Belästigungen 24/2019: Achtung, diese Seite ist leer (und warum?)!

Framing ist eine ziemlich fiese Sache. Vor allem weil man merkt, wie klein das eigene Hirn eigentlich ist: Wenn da erst mal alle Regale voll sind mit Brexit, Elektroautos, Hongkong und Klimakrise, dann ist halt nichts mehr frei für MeToo, Waldbrand, Chile, Bolivien und Bienensterben. Dann denkt nicht mal an Halloween jemand dran, den Deckel zuzunageln, aus dem der untote Friedrich Merz schon wieder herauskriechen möchte, und selbst der TSV 1860 müßte schon mit fünf Punkten Rückstand am Tabellenende stehen, damit man sich eine halbe Sorge macht.

Und wenn man als hauptberuflicher Über-die-Welt-Schreiber zum gefühlt elften Mal hintereinander über grundsätzlich das gleiche schreibt – nämlich über unterschiedliche Ausflockungen des kapitalistischen Endgefechts der Reichen gegen die Armen und die Nutzlosigkeit sämtlicher Versuche, dagegen anzuplärren und zu -flennen, weil es ja doch so ausgeht, wie es halt einmal ausgeht –, dann muß erst jemand anderer daherkommen und feststellen, man werde irgendwie immer düsterer und verbiesterter und solle doch mal wieder „was Lustiges machen“.

Weil man das nämlich gar nicht merkt, sondern eigentlich die meiste Zeit was Lustiges macht oder das zumindest meint. Und sowieso kümmert einen der ganze Schmarrn, mit dem Medien und Politiker die Sau marinieren, die sie jeweils aktuell durchs Dorf treiben, „grundsätzlich“ überhaupt nicht, solange der Haussegen im Lot ist, die Liebste nah und das Bier kalt. Und solange man nicht nach einer „Meinung“ gefragt wird. Geschieht dies, geht’s umgehend los, und weil man danach aber so oft gefragt wird und so oft geantwortet hat, fallen die Repliken immer grundsätzlicher, mürrischer und energischer aus.

Man rät mir, doch mal an was ganz anderes zu denken. Dieser Rat ist ebenso nett und zwecklos wie der mit „was Lustiges machen“. Ich denke ja sowieso meistens an was völlig anderes! Zum Beispiel habe ich gerade zwei Stunden lang die Veröffentlichungs- und Benennungsgeschichte eines bestimmten Alice-Cooper-Bootlegs recherchiert, zuvor einen ganzen Nachmittag mit klugen jungen Leuten über Literatur diskutiert, davor ein lustiges Buch über Selbstmörder gelesen und somit seit mindestens zwölf Stunden nicht mehr an den Kapitalismus gedacht.

Und dann: setze ich mich an den Schreibtisch, ziehe die Notizen für die nächste Kolumne hervor, und da geht es schon wieder um nichts anderes! Wie ist das möglich?

Es scheint, als lebten wir in zwei Welten. Die eine ist die echte, in der uns alles mögliche passiert und interessiert und amüsiert und delektiert, in der wir leben und träumen, herumblödeln und tiefschürfende Gedanken wälzen.

Die andere ist die, in der Menschen (und notfalls eben auch wir) Meldungen und Kommentare schreiben, in Mikrophone hinein und aus Lautsprechern heraussprechen, in der man wirbt und wählt, „Reformen einleitet“ und „Stellschrauben justiert“. In dieser Welt gibt es nur den Kapitalismus und sein unaufhaltsames Ende, und diese Welt ist ein solches Gestrüpp von Lügen, Mißverständnissen, Verdrehungen, Wiederholungen, Fälschungen, Parolen und Manipulationen, daß einem bei der Konfrontation damit sofort der Hut hochgeht und der Kragen platzt und man am liebsten mit der Heckenschere hineinfahren und den ganzen Blödquark auf den Kompost schmeißen möchte, damit endlich Ruhe ist.

Fragt man einen beliebigen Menschen aus dem Freundeskreis, der gerade mal wieder irgendwas über Klima, Brexit, Hongkong oder Wohnungsnot nachgeplappert hat, was er im Radio gehört oder in der Zeitung gelesen hat, wieso er überhaupt in dieser anderen Welt lebt und nicht viel lieber vollzeit in der anderen, der schönen, dann ist die Verblüffung groß. Nach kurzem bis längerem Schweigen erhält man die wenig überzeugte Auskunft, das sei doch „Information“ und „wichtig“.

Da sagt man lieber nichts, weil man sonst sagen müßte, derartige „Information“ sei höchstens lästig, wenn nicht schädlich; sie stifte schlechte Laune, Verwirrung, Ratlosigkeit, Borniertheit und mache auf die Dauer depressiv. Und wenn man so was sagt, dann landet man im selben Shitsturmbunker wie Morrissey, der ähnliches vor zwei Jahren in einem harmlosen Lied zaghaft andeutete und danach zum überlebensgroßen „Rechts“-Popanz aufgeblasen wurde, um davon abzulenken, welch eine klebrig-muffige Gülle uns mit solcher „Information“ täglich in die Köpfe gepumpt wird. So lange, bis man nichts anderes mehr sieht.

Also: bleibt diese Seite diesmal einfach leer. Man möge sie nach Belieben mit den aktuellen „Themen“ füllen. (Ach so, die Seite ist gar nicht leer? Dann, lieber Leser, bist du noch zu retten.)

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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