Belästigungen 25/2009: Der autofahrende Orang-Utan (und andere bahnbrechende Erkenntnisse der Wissenschaft)

Neulich fragte mich jemand, wieso Affen nichts sagen, wo sie doch fast dasselbe Sprachgen haben wie der Mensch. Und zwar fragte mich das nicht irgendwer (dem ich salopp antworten hätte können, daß Menschen doch meistens auch nichts sagen, sondern nur wirres Gebrabbel absondern), sondern die Wissenschaft selbst, per Zeitung: Warum sprechen Affen nicht? Ja mei, antwortete ich, wenn ich das wüßte!

So geht das die ganze Zeit. Seit die Wissenschaft nicht mehr Teil der Kultur ist, sondern sich von dieser abgespalten hat und als ernsthaft-effektiver Stoßtrupp die Welt erkundet, um Sachen zu finden, mit denen sich die Wirtschaft ankurbeln läßt, während die Kulturler immer nur herumtanzen und blumige Mutmaßungen über Gefühle und solch minderen Kram erdichten,

seit gar so aberwitziger Mystikmüll wie die totalitär-religiöse Salbaderei der Ökonomen zur Wissenschaft gerechnet wird (weil man da im Gegensatz zu Malerei, Philosophie und Literatur irgendwie irgendwas „rechnen“ kann), überschwemmen uns die Erkenner mit ihren Erkenntnissen, in denen sie nichts erkennen können, weil sie vor lauter Forscherei vergessen haben, was sie erkennen wollten. So ungefähr: „He Leute! Wir haben herausgefunden, daß EXOX2 unter Einwirkung von halbgrünen Laserstrahlen plasmaähnliche Schwaden von Stinkolingas absondert und sich langsam in EXOX3 zu verwandeln beginnt! Wie könnte man denn daraus ein Produkt machen?“ Und wir stehen da, zucken mit den Schultern und schämen uns, weil wir keine Antwort haben – schließlich ist die Wissenschaft kein Kunstclown, der uns ein Bild vorsetzt und leise fragt, was das bedeuten könnte. Da sagen wir dann: „Mir doch egal! Mal einen Baum, Kunstclown, dann sag ich’s dir!“ Bei der Wissenschaft hingegen werden wir automatisch klein, weil sie so was Konkretes, Relevantes und Mächtiges hat.

Aber dann kommt ein Vogerl geflogen und läßt in den milliardenteuren, kilometerweit unter die Erde hineinbetonierten „Large Hadron Collider“ des „Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire“ bei Genf ein paar Semmelbrösel hineinfallen – und schon ist ein milliardenteurer Schaden entstanden, der die Suche nach dem „Higgs-Boson“ und die Untersuchung des „Quark-Gluon-Plasmas“ und somit die Entwicklung der Menschheit um Jahre verzögert.

Und wir fragen uns noch, wieso der Affe nichts sagt? Weil er zur gleichen Zeit emsig damit beschäftigt ist, sein durch menschliches Wissenschaftsmühen herbeigeführtes und gleichzeitig untersuchtes Aussterben noch ein paar Jahre zu verschieben? Oder weil er sich heimlich totlacht, wenn es ihm zufällig mal eine Zeitung in die Savanne weht, die von Higgs-Bosonen kündet, von Quarkplasma, Hadronen, Semmelbröseln und noch so Zeug, mit dem sich der haarlose Cousin beschäftigt, anstatt Sinnvolles zu tun?

Das fragen wir uns lieber nicht. Wir haben nämlich gar keine Zeit, uns was zu fragen, weil die Wissenschaft unablässig weiterfragt und uns mit ihren Halbantworten belästigt, die gleich wieder neue Fragen aufwerfen. Zum Beispiel weiß man jetzt, daß das alte Sprichwort, Menschen, deren Ringfinger länger ist als der Zeigefinger, gingen öfter „fremd“, auch auf den Steppenpavian zutrifft: Der hat von Haus aus einen längeren Ringfinger und ist, was eheliche Treue angeht, sozusagen 1968 in die andere Richtung abgebogen, legt alles flach, was ihm in die Quere kommt, und pfeift auf moralische Bedenken, wie sie offenbar Orang-Utans und Schimpansen hegen. Und was bringt uns das? Nichts. Anstatt Sinnvolles zu tun, vermesse ich meine Hände und stelle fest: Holla! Links fast ein Zentimeter, rechts immerhin ein halber! Und grüble, ob ich demnach näher mit dem Pavian verwandt bin als mit anderen Affen und ob ich das potentiellen Bettpartnerinnen lieber gleich im Taxi mitteilen soll.

Und schon prasselt der Sturm der Erkenntnis weiter auf mich ein: Der Glattrochen Dipturis batis ist nicht eine, sondern zwei Arten. Gestensprache wird in derselben Hirnregion verarbeitet wie Sprechsprache. Herzinfarkte gab es schon im alten Ägypten. Quallengene bringen farblose Mikroben zum Leuchten. Und Frauen, die bei einem Hilfsdienst anrufen, bleiben durchschnittlich 32 Prozent länger am Telephon als Männer. Von denen wiederum schauen nur 36 Prozent in die Gebrauchsanleitung, bevor sie die Hotline anrufen, von den Frauen hingegen 76 Prozent. 47 Prozent der Männer rufen nach dem ersten Anruf noch mal an, während … Da knülle ich den Infobrei zusammen, raufe mir die Haare und stelle mir vor, wie Milliarden Menschen mit leuchtenden Augen ausrufen: Aha! Aha! Aha! Mein Gott, wie gut, daß wir das erfahren haben!

Manchmal ist Forschung aber zu was gut. Neulich meldete die Autoweltherrschaftsorganisation ADAC mal wieder, daß Radfahrer „gefährlich leben“, weil nur ganz wenige von ihnen einen Helm aufhaben. Da weiß man, was als nächstes kommt: die Behauptung, die Terrorradler seien alle selbst schuld, wenn sie von Autos totgefahren werden, und die flammende Forderung, das Pack endlich von den Straßen zu verbannen oder sie wenigstens ins Zuchthaus zu stecken, wenn sie ohne Helm, Nummernschild und Fahrradführerschein den natürlichen Verkehrsfluß stören!

Zum Glück gibt es außer Autofaschisten auch Wissenschaftler, die sich mit so was beschäftigen, und die haben festgestellt, daß Radfahren mit Helm wesentlich gefährlicher ist als ohne, weil Autofahrer, wenn sie jemanden mit Helm radeln sehen, automatisch weit weniger Abstand halten und in Eile eher drauf pfeifen, ob sie den Radler zufällig töten. Schau an.

Übrigens haben Wissenschaftler auch längst festgestellt, daß Autofahren insgesamt nicht sonderlich gesund, unschädlich und vernünftig ist, aber davon hört man in Deutschland eher selten was. Dabei sollten selbst die fanatischsten Autosüchtigen das doch eigentlich kapieren können, schließlich haben sie fast dasselbe Sprachgen wie der Orang-Utan, oder? Oder ist der Zusammenhang hier ein etwas anderer?

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN und liegt in fünf Bänden als Buch vor.

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