(Aus dem tiefen Archiv:) Schluß mit der Schauplatzverschwendung! (die Polemik hinterher)

Am kommenden Donnerstag startet in Deutschlands Kinos der Film „Verschwende deine Jugend“ – ein Kassenschlager in spe, denn mit Tom Schilling und Robert Stadlober spielen zwei hinreichend prominente Jungstars mit, das Drehbuch ist (abgesehen vielleicht von den arg faden Dialogen) fast so gut wie eine mäßige Folge von „Polizeiinspektion 1“, und sowieso liegen die frühen Achtziger und die „Neue deutsche Welle“, um die es gehen soll, groß im Trend.

Einziger Nachteil: Der Film spielt in München, was seine Hersteller zwang, sich mit jeder Menge lästigem Lokalkolorit herumzuschlagen. So mampfen die Darsteller eifrig Döner, doch eine dazugehörige Bude ist nirgends zu sehen, weil es eine solche 1981 (da spielt der Film) in München noch lange nicht gab, ebensowenig wie EC-Geldautomaten und einen Plattenladen, in dem ausschließlich Platten aus Berlin, Hamburg und Düsseldorf verkauft werden.

Und nun mucken auch noch die Musik- und Sozialhistoriker auf und machen geltend, schon die Grundthese des Films (an München seien Punkrock und neue Welle spurlos vorübergegangen) sei nur insofern richtig, als sich die Stadt standhaft geweigert habe, sich auf die erwähnten Produkte aus dem Norden gleichschalten zu lassen, und lieber ihre eigenen Bands, Fan-Magazine und sonstigen Erscheinungen (bis hin zur Terrorgruppe „Freizeit 81“) feierte, deren wenige erhaltene Fossilien, etwa Schallplatten, heute zu astronomischen Preisen gehandelt werden, während DAF, Fehlfarben, Abwärts, Ideal und andere die Ramschkisten füllen – weil München sich nicht nur nicht gleichschalten läßt, sondern zu allem Überfluß auch noch bei jeder Pop- und sonstigen „Revolution“ der letzten fünfzig Jahre Vorreiter war und dann aber lieber in den Biergarten als auf Welttournee ging.

Dabei wäre München eine ideale Stadt für den modernen Film: Champagner, Koks und Kameras sind in jeder gewünschten Menge verfügbar, und die hochdotierten Preise trägt Edmund Stoiber notfalls auch bis nach Hollywood, wenn man ihm dafür ein Objektiv entgegenhält. Störende Eigenwüchsigkeiten vom Schlage Valentin bis Achternbusch sind seit Jahren abgeholzt, Quoten-Bajuwaren als Statisten vorhanden oder bei Bedarf anlernbar. Nun fehlt nur noch, daß endlich auch der Schauplatz München selbst fit gemacht wird für die Zukunft des Kinos.

Und dafür gibt es letztlich nur eine Lösung: Die Stadt muß insgesamt und umfassend abgerissen und, unter Verzicht auf provinzielle Relikte, dafür mit Betonung weltweiter verbindlicher Elemente urbanen Seins, neu aufgebaut werden – als Kulisse, versteht sich, um notwendig werdende Angleichungen an Erfordernisse des Drehbuchs zeitnah und problemfrei umsetzen zu können. Ausgenommen blieben höchstens Areale, in denen der Anspruch, München möge im urbanen Konzert moderner Metropolen mitgeigen, bereits umgesetzt ist – auch aus wirtschaftlichen Gründen, denn der Filmstar fährt nun einmal gern Mercedes.

Einbezogen werden muß hingegen die Geschichte, denn es geht schlicht nicht an, daß sich München weiterhin derart renitent gegen seine Rolle als ortloser Ort des jeweiligen Schwarzen Lochs wehrt, in dem sich von all dem, was sich in anderen Städten tut, rein gar nichts tut. Die Offensive Zukunft Bayern muß sich freimachen von defaitistischen Behauptungen der Art, die Studentenrevolte der Sechziger habe mit den Schwabinger Krawallen oder mit dem „Gaudi“-Manifest der Gruppe S.P.U.R., die „Neue deutsche Welle“ mit Scum, Pack, Marionettes oder gar Amon Düül, die „Frauenbewegung“ mit den entsprechenden Münchner Gruppen und Buchläden begonnen, die Hälfte der Bewohner der Berliner Kommune 1 und gar ein Drittel der RAF-Gründungsmitglieder sei münchenstämmig gewesen oder irgendein wichtiger Regisseur des deutschen Films, von Faßbinder bis Wenders, habe München je betreten oder gar sein Handwerk hier erlernt.

In München, so muß das Credo lauten, ist nicht nur noch nie irgend etwas passiert; nein, in München kann sich auch gar nichts ereignen, noch nicht einmal das, was von anderswo als Angebot hineingetragen wird in seine Leberkäseschluchten und dampfigen Keller voller hinterwäldlerischem Gebrumme.

Die Zeit allerdings drängt, denn wie „Lindenstraße“-Seher wissen, steht in Köln bereits ein „Münchner Viertel“ inclusive Linienbus und Quoten-Bajuwarin bereit, das sich schnell erweitern ließe, wenn die Münchner Kultur mal wieder stur auf ihrem Dickschädel beharrt und lieber in den Biergarten geht.

geschrieben im Frühsommer 2003 für die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG (als überarbeitete Version des vorangegangenen Texts; welche Version dann erschien oder ob überhaupt eine gedruckt wurde, weiß ich nicht mehr so genau)

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