Frisch gepreßt #445: Saul Williams „Encrypted & Vulnerable“

„Mein neues Album“, meint Saul Williams, „wird dein Leben verlängern, dich zu deinem Seelenverwandten führen, deine Beinarbeit verschärfen, deine Playlist erobern, deine Chakren ausrichten und deine Feinde schwächen.“

So weit dies.

In welche Richtung es denn gehe, das Album, wurde zurückgefragt. Eine solche Frage ist ebenso typisch wie nicht zu beantworten oder andererseits heimtückisch: Alben, die in eine Richtung gehen, sind Müll – statt sie zu hören, hört man lieber die Alben, anhand derer die Schubladenschreiner die „Richtung“ definiert haben, in die dann andere Alben angeblich gehen, um die Kuh weiter zu melken.

Immerhin: Sumach Ecks alias Gonjasufi (der das Album gemischt hat), weiß eine Antwort: „in alle gleichzeitig“. Der kennt sich da aus, weil man ihm auch schon mal unterstellt hat, „in Richtung George Clinton und Lead Belly“ zu gehen. Was ungefähr so wäre, als wollte man nach Oberföhring und Aubing gleichzeitig gehen: Ein Schuh bleibt da jedenfalls auf der Strecke, und ein Schuh wird sowieso nicht draus, also bla.

Es lautet ja auch die Grundfrage, was überhaupt gehen soll (wohin auch immer). Text? Musik? Image? Da hätten wir zumindest ein paar Anhaltspunkte. Image: hat Saul Williams keines oder alle gleichzeitig. Er gilt als Superstar des Alternative-Hip-Hop, was ungefähr so was wäre wie der Bundeskanzler von Nederling. Er ist nie das, was er macht, und macht nie das, was er ist (oder umgekehrt): Poesie, Slam, Songwriting, Rap, Literatur, Schauspielerei … „The Inevitable Rise & Liberation Of Niggy Tardust!“ hieß sein drittes Album, seit dem zwölf Jahre vergangen sind, in denen er diesen Titel Schritt für Schritt umsetzte.

Das fünfte war „MartyrLoserKing“ (2016), erster Teil einer Trilogie, deren zweiter jetzt folgt, und Saul meint, der sei sein „erstes Spoken-Word-Album“. Was ein weiter Begriff ist, aber okay: Hip Hop ist das ganz sicher nicht (mehr) (wirklich), was hier passiert. Hip Hop bedeutet (heute) überwiegend: nervtötendes Dummgeschwätz zwischen „Ich hab den/das größte(n)!“ und „Hallo, hier kommt ein Schenkelklopfer!“ In beiden Lagern ist Saul so wenig zu Hause wie in Aubing und Nederling, und er vermeidet auch den Grundfehler, den jeder schlechte Rapper wohl schon bei der Berufswahl macht: zu glauben, das eigene Gewese sei Metapher, Symbol, Beispiel und Mittelpunkt von und für alles, was im Universum existiert und vorgeht.

Vielmehr erzählt er (beziehungsweise läßt in „Full Of Shit“ auch mal erzählen): von einem burundischen Hacker, der zur internationalen Sensation wird und den „Westen“ politisch durcheinanderwirbelt (nächstes Jahr gibt’s die Graphic Novel und das Musical dazu). Klingt kryptisch, ist aber nur (vgl. Titel) verschlüsselt, und wer mit Literatur im entschlüsselnden Sinne nichts anfangen kann, der kann die Geschichten auch als das nehmen, was sie sind, und die Umschreibung des Autors nachsprechen, die ganze Sache sei „ein Abriß heteronormativer kapitalistischer patriarchalisch-autoritärer Politik anhand von Themen zwischen Liebe, Technologie, Religion, Krieg und Migration“.

O ja, da steckt einiges drin, und „Spoken Word“ ist es zweifellos, unterlegt allerdings mit Klängen, in denen auch einiges steckt, wenn man durch die minimal-abstrakte Fassade sticht und in die Tiefe taucht, die sich im eigenen Kopf öffnet: Billigcomputergenudel erinnert dann an Weltraumatmosphäre, fast nicht vorhandene Nadelbeats machen Luft zum schwimmbaren Element (und bleiben meist gänzlich aus, werden zu „unsichtbaren, stillschweigenden“ Beats, weil „die Rhythmen in euren Köpfen krasser und komplexer sein können als irgendwas, was ich programmieren könnte). Entstellte Field-Recordings erbauen das übernatürliche Derivat eines Kriegshörspiels. Und „Fight Everything“ könnte, wenn man es mit Schlagzeug, Gitarren und Baß spielte, auch ein Punkrock-Klassiker von Black Flag oder den Dead Kennedys sein.

Ein solches Paket von Sinn, Vielgestalt und Tiefe ist sicher nichts, was man nebenbei (womöglich noch mit einem Buch in der Hand) hören kann oder vielmehr sollte. Man kann das nämlich schon. Dann sollte man sich aber darauf einstellen, daß das Hirn danach vollkommen anders funktioniert als gewohnt. Und in ganz andere Richtungen.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erschien von Herbst 2000 bis August 2019 im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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