Verständigung ist in Zeiten moderner Kommunikation bestenfalls Glückssache, normalerweise indes mit dem Versuch vergleichbar, sich mittels einer Nagelfeile durch einen Urwald mit vorbildlich dichtem Unterholz zu schlagen. Harmlose Beispiele hierfür fallen täglich in jedem Haushalt an. Zum Beispiel smste mir neulich eine Freundin, die Einhaltung unserer verabredeten Verabredung sei „kein Priblen“, was ebensowenig ein großes Problem war wie die unmittelbar folgende Mitteilung einer anderen Freundin, sie habe dringend mal wieder Lust, „aufeinander Bier“.
Durch solche Fehlerlein kommt das Hirn ja ebenso leicht hindurch wie durch ein Wort wie „Bäslgntiuegn“ (habe ich gehört), weil es schon beim Lesen berücksichtigt, daß Schrift, Wort und Sprache für 99 Prozent der Menschheit so was sind wie die Feinheiten der Quantenphysik für einen Kindergartenbamsler, und deswegen die interne Korrektur-App auf Automatik läuft. Ähnliches gilt für die Flut von hochinformativen Mails, die stündlich in meinen E-Briefkasten geschwemmt werden und dringend empfehlen, einen Link anzuklicken, um fürderhin stundenlange Höchstleistungen im Bett vollbringen und die weibliche Bevölkerung des Erdballs in einen Dauerzustand von „Shock & Awe“ (remember?) zu versetzen.
Dieser Schmarrn nämlich kommt von Servern, die zwar vertrauenswürdig klingende Namen wie ficobaul, jinxknar, uartglob, ambaloll, shulopec, dickoxon und bumfdawk tragen, immer aber mit dem Zusatz „.icu“. Selbiges „ICU“ wiederum steht abkürzend wahlweise für „Intensivstation“ oder die Christliche Universität Tokyo, und wer täte sich in Sachen Sexualpotenz ausgerechnet von diesen Institutionen Rat holen?
Schwieriger wird es, wenn man mal wieder die Nachlässigkeit begangen hat, sich zu Weihnachten oder überhaupt per Paket beschenken oder jedenfalls beliefern zu lassen. Da kriegt man dann eine Glückwunschkarte an die Haustür gebappt, auf der verzeichnet ist, wo man das Paket abholen kann. In der zuständigen Postfiliale steht, wer nicht gleich zur freundlichen Dame am Schalter rennt und sich wundert, weshalb dort nicht die übliche Tausenderschlange seit vorgestern wartet und murrt, vor einer handbeschriebenen Tafel, auf der darauf hingewiesen wird, daß Paketabholungen „erst ab 3. Januar“ (durchgestrichen) bzw. „demnächst“ (durchgestrichen) bzw. „auf absehbare Zeit nicht möglich“ sind.
Auch kein Priblen, schließlich gibt es ein Internet und dort eine Seite der angeblich verantwortlichen Firma DHL, wo man, nachdem man sich vergeblich durch dutzende Irrwege geklickt und per Google den Link für eine Zweitzustellungsbeantragung ausbaldowert hat, diese ausfüllen kann. Sodann spielt man das lustige Captcha-Spiel mit Hydranten, Ampeln, Fahrrädern usw., besiegt den Algorithmus nach nur sieben Runden (!) – und erfährt, das eingegebene Datum des Erstzustellungsversuchs („bei dem Sie nicht angetroffen wurden“) sei „ungültig“. Das kann, wer mag, wiederholen, so oft er will: Sackgasse. Der Silvestertag des Jahres 2018 hat für die Firma DHL offenbar nicht stattgefunden (der 2. Januar übrigens auch nicht).
Jetzt wird‘s schwieriger, denn jetzt muß richtig kommuniziert werden. Kaum eine Stunde später hat die Suche nach einem Kontaktformular (das es wahrscheinlich nicht gibt, jedenfalls auf keiner der mit dem Stichwort „Kontakt“ oder irgendwie sonst zugänglichen Seiten) eine Telephonnummer (für „Pressekontakt“) in Nordrhein-Westfalen erbracht. Hurra, freut man sich: mit einem Menschen sprechen! Darf man aber erst mal nicht, sondern muß einer fröhlich dudelnden Maschine diverse Stichwörter (Reklamation, DHL-Paket, ein paar mal laut und deutlich „ja!“ oder „J-A!“) aufsagen. Und hat dann endlich eine „Mitarbeiterin“ am Telephon, die sich pflichtschuldig vorstellt (ihr Name sei Lisch oder Lesch oder Läsch oder Lösch oder Lüsch oder irgendwie so ähnlich) und nach dem Begehr fragt.
Zur Erklärung des Problems kommt man jedoch nicht. Die Mitarbeiterin erklärt vielmehr, man solle das Paket eben abholen. Geht nicht, sagt man und zitiert von der Hinweistafel: „logistische Gründe“. Dann, erfährt man, gebe es „keine Möglichkeit“. Doch, die gebe es, sagt man. Eine Zweitzustellung, sagt sie, sei bei Paketen, die nicht abgeholt werden können, grundsätzlich ausgeschlossen. Ob das Paket denn dann vernichtet oder anderweitig verwertet werde, fragt man. Da hält sie kurz inne, tippt etwas, weist dann auf das Formular im Internet hin sowie darauf, daß man ihr schon zuhören müsse. Das Formular kenne man, sagt man und kommt nun doch zum Ausreden, aber wieder vergeblich: Ein Datum eines Erstzustellungsversuchs müsse gar nicht eingegeben werden, meint die Dame. Doch, das müsse es, wendet man ein, woraufhin sie sagt, dann solle man eben tun, was man für richtig halte, sie beende hiermit das Gespräch. Was sie auch tut.
Ich weiß: Kabarettisten und Kolumnisten ist es aus guten Gründen streng verboten, sich über Bahn, Post und sonstige ehemals staatliche Einrichtungen zu ereifern, die zum Zwecke der Geldumverteilung von unten nach oben enteignet und gierigen Investoren zugeschachert wurden. Drum weise ich deutlich darauf hin, daß es einer sofort (per Zufall unter der gleichen Nummer) konsultierten zweiten Mitarbeiterin binnen weniger Minuten gelang, das Problem zu verstehen, den (offenbar bereits von einer knappen Million Menschen reklamierten) Funktionsfehler zu bestätigen und einen Zweitzustellungsversuch (ohne Gewähr) zu beantragen.
Wenn man nun noch bedenkt (oder sich vorzustellen versucht), unter welchen Bedingungen und für welchen „Lohn“ Frau Lisch/Lesch/Lösch und ihre namenlosen Kollegen einen Großteil ihrer unwiederbringlichen Lebenszeit damit zubringen müssen, hilflosen Opfern der konzerntypischen Kommunikationsverhinderungsstrategie nicht verraten zu dürfen, weshalb es nur einen Weg gibt, mit diesem Konzern „Kontakt“ aufzunehmen – nämlich die Beschwichtigungsabteilung ganz unten im Tiefkeller, also sie –, wenn man das alles bedenkt, kriegt man große Lust, den Profiteuren des ganzen Blödwahnsinns die wenigen Sachen, die sie sich noch nicht unter den Nagel gerissen und in „Service“-Müll verwandelt haben, auch noch zu schenken. Und zwar per Paket.
Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.