Belästigungen 10/2019: Dreck und Geld und Sachzwänge: Wir planen eine Stadt!

Im mittleren Norden der Münchner Stadt schlummert die Eggartensiedlung, ein Idyll, wie man es in Europa kein zweites Mal findet.

Das heißt: Sie schlummert nicht mehr, sondern sie kümmert auf dem Krankenbett dahin, seit vor einigen Jahren Immobilienspekulanten auf den Plan traten und seitdem Bewohner umsiedeln, Häuser einreißen, Bäume fällen und das gesamte Gelände vermüllen lassen. Klar: die wollen bauen, am besten zehnstöckig!

Neulich bei einem „Bürgerdialog“ (dazu gleich mehr), mit dem den umliegenden Anwohnern die Vernichtung der Siedlung und ihre Ersetzung durch eine der üblichen ortlosen Wohnmaschinen verklickert werden sollte, war zu sehen, was dort geplant ist: stumpf-brutale Bunkerarchitektur für 1.700 bis 2.000 Unterzubringende, die dann täglich die wenigen schmalen Straßen außenrum verstopfen und die ganze Gegend in eine Hölle von Lärm, Gestank und Häßlichkeit verwandeln werden. Plus Supermarkt, Garagen und diverse „Kitas“ – was man halt so braucht, wenn man sein Leben im Auto und am Arbeitsplatz verbringt.

Auf meine Frage, wieso andere Möglichkeiten gar nicht erst diskutiert wurden und wieso das alles so und nicht anders gehen muß, erklärte mir eine Mitarbeiterin der Stadtplanung: „Es mußten ja Entscheidungen getroffen werden.“ „Ach ja? Und wieso?“ fragte ich zurück, und sie antwortete: „Äh, hm, ja … äh.“

Ich vermutete: Es handelt sich mal wieder um einen dieser „Sachzwänge“, die Politikern täglich mit Messern und Pistolen auflauern, sofortige Entscheidungen erzwingen und gleich dazusagen, welche Entscheidungen zulässig sind. Richtig geraten: Nach einer längeren Pause bekam sie schließlich noch heraus, die „Eigentümer“ wollten ihr „Eigentum“ halt „verwerten“ (also umwandeln in Geld und Dreck).

Der „Bürgerdialog“ bestand darin, daß in einem Pfarrsaal Schautafeln mit diversen Plänen, Reklamebildern von absurd-grausigen Betonriegeln und luftigen Sprüchen zu „Bewahrung“ und „Nachhaltigkeit“ aufgestellt waren. Dazu gab es kleine gelbe Zettel, auf die „Bürger“ ihre „Anregungen und Ideen“ kritzeln und an eigene Pinwände pinnen durften. Erneute Nachfragen an die bei den jeweiligen Schautafeln aufgestellten Propagandaprediger, weshalb es nur diese und keine andere Möglichkeit zum Umgang mit dem Gelände gebe, ernteten verblüffte Rat- und Sprachlosigkeit. Meine direkte Frage, ob denn beim Treffen der Entscheidungen außer der Optimierung (möglichst viele Menschen auf möglichst wenig Platz, möglichst viel Profit) ein anderer Gedanke eine Rolle gespielt habe (Schönheit, Ruhe, Menschenwürde, Denkmal- oder Naturschutz, irgendwas), drucksten die Dialogbeauftragten herum und sonderten verwirrte Geräusche ab. Die Stadtplanerin stellte fest, es müssten nun einmal 1.700 bis 2.000 Menschen dort untergebracht werden. Das sei so, da gebe es keine andere Möglichkeit.

Selbstverständlich gäbe es die. Man könnte die vorhandenen Häuser renovieren und teilweise ausbauen, die illegal abgerissenen wieder aufbauen und den Rest so lassen, wie er ist. Schon hätte man (wenn man zusätzlich die „Architekten“ vorübergehend wegsperrte) eine wunderschöne Siedlung für ungefähr 800 bis 1.000 glückliche Menschen, die eventuell sogar lernen könnten, daß Leben mehr ist als Vegetieren, Wohnen mehr als kurzzeitige Unterkunft, daß Mauern, Böden, Türen, Dächer, Treppen, Fensterrahmen, Gärten eine Geschichte haben können und daß all dies enorm bereichernd wäre.

Zudem gibt es in unmittelbarer Nähe der Siedlung ein ebenso großes Areal, das aus kaum genutzten Sportplätzen besteht und von dem man locker fünfzig bis neunzig Prozent bebauen könnte, ohne jemandem zu schaden. Da könnten notfalls sogar die Terrorarchitekten ihre üblen Kisten hinstellen, weil der Unterschied zu den Olympiabauten gleich nebenan unter Umständen nicht wesentlich ins Auge fiele. Wer dringend ein funktionales Gehäuse „bewohnen“ möchte, könnte das dann dort tun. Noch mal 1.000 Wohneinheiten – schon wäre die Mengenvorgabe erfüllt, die einzigartige Siedlung erhalten, und alle wären zufrieden.

Aber sowieso ist es eine Lüge, daß es in München derart dramatisch zu wenig Wohnraum gebe. Das liegt zu einem wesentlichen Teil daran, daß ganze Stadtviertel leerstehen, weil in den Wohnungen nur Elektrogeräte, Schreibtische und Aktenschränke wohnen. Und daß man dagegen nichts machen könne, wie mir die Stadtplanerin eifrig versicherte, ist ebenfalls gelogen: Schließlich gibt es neben der grundgesetzlichen Sozialbindung des Eigentums auch den Tatbestand der Zweckentfremdung mit den jeweiligen Vorschriften zu Bestrafung und Enteignung. Und was wäre zweckentfremdeter als eine Schwabinger Altbauwohnung, in der nachts nur ein paar Computer summen? Oder eine Siedlung, die seit vielen Jahren größtenteils leersteht?

Aber so lautet die Entscheidung: Eine Million Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht, und wir betonieren frohgemut die Landschaft zu mit „nachhaltigen“ Scheußlichkeiten, in denen in zehn bis fünfzehn Jahren, wenn das Zeitalter des Autoverkehrs unwiderruflich zu Ende geht, niemand mehr hausen will. Dann stehen sie da, für lange Zeit, als Mahnmal mit der Botschaft: Das kommt dabei heraus, wenn ihr eure Grundbedürfnisse den „Sachzwängen“ der kapitalistischen Verwertung und Profitmaximierung überlaßt. So etwas kommt zustande, weil Wahnsinnige sich zu „Entscheidungen“ gezwungen sehen, Visionen haben und ansonsten blind sind für alles, was in der Welt wichtig und wesentlich ist.

Aber nein: Dem Sturm des Fortschritts, heißt es, stellen sich nur ewiggestrige Bedenkenträger in den Weg. Dazu hätte ich auch zwei Fragen: Sind es nicht die ewiggestrigen Spekulanten, Bauherren und Stadtplaner, die seit sechzig Jahren nicht einsehen wollen, wohin ihr Wahn führt, obwohl von Neuperlach und der Olympiastadt über die Panzerwiese bis hin zu den diversen Massenkasernen der letzten Jahre an allen Enden der Stadt die haarsträubenden Folgen ihres Wütens zu sehen sind? Und wäre es manchmal nicht besser, erst zu denken, bevor man was vernichtet, und diese Bedenken dann nicht bedenkenlos gegen Geld und Dreck einzutauschen?

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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