGB trat. Nesmith, dessen Sohn bei den Castings für eine „New Monkees“-TV-Serie abgelehnt wurde, machte sich einen Namen als Produzent, Komponist und Interpret hochkarätiger Country-Rock-Projekte und war der einzige, der sich diversen Wiedervereinigungen der Monkees widersetzte. Mit Bedacht: Das 1986 von Dolenz, Jones und Tork veröffentlichte Monkees-Comeback-Album behandelten Publikum und Kritik so, wie es der Titel vorschlug: „Pool It“.

geschrieben irgendwann in den neunziger Jahren für das WOM-Journal

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