Belästigungen 17/2019: Vom schweren Los des Schlaraffenlandbewohners

Der Mensch ist vielleicht nicht des Menschen Wolf, auf jeden Fall aber sein Neidhammel. Das gilt fürs Essen: Lieber würgt der längst nicht mehr Hungrige die dritte Blutwurst auch noch in den Wanst, ehe er sie einem anderen gönnt. Das gilt aber auch für alle anderen Lebensbereiche. Richtig schlimm wird es, wenn es an die Arbeit geht. Da erreicht der Neid derer, die arbeiten müssen, auf jene, die wenig oder gar nichts wirtschaftlich Verwertbares zu tun haben, derartige Ausmaße, daß Gesetze und Hetzmedien das ganze Land mit einem paranoiden Parakrieg überziehen, damit die faulen Kerle ein schlechtes Gewissen kriegen.

Seltsamerweise sind davon nur die faulen Kerle betroffen, die nicht nur keine Arbeit, sondern auch kein Geld haben, während man den faulen Kerlen, die auf Kosten der Gesellschaft in Champagner baden, den Speichel leckt und die Füße küßt. Aber sorry, für eine Beschäftigung mit diesem unguten Phänomen ist es mir jetzt gerade einfach zu schwül. Das wäre ja fast schon Arbeit!

Eine besonders frappante Form von Neid bekommt zu spüren, wer zu seiner Faulheit noch einen Garten hat und deshalb nicht nur morgens frohgemut und fröhlich singend Richtung Nordmünchner Seen radelt, während die Geknechteten graugesichtig aus den U-Bahnen heraus- und in die Büroknäste hineinquellen und einem am liebsten nachspucken täten, sondern dann auch noch abends mit Körben voller Äpfel, Beeren, Maronen, Weintrauben, Aprikosen, Nüssen, Feigen, Zwetschgen, Mirabellen, Pfirsichen, Pilzen und bunten Blumen wieder heimradelt. Die Blicke, die einem dabei entgegenblitzen, wünscht man seinem ärgsten Feind nicht. Ist aber auch klar, man muß ja nur mal in einen Supermarkt hineingehen und sich anschauen, was für einen sündteuren Gammel die armen Menschen als Beilage zum kongenial stumpfsinnigen Fernsehprogramm verzehren müssen. Und diese fiesen Gärtnerwichte nackeln einmal an einem Ast, schon fliegt ihnen gratis und ohne Schlangestehen erlesenstes Edelobst in den Rachen!

Aber tröstet euch, ihr Geplagten und Beladenen: Es ist selten alles so, wie es scheint. Freilich freut sich der Gartenbewohner über jeden Apfel, der ihm erwächst. Die Kehrseite ist, daß die grünbunten Säuerlinge von „Just in Time“-Produktion noch nie was gehört haben. Das heißt: elfeinhalb Monate lang hat man keinen Apfel, dann hat man tausend, und was man davon in den verbleibenden zwei, drei Wochen nicht rechtzeitig verschlingt oder mit ungeheurem Aufwand an Arbeit (!) und Schmutz zu Saft, Most und Mus verarbeitet, das hat der Weps. Gilt ebenso für Himbeeren, Zwetschgen, eigentlich alles.

Das ist aber noch nicht so schlimm; wer nach dem zehnten Apfel in drei Tagen so ein Ding noch ohne überdrüssiges Kribbeln im oberen Bauchbereich sehen, gar hineinbeißen kann, hat sowieso einen Eisenmagen oder eventuell nie erfahren, daß es andere Nahrungsmittel überhaupt gibt.

Schwerer wiegt die andauernde Trauerarbeit über die Früchte, die es gar nicht erst zur Reife schaffen, sondern schon in den Monaten vor der geplanten Ernte Sturm, Hagel, Regen, Dürre bzw. der eigenen Trägheit zum Opfer und ins Gras fallen, wo man sie meistens erst als braune Bazhaufen findet. Laien unterschätzen die dadurch hervorgerufenen Traumata und psychischen Grenzsituationen enorm. Zum Beispiel trug unser Kakibaum in diesem Frühjahr erstmals richtig viele (so was um die fünfzig) Blüten und wurde dafür jubelnd umtanzt, Besuchern prahlend vorgestellt und mit imaginären „Mitarbeiter der Woche“-Schildern behängt wie ein entarteter Christbaum.

Und dann: ein kurzer Wolkenbruch – die Hälfte der Blüten weg. Der mittlerweile verblühte und zaghaft fruchtende Rest wurde nun schärfer beobachtet, aber was hilft’s? Jedes Wetterlein hat seine Tücken, und bei den letzten tapferen Mohikanern sitzt ein richtig eingefleischter Gartenfanatiker ganztags mit dem Blasrohr im Gestrüpp, damit ja keine dumme Hummel auf die verwegene Idee kommt, sich mal kurz auf so eine Babykaki zu setzen und sie durch das plötzliche Übergewicht zu Kompost zu machen. Am Ende: blieben (vorläufig) zwei. Allein die (selbstverständlich biologischen) Beruhigungsmittel, die es braucht, um die restlichen Wochen, womöglich Monate bis zur Reife zu überstehen, kosten das vielfache einer Zehnpfundsteige Kakis beim Obsthändler.

Dann die Feigen, die generell den Sommer so lange auskosten wollen, bis sie eines trüben Novembertages doch nicht ganz ausgereift und zur Strafe schockgefrostet am Zweig verdürren. Die Weintrauben, die die Amseln prinzipiell ein bis zwei Tage vor dem Menschen schmackhaft finden (möge ihnen die Säure die Mägen zersetzen!). Die Erdbeeren, Tomaten, Spargelstangen, an denen die Schnecken so lange herumlutschen, bis sie merken, daß sie ihnen doch nicht schmecken, und die Überreste aussehen wie giftiger Abfall. Die Haselnüsse, die die Eichkatzerln unreif vom Baum reißen, aufbeißen und enttäuscht in der Gegend herumschmeißen, wo sie auf Barfußsohlen die Wirkung einer Art Bio-Glasscherben ausüben. Die Walnüsse, die selbige Viecher unter dem Moos verstecken und die man erst wiederfindet, wenn sie im nächsten Jahr als lästige Bäumchen hervorsprießen. Die Kirschen, deren einzig pflückenswerte Exemplare ganz droben hängen, wo nur die Vögel hinkommen, die in jede einmal hineinpicken und den Matsch dem Menschen in die Hängematte schmeißen bzw. scheißen. Die Brombeeren, wo auf jedem Exemplar eine Wanze sitzt, die man erst sieht, wenn es zu spät ist, man es (und sie) gepflückt hat und die Beere (Was ich nicht kriege, sollst du auch nicht haben!) nach Wanze und sonst nichts mehr schmeckt. Die aus unerfindlichen Motiven suizidalen Maronen und Pfirsiche. Die Morcheln, die man meistens mit den Füßen findet und dann kaum noch brauchen kann. Die Quitten, die plötzlich die Idee haben, über Nacht am Zweig zu verfaulen. Und so weiter!

Drum tröstet euch, liebe Ausbeutungsopfer: Was ihr in den vermeintlich freudig-stolzen Gesichtern der abendlichen Gartenheimkehrer seht, ist möglicherweise ganz selten mal tatsächlich Freude und Stolz, meist jedoch Trauer, Wut und Zorn, Enttäuschung, Zerknirschung und intensives Hadern mit der Vergeblichkeit alles Wollens und Tuns, garniert mit Mücken-, Bremsen- und Bienenstichen. Die dadurch über die Jahre entstehende grimmige Grimasse sollte man lieber nicht mit Fröhlichkeit verwechseln. Und wagt es ja nicht, tröstende Hände auf Schultern zu legen und Sätze wie „Nächstesmal wird das schon …“ auch nur anzudenken. Sonst hagelt’s Fallobst.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

Eine Antwort auf „Belästigungen 17/2019: Vom schweren Los des Schlaraffenlandbewohners“

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