Belästigungen 19/2019: Wie „bezahlbarer Wohnraum“ unbezahlbar wird (und wer daran schuld ist)

Daß die Tätigkeit des Kommunal- oder Lokalpolitikers kein Ausbildungsberuf ist, verwundert einen spätestens dann nicht mehr, wenn man mal ein bisserl genauer hinschaut, was diese Leute eigentlich so tätigen.

Das ist in erster Linie: sitzen und reden. Kann ja jeder! meint man, und das stimmt. Aber einen solchen Schmarrn mit so schlimmen, nachhaltigen und weitreichenden Folgen zusammenzureden, gelingt einem vernünftigen Menschen mit einem Minimum an Hirn, Herz und Schamgefühl nicht so leicht. Zumal der Typische Kommunalpolitiker (TKP) auch dann noch nicht zu reden aufhört, wenn bereits die halbe Stadtbevölkerung vor Lachen oder Entsetzen unter dem Tisch liegt oder vor Empörung auf den Zaun steigt. Weil der TKP halt auch beim Sitzen so tüchtig ist, daß ihm keine Zeit bleibt, mal in die Stadt hinauszugehen und sich anzuschauen und anzuhören, was er anrichtet und was die Leute davon halten.

Wenn der TKP Glück und gute Connections hat, steht der Schmarrn, den er daherredet, hinterher in der Zeitung. Oder wenn er Pech hat – schließlich könnte man ihn auch festnageln und die Einhaltung von Wahlkampfversprechen und anderen blumigen Ankündigungen fordern. Das tut aber seit langer Zeit niemand mehr und hat meines Wissens auch noch nie jemand erfolgreich versucht, schon weil das Gerede im Normalfall so wischiwaschi formuliert ist. Das kann man im nachhinein jederzeit völlig anders gemeint haben.

Da kann man zum Beispiel schlagzeilenträchtig heraustrompeten, München brauche unbedingt mehr Bäume, wegen Luft und Klima und so. Wenn es ein paar Tage später darum geht, circa tausend große, alte, unverzichtbare Bäume umzusägen, um eine der wenigen Frischluftschneisen, die die im eigenen Dampfsud erstickende Stadt München überhaupt noch hat, mit einem monströsen Betonstöpsel dichtzumachen, – dann reißt bei der Abstimmung im Stadtrat selbiger Baumhansl als allererster die Ja-Hand in die Höhe. Und fordert wieder ein paar Tage später, eine soeben abmontierte Leuchtreklame für eine nicht mehr existierende Firma müsse wieder angebracht werden.[1] Wegen Klimaschutz, vermutlich.

In einer einigermaßen vernünftig organisierten Gesellschaft hält man Wirrköpfe dieser Art tunlichst von jeder Funktion fern, in der sie was kaputtmachen können. Nicht so in der Kommunalpolitik. Da braucht man sie, weil man ihr Geschwafel als „Visionen“ verkaufen kann und weil ihr Wirken es gewissen Seilschaften ermöglicht, ungeheure Geldmassen anzuhäufen (das heißt: aus Menschen und Staat herauszupressen).

Bleiben wir mal bei dem Frischluftkorridor und dem Betonstöpsel, mit dem er dichtgemacht werden soll. Es handelt sich dabei um eine inzwischen relativ prominente, weil in ganz Bayern einmalige Siedlung im Münchner Norden, die aufgrund von (auch anderen) Gründen bislang dem Bauwahn noch nicht zum Opfer gefallen ist. Das zu ändern ist ohne Zweifel ein Jahrhundertverbrechen; indes gilt hier wie stets die Unschuldsvermutung: Es könnte ja auch Dummheit oder fehlgeleiteter guter Wille hinter der Entscheidung zur Tat stehen.

Zum Beispiel könnte man auf das Geschwätz vom „bezahlbaren Wohnraum“ hereinfallen, das immer ins Spiel kommt, wenn Bauspekulation und Betonindustrie (BB) kräftig gedüngt werden (in München also tatsächlich: immer). Da könnten BB zum Beispiel hergehen und versprechen, einen gewissen Teil der ihnen zugeschanzten Spekulations- und Betonierungsfläche „sozialen“ Zwecken zu „öffnen“, indem Genossenschaften „ins Boot geholt“ werden und auch ein bißchen mitbetonieren und vermieten dürfen.

Klingt nett. Klingt für einen TKP fast unwiderstehlich, schließlich muß er sich in seiner Bürgersprechstunde ständig das Gejammer mittelschichtiger Akademikerfamilien mit zwei Kindern anhören, ihre Bamsen hätten mindere „Zukunftschancen“, weil in der derzeitigen Dreizimmerwohnung nicht jedem ein eigenes Zimmer mit Schreibtisch zur Verfügung stehe. Und sowieso sind die Mieten zu hoch, was ja zweifellos nicht nur stimmt, sondern ein Skandal ohne Beispiel ist.

Also wird der Frischluftkorridor zum „allgemeinen Wohngebiet“ umgewidmet, und das Betonieren kann beginnen. Weil BB aber nicht blöd sind, schreiben sie in ihr „Strukturkonzept“ eine Geschoßflächenzahl (GFZ) von 2,7 hinein. Erlaubt ist in „allgemeinen Wohngebieten“ höchstens eine GFZ von 1,2, aber wen kümmern schon Vorschriften wie eine BauNVO, wenn es um „bezahlbaren Wohnraum“ geht?

Zur Erklärung: GFZ 2,7 bedeutet, daß der gesamte Baugrund mit durchschnittlich 2,7 Stockwerken bebaut wird. Weil aber Straßen, Garagen, Grünstreifen, Aschentonnenhäuschen, Sportplätze, Gärten, selbst Balkone, Terrassen und alles mögliche andere herausgerechnet werden, können (d. h.: müssen) die Gebäude selbst dann schon mal 15 Stockwerke hoch werden. Was das für den Preis des bebauten Bodens bedeutet, kann sich jeder denken: Der wird unfaßbar teuer. Und schwupps! ist die Sozialromantik vorbei, sind Genossenschaften und „soziale Zwecke“ mangels Milliardenkaufkraft aus dem Boot gekippt, geht das eisenharte Spekulieren so richtig los. Was das in der Stadt, die gleichzeitig hunderttausende Arbeitsplätze „schafft“ und hunderttausende Wohnwillige herbeilockt, für den übrigen Wohnraum bedeutet, ist auch klar: Der wird explosionsartig noch teurer.

So geht das: Da will jemand „bezahlbaren Wohnraum“ schaffen, schafft statt dessen unbezahlbaren Wohnraum und sorgt dafür, daß bislang bezahlbarer Wohnraum auch noch unbezahlbar wird. Und findet nächste Woche ein neues bislang nicht zubetoniertes Areal und fordert sofort wieder die Errichtung von „bezahlbarem Wohnraum“. Und so weiter und so fort.

Jetzt kann sich jeder selber fragen: Ist der TKP wirklich zu dumm, so einfache Zusammenhänge zu kapieren? Oder ist er ein Verbrecher, der sich nur dumm stellt, weil es ihm um ganz andere Dinge geht? Man frage mich das bitte nicht, ich habe da auch bloß eine Meinung.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint (in gekürzter Form) alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN und liegt in fünf Bänden als Buch vor.

[1]Laut Abendzeitung vom 7. September 2019 forderte der CSU-Stadtrat und Zweite Bürgermeister Manuel Pretzl die Wiederanbringung des kurz zuvor entfernten „Osram – hell wie der lichte Tag“-Schriftzugs an den Gebäuden um das Karlstor als „wichtiges, identitätsstiftendes Zeichen für München“. München verändere sich „rasant“, um so wichtiger seien „gelebte und gefühlte Traditionen“. Wann Pretzl den Blödsinn mit der Baumpflanzung äußerte, weiß ich leider nicht mehr. Es war wenige Tage nach der Zustimmung des Stadtrats zur Vernichtung des Eggartens samt Baumbestand, bei der Pretzl als Sitzungsleiter (OB Reiter hatte den Saal verlassen, als das Thema aufgerufen wurde) als erster die Hand hob.

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