Frisch gepreßt #444: The B-52s „Cosmic Thing“ (30th Anniversary Expanded Edition)

Eigentlich war mit diesem Album alles schon wieder vorbei. Nein, eigentlich vorher. Nein, eigentlich war bei dieser Band immer alles schon vorbei und dann doch nicht.

Ende Anfang: Der optisch/akustische Gag, 1977 mit Trödelmarkt-Chic, Bienenkorbfrisuren und Dengelgitarren aus den vermeintlichen frühen Sixties die in den USA sowieso weitenteils als Rückkehr in diese „unbelastete“ Pop-Ära (als alles noch nicht xy bzw. noch yz war) verstandene New Wave so richtig als nostalgischen Karneval zu feiern, hatte sich 1978 nach der Independent-Single „Rock Lobster“ schon abgenutzt. Allerdings braucht das Business manchmal länger, und erst dem hyperaktiven Talking-Heads-Manager Gary Kurfirst gelang es, seinen Kumpel Chris Blackwell von Island Records zu überreden, die Band doch mal im größeren Stil als per Studentendisco auf die Welt loszulassen.

1979 erwischten sie dann ein richtig doofes Timing: Das von Blackwell auf den Bahamas produzierte erste Album erschien vier Wochen nachdem The Knack das B-52s-Geschäftsmodell auf Stufe elf gedreht, sich optisch gleich komplett in die Beatles verwandelt und mit ihrem Debüt sämtliche Charts der Welt in wenigen Tagen komplett überrannt hatten. Pech und Pustekuchen auf einmal: mehr als die Top 60 waren da nicht mehr drin.

Immerhin: John Lennon gefiel die Platte, und das Label hielt durch. Das zweite Album „Wild Planet“ rutschte in die Top 20 und sorgte auch in deutschen Undergroundkreisen für Amusement: Der (als Musikkritiker) ewig überschätzte Diedrich Diederichsen äußerte in „Sounds“ einen lobenden Phrasenhaufen („… sind wieder da und haben geschafft, was wohl niemand für möglich gehalten hat …“). Die Band kaufte sich ein Haus und fand einen Fanclub in den Besuchern des „Weight Watchers“-Clubs nebenan, die Sprechsänger Fred Schneider mit dem Abspielen von Yoko-Ono-Alben an allzu häufigen Überraschungsbesuchen hinderte.

Das war’s aber schon wieder. Albumsessions mit David Byrne wurden abgebrochen, Album drei („Whammy“) und vier („Bouncing Off The Satellites“) ließen jeweils drei Jahre auf sich warten, verkauften sich kaum, und dann starb Bandgründer Ricky Wilson an AIDS. Anstehende Tourneen wurden abgesagt, die B-52s verschwanden im Schatten der Popgeschichte.

Anfang Ende: Mit umgestellter Besetzung, Don Was und Nile Rodgers als Produzenten und einem neuen Label probierten sie’s wiederum drei Jahre später doch noch mal, zunächst müde belächelt von der medialen Öffentlichkeit, die nicht mehr recht dran glauben wollte, daß sich noch oder wieder jemand für den fünfmal durchgekauten Witz interessieren könnte. Aber hey, was weiß schon ein Musikkritiker (oder alle)? „Love Shack“ kletterte in den US-Singlecharts kontinuierlich und landete schließlich auf Platz drei. Es gab – damals als Plattenbelag noch was wert – Gold (USA), Silber (UK) und gleich zweimal Platin in Australien. „Roam“ wiederholte den Triumph in nur leicht gedämpfter Form, und das Album, fast auf den Tag genau zehn Jahre nach dem ersten in den Läden, fühlte sich für einen großen Teil der Weltbevölkerung wohl tatsächlich an wie ein Debüt.

Der Erfolg war ungeheuer, „Cosmic Thing“ verkaufte sich weltweit millionenfach. Die folgende achtmonatige Tour mit Backing-Band (152 Gigs!) begann in Sälen und endete in Stadien, und zur Jahrzehntwende standen in Indie-Jugend-WGs zwischen 18 und 40 mehr B-52s-Platten herum als Toaster und Aschenbecher.

Und dann: war eigentlich alles vorbei. Oder sagen wir: weitgehend. Das Trioalbum „Good Stuff“ (ohne Cindy Wilson, die sich mal erholen mußte und erst 1996 zurückkehrte) war nicht mehr so das große Ding. Es folgten alle möglichen Solosachen, Auftritte im Kinderfernsehen, viele Tourneen, Best-of-Alben und die Selbstparodie „Glove Slap“ für die Simpsons. Ach ja, und eine Pokémon-Single, hi hi. Und zwischendurch, 2008, noch mal ein nettes neues Album.

Aber das macht ja alles nichts, schließlich ist „Cosmic Thing“ immer noch da und hört sich dreißig Jahre später kaum einen Tick weniger knackig, überdreht, infektiös und spinnert an als damals. Es ist, wie Cindy Wilson einst meinte, „eben nur Tanzmusik, nur Rock ’n’ Roll, es wird die Welt nicht verändern“. Aber es macht sie bunter, hübscher und lustiger, mindestens 47 Minuten lang.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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